In der Serie alles gut? denkt STANDARD-Redakteur Andreas Sator über eine bessere Welt nach – und darüber, welchen Beitrag er leisten kann. Melden Sie sich hier für seinen kostenlosen Newsletter an.

Er ist ein Mann der großen Worte und Erzählungen, berät die EU-Kommission und die chinesische Regierung bei ihren Fünfjahresplänen. Der Ökonom Jeremy Rifkin ist 74 Jahre alt und hat in seinem neuen Buch Der globale Green New Deal (Campus Verlag) eine Vision für die Zukunft der Menschheit entworfen, in der Wirtschaft und Klimaschutz kein Widerspruch mehr sind. Diese Welt sei greifbar, ob sie aber rechtzeitig Realität wird? Rifkin sieht uns auf einem hauchdünnen Pfad.

Sie lesen alles gut?, eine Serie, in der ich über eine bessere Welt nachdenke. Melden Sie sich für meinen Newsletter an – ich halte Sie auf dem Laufenden.

Bei Solar- und Windkraft sind wir schon weit, doch ansonsten ist enorm viel zu tun für den Klimaschutz, sagt Jeremy Rifkin. Die Welt müsse komplett raus aus fossilen Energien.

STANDARD: Sie schreiben, die fossile Zivilisation wird 2028 kollabieren. Erklären Sie mir das bitte.

Rifkin: Das ist keine Theorie, das ist schon im Passieren. Ich zitiere in meinem Buch interne Studien von Banken, Versicherern, Energie- und Beratungsunternehmen. Der Preis von Erneuerbaren sinkt drastisch. Das Muster kennen wir. Früher haben Computer Millionen gekostet, heute gibt es in China Smartphones für 25 Euro. Dasselbe passiert im Energiebereich. In den 1970ern kostete ein Watt Solarenergie 79 Dollar. Heute 43 Cent. In eineinhalb Jahren 35 Cent. Das ist weniger, als Atomkraft, Kohle, Öl kostet, und seit kurzem ist es billiger als Gas.

STANDARD: Sie sprechen von der dritten industriellen Revolution?

Rifkin: Paradigmenwechsel gab es historisch immer dann, wenn drei Komponenten zusammengekommen sind. Neue Kommunikationstechnologien, neue Energiequellen und neue Formen der Mobilität. In der ersten industriellen Revolution wurden von Dampfmaschinen betriebene Druckerpressen erfunden, die machten Schulbücher und Zeitungen für die breite Masse leistbar. Der Telegraf wurde erfunden, man begann massiv Kohle zu nutzen und Eisenbahnen mit Dampf anzutreiben. Das hat Urbanisierung und Industrialisierung erst möglich gemacht.

Jean-Claude Juncker und Angela Merkel setzen auf den Rat Rifkins.
Foto: HO

STANDARD: Die zweite?

Rifkin: Die erste passierte in England, die zweite in den USA. Telefon, Radio und Fernsehen kamen mit einer neuen Energiequelle zusammen: Öl, und Henry Ford baute Autos für die Masse. Diese Revolution hat am Ende der 1990er-Jahre ihren Höhepunkt erreicht.

STANDARD: Nun die dritte?

Rifkin: Jetzt sind wir am Anfang der dritten Revolution. Das Internet wird mit digitalisierten Stromnetzen verbunden, die sich aus erneuerbarer Energie speisen, dazu kommen autonom fahrende Elektroautos. Wir steuern auf eine dekarbonisierte Wirtschaft zu. Und jetzt kommen wir zum Kollaps, von dem ich rede. Die vier großen Energiekonzerne in Deutschland haben all das nicht kommen gesehen. Der Wendepunkt kommt, wenn Solar und Wind auf einen Anteil von 14 Prozent kommen. Dann kollabiert das alte System. Dann brauchen wir keine Kohle oder Gas mehr als Backup. Global sind wir bei 7,5 Prozent. Studien zeigen, dass wir 2028 bei 14 Prozent sein werden.

STANDARD: Der Kollaps?

Rifkin: Alle Pipelines, die Raffinieren, die ganze Infrastruktur ist dann nicht mehr wirtschaftlich. Die Bank Citigroup sagt, es könnte zu 100 Billionen Dollar an Verlusten kommen. Ja, wirklich Billionen. Die Economist Intelligence Unit geht von mindestens 40 Billionen Dollar aus. Das ist die größte Blase in der Geschichte.

Rifkin ist als Vortragender gefragt.
Foto: HO

STANDARD: Noch ist das Speichern von Energie ein Problem.

