Sie heißt Margrethe und nicht David. Doch als eine ihrer Hauptaufgaben sieht es die künftige EU-Vizepräsidentin an, gegen Goliath anzutreten.

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Donald Trump hält ganz generell nicht sehr viel von europäischen Politikern, noch weniger, wenn sie weiblich sind. Sogar bei offiziellen Treffen deckt der bekennende Grapscher die transatlantischen Partner mit aggressiven Wortkaskaden ein. Insbesondere Angela Merkel lässt er gönnerhaft Herablassung spüren. Bei einer anderen führenden Politikerin in der EU hingegen überzog der US-Präsident seine Attacke auf eine Weise, dass man meinen könnte, er fürchte sich geradezu vor ihr: bei Margrethe Vestager.

"Sie hasst die USA mehr als jede andere Person, die ich jemals getroffen habe", tobte Trump im vergangenen Juni, ohne die 51-jährige Dänin beim Namen zu nennen, sie verklage "alle unsere Unternehmen". Der alte Mann im Weißen Haus ist aus dem Häuschen, weil Vestager als EU-Kommissarin für Wettbewerb es in den vergangenen Jahren tatsächlich geschafft hatte, unter anderen die Internetriesen Google, Apple und Facebook zu milliardenschweren Strafen zu verdonnern.

Konzerne mussten zahlen

Auch wenn die Konzerne mit Heerscharen von Anwälten gegen die Strafmaßnahmen der EU-Wettbewerbshüter vorgingen (und weiter vorgehen), blieb ihnen nichts anderes übrig als zu zahlen und auf die Änderungswünsche aus Brüssel einzugehen, wenn sie weiter im lukrativen europäischen Binnenmarkt ihre Geschäfte machen wollten.

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Drei Favoriten für das Amt des Kommissionspräsidenten, die allesamt scheiterten. Vestager, Timmermans und Weber.
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Der Beißreflex des US-Präsidenten scheint zu funktionieren: Er hatte zielsicher eine der künftigen Größen der europäischen Politik aufgespürt. Vestager kehrt nach dem Auslaufen ihres Mandats im Team von Jean-Claude Juncker nicht nach Hause zurück. Sie wird – neben der neuen Euro-Zentralbankchefin Christine Lagarde aus Frankreich und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen aus Deutschland – weiter zur Elite europäischer Politikmacherinnen gehören.

Die Konstellation ist durchaus heikel. Denn Vestager, die als Linksliberale der dänischen Partei Radikale Venstre der Parteifamilie von Europas Liberalen angehört, wollte nach den Europawahlen im Mai selbst Präsidentin der Kommission werden und genoss dabei die Unterstützung von Emmanuel Macron. Frankreichs Präsident vollzog allerlei Winkelzüge, um seine Favoritin gegen Manfred Weber und Frans Timmermans an die Kommissionsspitze zu hieven.

Topagenden übernommen

Die Aktion ging schief, die Männer scheiterten so wie Vestager. Ursula von der Leyen kam am Ende zum Zug. Und diese suchte mit den Verlierern im Match um den Präsidentensessel den Ausgleich: Die Deutsche schlug den Niederländer Timmermans und die Dänin als ihre "ersten Vizepräsidenten" vor – auf Augenhöhe, wie sie betonte.

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Vestager gilt als äußerst strukturiert.
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So fand die europäische Karriere der früheren dänischen Bildungs-, Wirtschafts- und Finanzministerin nicht nur eine Fortsetzung, sondern auch eine gravierende Aufwertung: Sie wird in den kommenden fünf Jahren als Fachkommissarin weiterhin für die Überwachung des Wettbewerbs zuständig sein – eine wegen der Relevanz im Binnenmarkt und im EU-Recht absolut zentrale Position. Und Vestager wird als Vizepräsidentin gleichzeitig Chefin der gesamten Digitalagenden sein, diese fächerübergreifend betreuen, mit den Forschungsagenden.

Linksliberale aus Dänemark

Im Blick zurück auf frühere EU-Kommissionen kann man rasch zum Schluss kommen: Eine so einflussreiche Kommissarin hat es seit der Schaffung der EU-Zentralbehörde im Jahr 1967 noch nie gegeben, sieht man jetzt einmal von von der Leyen ab.

