Springer-Chef Matthias Döpfner 2018 bei der Medienenquete des damaligen Medienministers Gernot Blümel (ÖVP).

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Für Kontroversen in Medien und sozialen Medien sorgt Springer-Chef Mathias Döpfner mit seinem Kommentar zum Terroranschlag vor einer Synagoge in Halle. In "Nie wieder 'nie wieder'" konstatiert Döpfner auf der Titelseite der "Welt" ein "Systemversagen der offenen Gesellschaft": "Deutschlands Politik- und Medieneliten schlafen den Schlaf der Selbstgerechten und träumen den Wunschtraum der Political Correctness."

"Halle steht für die Entfesselung rassistischer Gewalt. Und vor allem für das Versagen des Staates in seinem zentralen Auftrag, dem Schutz des öffentlichen Raumes", schreibt Döpfner in seinem Kommentar in der Springer-Zeitung. Der Politik wirft der Springer-Vorstandschef "Toleranz gegenüber der Intoleranz" vor.

"Verschwiegen oder beschwichtigend verharmlost"

Döpfner wirft Verteidigungsministerin und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer eine "verbale Entgleisung" vor, als die Kanzlerkandidatin den Anschlag ein "Alarmzeichen" nannte. Sie stehe "symbolisch für eine politische Kultur der Euphemismen. Immer weniger wird noch benannt, wie es ist. Es wird verschwiegen oder beschwichtigend verharmlost. Und wenn einige wenige Medien die Fakten doch nennen oder grausame Bilder trotzdem zeigen, dann werden vielfach nicht die Tatsachen beklagt, sondern wird derjenige beschimpft oder gar der Aufwiegelung bezichtigt, der die Realität beschreibt."

Döpfner verweist etwa auf eine Reihe von Anschlägen und Vorfällen, über die vor allem ARD und ZDF nicht oder sehr allgemein berichtet hätten, und auf die Übergriffe in der Kölner Silvesternacht, die zu nur drei Verurteilungen geführt hätten. Deutschland toleriere, dass Kuwait Airways jüdische Passagiere ablehnte.

Brandbeschleuniger

Döpfner sieht das als "Systemversagen der offenen Gesellschaft". Deutschland dürfe "sich nicht wundern, wenn Judenhass langsam wieder gesellschaftsfähig wird und viele Juden sich ernsthaft die Frage stellen, ob Deutschland noch ihre sichere Heimat sein kann". Döpfner: "Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind in Deutschland wieder vital. Existiert haben sie immer. Entscheidend ist, wie die Mehrheit der Bevölkerung und ihre demokratisch gewählte Führung damit umgehen. Unser Umgang wirkt derzeit wie ein Brandbeschleuniger."

Der Vorstandsvorsitzende des Springer-Konzerns nennt als Hauptursachen "eine rechtsstaatlich sehr zweifelhafte Flüchtlingspolitik, die kaum unterscheidet zwischen Kriegsflüchtlingen und Wirtschaftsflüchtlingen", eine schlecht ausgestattete Polizei und eine "überforderte" oder teils "handlungsunwillige" Verwaltung und Justiz, eine "politische Elite, die die Realitäten verdrängt oder ihnen entrückt ist". Medien wiederum verschwiegen Ausländerkriminalität und stellten "Haltung oft über Fakten": "Das einseitige Verständnis für antisemitische Grundhaltungen mancher muslimischer Einwanderer verstärkt rechts- und linksradikalen Antisemitismus."

"Braucht dringend geistige Führung"

In Deutschland "verschieben sich die Koordinaten. Und es braucht dringend geistige Führung, um alte Feindbilder, neues Sektierertum und irrlichternde Heißblütigkeit und Kaltherzigkeit mit klarem Kompass zu kalibrieren", schreibt Döpfner.

Junge "Hoffnung" am falschen Ort

Hoffnung gebe "die ganz junge Generation, die sich politisch engagiert wie lange nicht mehr. Vor allem 15- bis 30-Jährige sind es, die beispielsweise in dem so wichtigen Kampf gegen eine verantwortungslose Klimapolitik aktiv werden und Verantwortung übernehmen. Eine schöne Geste wäre es da gewesen, wenn am Tag von Halle die Demonstranten der Extinction-Rebellion-Bewegung, als es um wirkliche Extinction ging, ihre Zelte am Potsdamer Platz abgebaut hätten und geschlossen zur Mahnwache vor der Synagoge in der Oranienburger Straße gelaufen wären. Ich hoffe, es war nur eine durch Zufall verpasste Chance."

Gleich danach schließt Döpfner mit: "Es braucht keine einzige Demonstration, sondern die Anwendung der Gesetze."

Lügenpresse-Pamphlet – überfällige Bestandsaufnahme

Zwei sehr weit auseinanderliegende Reaktionen aus der Debatte zu Döpfners Beitrag:

Medienkritiker Stefan Niggemeier schreibt von einem "ungeheuren, offenbar unredigierten Pamphlet" Döpfners: "Der Springer-Chef setzt sich an die Spitze der Lügenpresse-Rufer und behauptet, dass nur 'einige wenige Medien die Fakten nennen' und die Realität beschreiben. Wie kann so jemand gleichzeitig Präsident der Zeitungsverleger sein?"

Die wegen der Flüchtlingspolitik aus der CDU ausgetretene Ex-Politikerin Erika Steinbach, Vorsitzende der von der AfD gegründeten Desiderius-Erasmus-Stiftung, dankte Döpfner indes für den Kommentar auf Twitter: "Eine längst überfällige Bestandsaufnahme. Ich bin beeindruckt." Später twitterte sie: "Ein hervorragender Beitrag. Bis auf die Feststellung 'die AfD ist eine gruselige Alternative'."

(red, 11.10.2019)