Kein Abend für schwache Gemüter: "Die Stunde da wir nichts voneinander wussten"

Karlheinz Fessl

Wäre der Donnerstag dieser Woche nicht schon Kärntner Landesfeiertag gewesen, er wäre dazu ausgerufen worden. Wer nicht bei den Feierlichkeiten zum 99. Jahrestag der Volksabstimmung unabkömmlich war, kam ins Stadttheater Klagenfurt. Am Abend nach der Bekanntgabe der Nobelpreisverleihung an den in Griffen geborenen Peter Handke war dessen Schauspiel Die Stunde da wir nichts voneinander wußten angesetzt.

Rundum war der Kärntner Autor Thema. Die Zuerkennung des Preises an Handke sei so lange erwartet worden, dass sie jetzt schon wieder unerwartbar war, zeigte sich Verleger Lojze Wieser ganz perplex. Schriftstellerin Maja Haderlap, zur Premiere in Begleitung von Ex-Burgtheaterdirektorin Karin Bergmann erschienen, drückte ihre Freude darüber aus, dass die Würdigung einer Literatur gelte, die nicht dem großen Ereignis auf der Spur sei, sondern der Wirklichkeit allein mit den Mitteln der Sprache.

Obwohl auf der Bühne zwei Stunden lang kein Wort fällt, liefert die Inszenierung ein eindrucksvolles Beispiel für die Macht szenischer Anweisungen. Regisseur Robert Schuster führt, in Weiterentwicklung der Praktiken von Moshé Feldenkrais, mit dem Choreografen Martin Gruber die sechs Darstellerinnen und sechs Darsteller mit fantasievollen Requisiten über die offene, im Hintergrund von einem wallenden Tuch begrenzte Bühne. Das nimmt Handke beim Wort. "Je länger man schaut, desto halluzinatorischer kann das werden", hatte dieser 1992 vor der Uraufführung des Werks gemeint.

Kein Hauch von Empathie

Verstärkt wird der zunehmend halluzinatorische Eindruck auch durch eine Steigerung, die sich aus der Abfolge der Bilder dieses Weltkaleidoskops ergibt. Denn irgendwie finden wir uns hier ja auf einem Jahrmarkt, in dem uns einer durch einen Apparat die Monstrosität der Menschheitsgeschichte enthüllt. Sehr schnell heulen Sirenen, Invalide schleppen sich durch einen Aschenregen, das zwölfköpfige Ensemble versagt sich eindrücklich jeden Hauch von Empathie.

Es ist eine mitleidlose, surreale Welt der Gewalt. Bis zur Schlussszene, in der sich das Ensemble in einer gespenstischen Fronleichnamsprozession verabschiedet, ist der Abend nichts für schwache Gemüter. Am wenigsten der Aufmarsch der Lemuren, die melancholisch einer Trauermusik lauschen, die von Neugeborenem-Geschrei konterkariert wird. Ein düsteres Stück. Entwickelt im Städtchen Muggia an der slowenischen Grenze. Geschrieben im Jahr des Jugoslawienkriegs 1991. (Michael Cerha, 12.10.2019)