Rifkin: Die Stromnetze müssen digitalisiert werden. Mit Algorithmen kann man Strom dann nutzen, wenn man ihn braucht, und Hoch- und Tiefpunkte ausgleichen. Dafür braucht man auch mehr Speicherkapazitäten, aber Batterien sind binnen weniger Jahre um 75 Prozent billiger geworden. Wenn wir auf E-Autos umsteigen, dann ist jedes einzelne davon ein Energiespeicher. Wenn man es nicht nutzt, lädt es der Algorithmus einfach auf, wenn es Überschussstrom gibt. Das ist keine Theorie, das passiert heute schon. Der Schlüssel ist, das Netz zu digitalisieren. Deutschland hat gerade angekündigt, investieren zu wollen. In China, wo ich den Fünfjahresplan mitausgearbeitet habe, werden 80 Milliarden Dollar in die Digitalisierung des Stromnetzes gesteckt.

STANDARD: Auch bei den E-Autos geht das alles aber sehr langsam.

Rifkin: Nur 2,5 Prozent aller neu gekauften Autos auf der Welt sind E-Autos. Aber auch hier passiert sehr viel. 2023 werden E-Autos, auch ohne Förderungen, mit Diesel und Benzinern mithalten können. 2026 werden sie billiger sein. 2028 werden sie 20 Prozent aller neu gekauften Autos ausmachen. Wenn man bei 20 Prozent E-Autos steht, ist das Ende von Öl erreicht. Zwei Drittel des Öls gehen für den Transport drauf. Der Kollaps.

STANDARD: Dann können wir uns ja zurücklehnen und abwarten?

Rifkin: Hier ist das Problem. Wenn wir in den nächsten zehn Jahren nicht die nötige Infrastruktur bauen, haben wir ein Vakuum. Fossile Energien stecken in allem. Dünger, Baumaterialien, Medikamenten. Theoretisch ist das Klimaziel von 1,5 Grad schaffbar, technisch geht das. Das Problem sind die Regierungen. Sie müssen handeln.

STANDARD: Wie konkret?

Rifkin: Zentral sind die Stromnetze. Was Transport und Solar- und Windkraft betrifft, braucht es keine Forschung mehr. Da sind wir schon dort. Stoffe wie Stahl oder Zement, die die Erde in der Produktion stark erhitzen, brauchen noch viel Forschung. Wir arbeiten mit Chemiefirmen, Chemikern und Biologen zusammen. Es werden etwa biologische Ersatzprodukte für petrochemische Produkte entwickelt. Das passiert, aber sehr langsam. Bei Zement und Stahl geht es auch voran. Die großen Airlines nutzen schon ein bisschen Biosprit, aber sehr wenig. Es braucht E-Flugzeuge und mehr Biosprit. Wir brauchen Bioplastik, Schmiermittel usw. Aber das sind die schwierigen letzten Meter in der Klimapolitik. Vieles andere lässt sich schon machen.

STANDARD: Viel Zeit bleibt nicht.

Rifkin: Das ist das Problem. Schaffen wir das alles rechtzeitig? Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Ich mache das seit 40 Jahren, und die Regierungen stehen immer schon auf der Seite der alten Interessen. Dabei gibt es viele Chancen für kleine und mittlere Hightech-Firmen. Perfekt für Österreich.

STANDARD: Was können unsere Leserinnen und Leser tun?

Rifkin: Das große Problem ist, dass es kein Narrativ gibt. Was ich hier erzähle, davon redet niemand. Lokale Regierungen oder Aktivisten machen Projekte, bauen da mal einen Radweg oder setzen einen Wasserstoffbus ein. Aber es gibt keine Erzählung über den Wandel. Die haben auch die Kinder, die für Klimaschutz auf die Straße gehen, nicht. Das Wichtigste ist, die richtige Geschichte zu erzählen. Viele sind verzweifelt, sie haben Angst. Sie sehen, dass der Klimawandel echt ist, und wir reden darüber, wie man Plastiksackerln recycelt. Sie wissen, das ist nicht genug. Ich habe mein neues Buch geschrieben, weil Menschen das Narrativ verstehen müssen. Dann kommt Zuversicht, und wir kommen ins Handeln.

Wenn Ihnen der Beitrag gefallen hat, melden Sie sich für den Newsletter an. Ich schreibe Ihnen, wenn im Rahmen der Serie ein neuer erscheint. (Andreas Sator, 11.10.2019)