Pünktlich zur Eröffnung der Messe schwang der britische Premierminister erneut das Damoklesschwert: Der Brexit, ließ Boris Johnson vollmundig verkünden, werde am 31. Oktober stattfinden, mit oder ohne Deal. Ein paar Tage später klang das zwar schon wieder anders; dass sich die allgemeine Nervosität auf der Insel aber bis in die weißen Großzelte der Frieze-Kunstmesse im Londoner Regent's Park niederschlagen würde, war klar.

Mit dem Plastikschießgewehr zur Whiskey-Tränke: Jonathan Meeses Cowboy-Saloon setzte auf der biederen Messe einen Kontrapunkt.
Foto: Courtesy Linda Nylind / Frieze

Sollte dies der letzte internationale Kaufrausch vor dem Rückfall in die Regionalität werden? Oder glaubt eh niemand wirklich an das EU-Austrittsszenario? Einig sind sich die meisten jener 160 teilnehmenden Galerien jedenfalls in der Ablehnung desselben. Und wenngleich viele bereits Vorbereitungen treffen, also Kunstwerke und Niederlassungen von der Insel abziehen, war bei den Käufern keinerlei Zurückhaltung zu spüren.

Die Zürcher Galerie Hauser & Wirth jubelte etwa schon nach drei Stunden der VIP-Preview über ein "Rekordjahr" mit verkauften Werken für 14 Millionen Dollar – Zahlen, die den antikapitalistischen Protest vor der Tür ebenso befeuern dürften wie sich innen drin der mexikanische Künstler Carlos Amorales bestätigt fühlen darf: Sein Werk Ghost Demonstration ist Teil der neuen kuratierten Schiene Frieze Live, die performative Arbeiten in die Messekojen integriert. Amorales lässt an die Wand gesprayte menschliche Umrisse Schilder mit Textfragmenten aus Punk-Songs hochhalten: "it ain't for revolution, it's just for cash", lautet ein besonders sinnfälliges.

Meeses Trash-Wunderkammer

Noch ein bisschen mehr Revolution als Cash war die Frieze bei ihrer Gründung im Jahr 2003, mittlerweile zeigt sich der Messenmulti aber brav, fast bieder, und macht kein Hehl daraus, im Zweifel auf das gut Verkäufliche denn Sperrige zu setzen. Im Händlerjargon heißt das, man habe sich "professionalisiert" – für Experimente sei bei der Unzahl an parallel laufenden Ausstellungen in der Stadt ohnehin genug Platz. Und das, muss man sagen, stimmt ja auch.

Stargalerist Gagosian protzt einem gleich am Eingang zur Messe mit knallgelb-orangen, nach abstrahiertem Obstkorb aussehenden Arbeiten von Sterling Rubey entgegen. Sie sollen reißenden Absatz gefunden haben, was nicht verwundert, weil sie tatsächlich jeden pechschwarzen Tag aufhellen und sich als Wertanlage lange behaupten dürften.

Als Kontrapunkt dazu sticht zum Beispiel eine Saloon-Rauminstallation von "Kunstdiktator" Jonathan Meese in der New Yorker Galerie David Nolan heraus. In der Koje, über und über mit Verweisen auf Grusel-Groschenheftchen, Karl May sowie Cowboy-und-Indianer-Spiel mit Eisernem Kreuz verziert, wird sogar Gratis-Whiskey ausgeschenkt. Meeses Trash-Wunderkammer gehört mit Fiona Banners Fart Carpet (Frith Street Gallery) -ein Teppich, der der etymologischen Verwandtschaft von "fart" mit dem Mittelhochdeutschen "farzen" nachspürt – zu den wenigen mit Ironie gespickten Arbeiten.

Die sonstige Spaßbefreiung tut mitunter aber sogar gut, weil klassische, oft figurative Malerei wieder stärker in den Fokus junger Künstler rückt, sehr zum Gefallen der Galeristen. Der Österreicher Thaddäus Ropac mit Niederlassungen in Salzburg, Paris und London zeigt sich im Gespräch mit dem STANDARD erfreut darüber, dass heute auf der Frieze "weniger gebastelt" werde als früher. Es gehe auch nicht mehr so stark darum, auf Biegen und Brechen junge Künstler zeigen zu müssen, sondern junge Kunst – "egal ob die Künstler nun 80 oder 28 sind".

Ausweichquartier Paris

Gesagt, getan: Restlos ausverkaufen konnte Ropac in London binnen kurzer Zeit jüngste Arbeiten des 81-jährigen Malerstars Georg Baselitz, das Bild Nicht, nicht verloren (2019) brachte gar 1,2 Millionen Euro. Dem Brexit sieht Ropac demonstrativ entspannt entgegen, wenngleich man "schon eine gewisse Endzeitstimmung hier spürt". Er selbst werde in den nächsten Wochen einige Werke nach Kontinentaleuropa, genauer nach Paris, zurückschicken, "so lange, bis sich die Situation geklärt hat. Es ist aber ein technisches Problem: Wir werden irgendwann neue Vorgaben haben und uns dann darauf einstellen."

Es verschiebe sich jetzt schon sehr viel nach Paris, "bei den Auktionen merkt man das sehr stark. Paris wird wesentlich wichtiger werden". Und darauf freut sich Ropac sogar. Auch die prominenten Kollegen David Zwirner oder Jay Jopling (White Cube) wollen demnächst auf Paris setzen.

"Man merkt besonders bei den britischen Künstlern, dass sie entsetzt sind, dass der Brexit stattfinden könnte", erklärt Ursula Krinzinger, die Grande Dame der Wiener Galerien-Szene. Sie hat neben einer Arbeit von Marina Abramovic (170.000 Euro) auch Kleinpreisigeres ab 2000 Euro anzubieten. Die Kosten für einen Messestand, verrät Krinzinger, lägen bei 70.000 Euro, "und dabei ist die Frieze noch günstig". Den jungen Galerien rät sie unbedingt "dranzubleiben, auch wenn du einmal nicht so gut verkaufst".

Beherzigt hat das Emanuel Layr mit Sitz in Wien und Rom. Nach Jahren in der Focus-Section, wo kleinere Galerien nur eine Position zeigen können, durfte Layr nun erstmals in der Galerien-Section ran. Den Brexit fürchtet er nicht wirklich: Steigende Zollkosten seien das geringste Problem, die politischen Folgen machten ihm mehr Sorgen. Dass London als Kunstdrehscheibe aber weiter wichtig bleiben wird, darin sind sich alle einig.

Die Antwort auf "Frieze oder stirb"? Eher Frieze.

(Stefan Weiss, Album, 12.10.2019)