Wer ist also diese Politikerin aus Dänemark, 51 Jahre alt, verheiratet, drei Kinder, Tochter eines Pastors (wie Merkel) und einer Pastorin, ältestes Kind mit drei Geschwistern, die schnell und erfolgreich Wirtschaftswissenschaften studierte, ihre berufliche Karriere dann gleich auch im Finanzministerium in Kopenhagen begonnen hat?

Sie kommt aus einem modernen Land, in dem Gleichberechtigung, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf so selbstverständlich sind wie der Wind, der die Batterie von Windrädern zur Energieerzeugung in der Bucht von Kopenhagen betreibt. Und Vestager stammt aus einer sehr politischen Familie. Ihr Ururgroßvater hatte die sozialliberale Partei Det Radikale Venstre gegründet. Sie selber wurde bereits mit 25 Parteichefin, krempelte die Bewegung um, ehe sie in die Regierung eintrat. Eine Macherin durch und durch, sehr nüchtern, weshalb sie auch als "Eiskönigin" tituliert wurde.

Expraktikantin als Vizepräsidentin

Sieht man Vestager beim Arbeiten zu, wie am Dienstag bei ihrem makellosen Auftritt im Zuge der dreistündigen Anhörung vor den zuständigen Ausschüssen des EU-Parlaments, so bestätigt sich dieses Bild in jeder Hinsicht. Sie spricht vollkommen durchstrukturiert, schweift selten ab. Als ein Abgeordneter eine Frage an sie in ein sehr kritisches Statement umbiegt, sagt sie höflich nur: "Ich bin nicht ihrer Meinung" und schweigt dann – was ihr Applaus einbringt. Eine sanfte Emotion ließ sie nur spüren, als sie eingangs erwähnte, dass sie das Europäische Parlament einst "als Praktikantin" erstmals betreten habe – und wie stolz sie sei, jetzt als Kandidatin für das Amt einer Vizepräsidentin zur Prüfung ihrer Eignung vor den Abgeordneten zu sitzen, obwohl es auch einige sachliche Einwände gab. So besteht eine gewisse Unvereinbarkeit, einerseits den fairen Wettbewerb zu überwachen und gleichzeitig für die Entwicklung der digitalen Welt in Europa verantwortlich zu sein. Die Dänin räumte ein, dass das heikel sei. Sie werde die Dinge sauber auseinanderhalten.

Siemens-Chef Joe Kaeser und Alstom-Boss Henri Poupart-Lafarge wollten die Bahnbereiche der beiden Konzerne fusionieren, scheiterten aber an Vestager.
Foto: AFP/Thomas Samson

Heikel ist dabei eine Untertreibung: Frankreich und Deutschland träumen von europäischen Industriechampions und setzen ihr politisches Gewicht auch in wirtschaftlichen Fragen ein. Die Fusion der Bahnbereiche von Alstom und Siemens war so ein Projekt, das die Dänin platzen ließ. Oder den Zusammenschluss der Börsen von Frankfurt und London, mit dem ein europäisches Gegengewicht zur Wall Street geschaffen werden sollte.

Amazon im Visier

Derart rigorose Entscheidungen sind in Europa nicht populär. Doch die EU benötigt die Härte im eigenen Territorium, will sie sich bei Auflagen gegenüber amerikanischen und künftig wohl auch chinesischen Konzernen nicht angreifbar machen. Glaubwürdigkeit wird ein hohes Gut sein, wenn neue Entscheidungen anstehen. Gegen Amazon beispielsweise laufen Verfahren, weil sich Händler vom Online-Handelsgiganten missbraucht sehen, wenn sie Waren und Dienstleistungen auf dessen Plattform anbieten.

Generell bekämpft Vestager die Datenhoheit von Google und Co und will, dass Big Data auch anderen Unternehmen zugänglich gemacht werden. Letztlich wird es wieder auf den Kampf EU gegen USA hinauslaufen, weil die großen Tech-Konzerne aus Amerika stammen. Vestager gilt als Garantin dafür, dass sich die US-Riesen und der Chef im Weißen Haus weiter verfolgt fühlen werden. Sie wird ihre Lieblingsrolle mit Verve weiterspielen, die da heißt: Frau David gegen Goliath. (Thomas Mayer, Andreas Schnauder, 13.10.2019)