Trotz Kritik an seiner Person Nobelpreis für Abyi Ahmed.

Foto: AFP / Zacharias Abubeker

Respekt vor der Macht des Faktischen gehört nicht zu Abiy Ahmeds starken Seiten – schon bevor er am Freitag den Nobelpreis gewann. Als der damals 41-Jährige vor eineinhalb Jahren zu Äthiopiens Premier erkoren wurde, ließ er erst einmal den alten Palast im Herzen der Hauptstadt Addis Abeba entrümpeln, in dem bereits Menelik II., Haile Selassie sowie der "rote Diktator" Mengistu herrschten. Aus dem dunklen Gemäuer, in dem Menelik seine Feinde foltern ließ, wurde eine moderne Schaltzentrale mit Videowänden, weißen Fliesen und schönem Mobiliar. "Ich will ein futuristisches Büro", sagte er vor Journalisten.

Auch Bescheidenheit scheint keine Eigenschaft des nunmehrigen Nobelpreisträgers zu sein. Innerhalb eines einzigen Jahres habe er bereits großartigere Dinge geleistet als viele andere Regierungschefs, vertraute Abiy Ahmed Anfang des Jahres Reportern der Financial Times an: "Und dabei habe ich erst ein Prozent dessen verwirklicht, was ich mir vorgenommen habe." Mit bloßer Angeberei haben solche Töne jedoch nichts zu tun. Denn tatsächlich hatte der ehemalige Nachrichtendienstoffizier schon wenige Monate nach der Amtsübernahme seine erstarrte Heimat in den derzeit hellsten Stern am afrikanischen Firmament verwandelt.

Einigungsversuche

Seine Wahl zum Regierungschef war ein überraschender Glücksfall in einer sonst oft trostlosen Nation. Im März 2018 lieferten sich Demonstranten tödliche Schlachten mit der Polizei, die Gefängnisse füllten sich, im Parlament war nur eine einzige Partei vertreten – die Äthiopische Demokratische Volksfront (EPRDF). Ihre Führung hatte das Land 1991 vom roten Terror Mengistus befreit und auf wirtschaftlichen Erfolgskurs gebracht: Doch die Front wurde von einer ethnischen Minderheit, den Tigre, beherrscht, die ihre Dominanz mit Notstandsrecht und Schießbefehl zu verteidigen suchten. Abiy (Äthiopier nennen sich bei ihren Vornamen) wurde als Sohn eines muslimischen Oromo-Vaters und einer christlichen Amhara-Mutter geboren: der erste Omoro-Führer in der Geschichte des Landes.

Im Juli 2018 dann der größte Paukenschlag. Abiy erklärt überraschend das Ende des Bruderzwists mit Eritrea, das sich 1993 von Äthiopien abgespaltet hatte und fünf Jahre später in einen absurden Grenzkrieg mit dem großen Nachbarn geriet. Der Frieden mit Eritrea wird in der Begründung für die Nobelpreisverleihung besonders hervorgehoben: Doch wer erwartet hatte, dass dem Frieden nun auch ein Frühling in dem diktatorisch geführten Eritrea folgen würde, sah sich getäuscht. Präsident Isaias Afwerki ergriff zwar die ausgestreckte Hand Abiys, hielt jedoch am eisernen Griff über seine Heimat fest.

Attentsversuch

Allerdings drohen Abiys Reise in die Zukunft noch erhebliche Gefahren. Schon kurz nach der Amtsübernahme überlebte der Premierminister einen Attentatsversuch, wenig später bekam er von Soldaten Besuch, die ihn nach Abyis Worten aus dem Amt putschen wollten. Der charismatische Ex-Offizier will die heikle Situation gemeistert haben, indem er die Meuterer zu einem Wettkampf in Liegestützen bewegte.

Genauso galant wird er seine größte Herausforderung wohl nicht lösen können. Von der demokratischen Öffnung ermuntert formieren sich derzeit überall im Land Bewegungen, die sich für mehr Rechte ihrer Bevölkerungsgruppe einsetzen. (Johannes Dieterich, 11.10.2019)