PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski bei einer Wahlkampfveranstaltung im südostpolnischen Kielce. Das Motiv im Hintergrund gibt Aufschluss über die Kernwählerschaft der Partei: ländlich, patriotisch, konservativ.

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Wenigstens darüber sind sich fast alle einig: Die Parlamentswahl am Sonntag ist Polens wichtigste Wahl seit 30 Jahren. Das Ergebnis entscheidet, in welche Richtung sich das Land in den nächsten Jahren entwickeln wird. Erhält die nationalkonservative PiS genug Stimmen, um allein regieren zu können, kann sie ihren Kurs der vergangenen vier Jahre fortsetzen. Muss sie eine Koalition eingehen, wird es anstrengender für die Partei von Jaroslaw Kaczynski.

Den ersten Platz spricht der PiS keiner mehr ab. In Umfragen erhält sie im Durchschnitt 47 Prozent der Stimmen. Die drei Oppositionsblöcke kommen zusammen ebenfalls auf 47 Prozent, die rechte Konfederacja auf etwa fünf Prozent. "Das wahrscheinlichste Szenario", sagt Mikolaj Czesnik, Direktor des Instituts für Sozialwissenschaften an der Universität SWPS in Warschau, sei, "dass die Konfederacja an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert und die PiS nach Mandaten knapp besser abschneidet als bei der Wahl von 2015".

Behält Czesnik recht, stellt die PiS die nächste Regierung wieder allein, erhält aber nicht genug Mandate, um die Verfassung zu ändern. "Eine konstitutionelle Mehrheit von 307 Mandaten schließe ich aus", sagt Czesnik. "Aber das heißt nicht viel, denn auch mit 235 Mandaten hat die PiS in den vergangenen Jahren keine Abstimmung im Parlament verloren und verfassungswidrige Gesetze eingeführt."

Neu formierte Opposition

Schneidet die PiS schlechter ab, dürfte die Suche nach einem Koalitionspartner schwierig werden, glaubt Beata Roguska, Leiterin des Politikteams am Umfrageinstitut CBOS: "Die PiS signalisiert den anderen Parteien klar, dass sie allein regieren möchte, und grenzt sich von ihnen ab." Wenn das nicht klappt, kommt die Konfederacja als Partner infrage, und notfalls auch die Bauernpartei PSL, deren Wähler sich von der PiS jedoch mehrheitlich distanzieren.

Die Opposition hat aus ihren Fehlern bei der Parlamentswahl 2015 und bei der EU-Wahl im Mai gelernt: 2015 traten die linken Parteien getrennt an – und verpassten den Einzug ins Parlament. Bei der EU-Wahl schlossen sich dann die liberalkonservative Bürgerplattform (PO), die PSL, die liberale Nowoczesna, die Sozialdemokraten und die Grünen zur Europäischen Koalition zusammen. Für viele Wähler war jedoch mindestens eine Partei in diesem Mix nicht wählbar.

Deshalb hat sich die Opposition für die Wahl am Sonntag in drei Blöcke aufgeteilt: Die Bürgerkoalition vereint PO, Nowoczesna, Grüne und die neue Partei Polnische Initiative. Links davon steht die Linke, ein Bündnis aus den Sozialdemokraten, der linken Razem und Wiosna, der neuen Partei des Medienlieblings Robert Biedron. Die PSL tritt allein an. Laut Umfragen werden alle drei ins Parlament einziehen.

Politische Busreisen

Insgesamt verlief der Wahlkampf eher statisch, die meisten Wähler wissen seit Monaten, wem sie ihre Stimme geben werden. Nur Freunde der Bürgerkoalition und der Linken schwanken öfter zwischen beiden Gruppen. Die Parteien versuchten also, vor allem ihre eigenen Anhänger zu motivieren: In Bussen reisten PiS-Politiker von Kleinstadt zu Kleinstadt und veranstalteten Picknicks. Sie gewinnen meist auf dem Land und in Kleinstädten – und dort vor allem Arbeiter und Menschen mit Mittel- und Berufsschulabschluss. Die Opposition überzeugt Großstädter, Unternehmer und Polinnen und Polen mit höherem Schulabschluss.

Hoffnung der Linken

Offenbar ist es den meisten Parteien tatsächlich gelungen, ihre Anhänger zu mobilisieren. Beata Roguska rechnet mit einer Beteiligung von etwa 60 Prozent – so hoch wie seit dem Wendejahr 1989 nicht. Die Wähler der Linken gehen zu den Urnen, weil ihre Parteien nach vier Jahren wieder ins Parlament einziehen könnten, die Wähler der Bürgerkoalition, um die PiS zu verhindern. Siegerin ist voraussichtlich dennoch die Partei von Jaroslaw Kaczynski und Premier Mateusz Morawiecki. Sie führte einen Wahlkampf mit klaren Botschaften und sozialpolitischen Versprechungen – und fand damit auch außerhalb ihres Stammelektorats Zuspruch.

Egal, wie das Ergebnis ausfällt: Eine dramatische Wende erwartet der Sozialwissenschafter Czesnik nicht. In einer Koalition müsste die PiS ohnehin Kompromisse eingehen. "Aber auch wenn sie allein regiert, wird sie das Tempo herunterfahren", glaubt Czesnik. Zwar werde die Partei ihre Pläne weiter vorantreiben, dabei aber versuchen, allzu starke Polarisierung zu vermeiden: "Die PiS weiß, dass die polnische Gesellschaft von den vergangenen Jahren erschöpft ist – und sich nach Ruhe sehnt." (Olivia Kortas aus Warschau, 13.10.2019)