Türkis-Grün scheint derzeit die wahrscheinlichste Variante zu sein. Auch Sebastian Kurz, so lässt er ganz vorsichtig durchblicken, kann dem viel abgewinnen. Und er kann das zu Fall bringen. Denn Türkis-Grün nach den Vorstellungen von Kurz wird die Grünen unweigerlich in eine gewaltige Zerreißprobe führen.

Am Ende der Verhandlungen wird die Entscheidung für die Grünen lauten: Verweigern sie sich einer gemeinsamen Regierung mit der ÖVP, dann wird wohl Türkis-Blau rauskommen, und die Grünen können gar nichts umsetzen. Gehen sie in eine Regierung mit Kurz, können sie in Sachen Klimaschutz etwas weiterbringen, müssten in vielen anderen Bereichen aber einen ÖVP-Kurs dulden, der ihnen große Schmerzen bereiten würde. Das würde parteiintern zu heftigen Diskussionen führen und könnte sich in einer Enttäuschung der Wähler manifestieren, denen Umweltschutz zwar ein Anliegen ist, die insgesamt aber andere Erwartungen an die Grünen haben.

Kurz hat offenbar vor, den Grünen in Fragen des Klimaschutzes ein umfassendes Angebot zu machen und ihnen weit entgegenzukommen. Wenn er das ernst meint, und dafür gibt es Anzeichen, dann wird das mehr als nur Symbolpolitik mit Beruhigungscharakter sein. Das würde Österreich guttun. Das würde auch Kurz guttun, das weiß er selbstverständlich auch.

Sondierungsgespräch Sebastian Kurz und Werner Kogler.
Foto: Matthias Cremer

Im Gegenzug zu diesen Zugeständnissen in der Umweltpolitik würde Kurz von den Grünen wohl verlangen, dass sie ihm in anderen Bereichen, die ihm wichtig sind, entgegenkommen. Da weiß Kurz sehr genau, was er will – und warum er es will. Der Wahlsieg im September wurde Kurz immerhin durch 260.000 neue Wähler, die er der FPÖ abspenstig machen konnte, abgesichert. Auch diesen ist er im Wort. Prinzipiell hat sein sehr strikter Kurs im Umgang mit Flüchtlingen Zustimmung erfahren. Da wird er nicht bereit sein, von diesem abzurücken.

Falsche Einschätzung

In der Frage der Mindestsicherung, deren Reform auf eine Schlechterstellung von Migranten und auch deren Kindern abzielte, ist Kurz zu keinerlei Zugeständnissen bereit. Die Grünen haben diese Reform als ungerecht kritisiert. In einer Koalition mit der ÖVP müssten sie sich wohl damit abfinden – und mit einigem mehr. Auch in der Rhetorik wird Kurz kaum zurückschalten. Warum sollte er auch? Der scharfe Ton hat seinen Erfolg begründet. Kurz ist der Meinung, die Grünen mögen sich bei einer allfälligen Koalition auf ihr Kernthema konzentrieren und alles andere ihm überlassen.

Möglicherweise schätzt Kurz die Grünen, ihre Funktionäre und ihre Wähler, falsch ein. Ihnen geht es nicht nur um gute Luft, ihnen geht es auch um ein gutes Gewissen. Und das bedingt mehr, als der nächsten Generation eine halbwegs heile Welt zu hinterlassen. Es geht – bei aller Bequemlichkeit im eigenen Bereich – um soziale Verantwortung. Da kann man trefflich über den Umgang mit Flüchtlingen und im Konkreten um die Handhabung der Mindestsicherung streiten.

Kurz wird den Grünen diesen Zwiespalt zumuten: in die Regierung zu kommen und etwas für die Umwelt, aber sonst wenig tun zu können und damit möglicherweise auch ein paar Prinzipien zu verraten. Oder nicht in die Regierung zu kommen und dann eben gar nichts tun zu können. In beiden Fällen wird man den Grünen mangelnde Verantwortung vorwerfen können. Es kann gut sein, dass es die Grünen entlang dieser Frage zerreißt. Dann wäre wieder die FPÖ am Zug. (Michael Völker, 11.10.2019)