Ohne Bahnstrom fährt kein Zug. Um die zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg erbaute Starkstromleitung zwischen St. Veit nach Villach wird erbittert prozessiert.

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Wien – Begonnen hat alles vor vier Jahren. Im September 2015 bekam Gerald K. Post von der ÖBB. Die für Bahnbau und -betrieb zuständige ÖBB-Infrastruktur teilte dem in Wien lebenden Freiberufler mit, dass sich die von seinen Eltern geerbten Grundstücke in Trabenig in Wernberg nahe Villach in einem "Gefährdungsbereich der Hochspannungsleitung" befinden. Er möge mit der ÖBB einen "Dienstbarkeitsvertrag" schließen, weil bei der Bahn-Starkstromleitung Reparaturen anstehen.

Verwundert forschte K. nach und stellte fest: Die Bahn verfügt nicht über die für Bau- und Wartung nötigen Servitute. Auch eine Betriebsbewilligung für die 1955, also zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg errichtete, aus vier Seilen plus Erdung bestehende Starkstromleitung gibt es nicht. Das sollte sich im Zuge der nachfolgenden Behörden- und Gerichtsverfahren herausstellen. Inzwischen liegt die Causa beim Oberlandesgericht Graz, wo einander die Streitparteien unversöhnlich gegenüberstehen.

Recht ersessen

Für die ÖBB geht es um viel. Sie musste fürchten, für die rund 60 Jahre alten Anlagen eine Betriebsgenehmigung zu erwirken, inklusive Unwägbarkeiten, die die Durchführung der dafür notwendigen aufwändigen Umweltverträglichkeitsprüfung mit sich bringen. Die Bundesbahn bestreitet inzwischen zwar nicht mehr, die alte, über 180 Masten gespannte 110-Kv-Freileitung zwischen St. Veit an der Glan und Villach, mit der die Südbahn mit Strom versorgt wird, ohne Betriebsbewilligung zu betreiben. Sie behauptet allerdings, sie brauche keine und beruft sich dabei just auf das knapp vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erlassene Reichsbahngesetz aus dem Jahr 1939.

Bei der Starkstromfreileitung der Bahn zwischen St. Veit und Villach sind nach Jahrzehnten der Nutzung gröbere Sanierungsarbeiten notwendig.

Aber der Reihe nach. Die Materie ist komplex, verläuft in mehreren Strängen, es ergingen Bescheide, Urteile und Erkenntnisse.

· Verwaltungsverfahren Um gegen diese Bewilligungslosigkeit vorzugehen, wandte sich K. an die Bezirkshauptmannschaft Villach-Land, die die Anzeige prompt an den Magistrat Wien am Sitz der ÖBB-Infrastruktur im zweiten Bezirk. Da der Magistrat dem Kläger Parteienstellung verwehrte, brachte dieser Beschwerde ein. Und siehe da: Das Landesverwaltungsgericht Wien attestierte, dass eine Betriebsgenehmigung für die in die Jahre gekommene Stromleitung nicht vorliegt. Enteignungshandlungen waren nie durchgeführt worden, Entschädigungen zahlte die Bahn an Tausende betroffene Grundstücksbesitzer nie.

Genau das ist der Knackpunkt. Ein vom Kläger beauftragter Sachverständiger bezifferte die Wertminderung des Grundstückes aufgrund der Überspannung mit 188.308,46 Euro. Davon will der Kläger zumindest einen Teil sehen, denn das sonnige Grundstück mit Blick auf die Karawanken gilt wegen der Stromkabel als nahezu unverkäuflich. Mit 4500 Euro abspeisen lassen, wie eine Nachbarin, wolle er sich nicht.

·Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien Wohl um den Druck auf den widerspenstigen Grundeigentümer zu erhöhen, klagte die ÖBB-Infrastruktur ihrerseits 2017 vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen auf Einverleibung des Servituts – und bekam zumindest teilweise recht. Die Enteignung wurde "ersessen", befand das Gericht im Justizpalast. Der Grundeigentümer muss die Dienstbarkeit akzeptieren und die "Duldung der 110Kv-Hochspannungsfreileitung ist verbüchert. Auch wurde ein Höhenkorridor festgelegt, die fünf Stromkabel müssen 8,60 bis 13,20 Meter vom Boden entfernt hängen.

Ein Freibrief für die ÖBB ist dieser Spruch trotzdem nicht, denn die Richterin verhängte gleichzeitig ein Betretungs- und Umbauverbot gegen die ÖBB, weil, vereinfacht ausgedrückt, nicht ersessen wurde, was die ÖBB hinsichtlich Erhaltung der Leitung jahrzehntelang nicht nutzte. Mit ihren Berufungen gegen den für beide Seiten unbefriedigenden Spruch vor dem Oberlandesgericht Wien blitzten in der Folge beide Streitparteien ab, die ordentliche Revision wurde abgewiesen.

· Verkehrsministerium Um die inzwischen einigermaßen verfahrene Situation aufzulösen, informierte der Grundeigentümer 2016 parallel zum Gerichtsverfahren die Eisenbahnbehörde im Verkehrsministerium. Diese bestritt nicht, dass Bewilligungen fehlen, zog aber einen den Gerichtsurteilen diametral widersprechenden Schluss zugunsten der ihr unterstellten ÖBB: Die im Krieg gebaute Bahnstromleitung brauche keine Betriebsbewilligung, weil Reichsbahnanlagen und Betriebsmittel gemäß §24 Reichsbahngesetz 1939 gar keine Abnahmen durch andere Behörden brauchten, sofern diese "der Sicherheit und Ordnung genügen".

Sämtliche später ergangene Gesetze Vorschriften – 1943, also noch während des Krieges wurde das Reichsbahngesetz novelliert und sah danach ebenso Bewilligungen vor wie das Eisenbahngesetz der Republik Österreich aus dem Jahr 1955. Die bis 1957 befristet erteilte vorläufige Betriebsbewilligung jedenfalls ist definitiv längst erloschen.

·Volksanwaltschaft Das Ministerium ignoriert damit auch den Befund der Volksanwaltschaft, die im Oktober 2018 einen Missstand in der Verwaltung attestierte, "weil es die mit der Vollziehung des Eisenbahngesetzes betrauten Behörden in einem Zeitraum von über 60 Jahren unterlassen haben, den bewilligungslosen Betrieb der in Rede stehenden Anlage festzustellen und die daraus folgenden Konsequenzen zu ziehen".

·Landesgericht Klagenfurt Nun ist das Oberlandesgericht Graz am Zug, dort versucht Gerald K. zumindest die vom Landesgericht für Zivilrechtssachen in Wien verordnete Einhaltung des Höhenkorridors zu erwirken. Denn bei Hitze dehnen sich die Kabel aus und die Leitungen hängen tiefer. Gegen diesen Spruch hat die ÖBB im September beim Oberlandesgericht Graz Rekurs beantragt und sucht selbigen mit dem Reichsbahngesetz 1939 zu legitimieren. (Luise Ungerboeck, 12.10.2019)