Andrea Petkovic will nächstes Jahr noch spielen.

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In Linz läuft es für die 32-Jährige gut.

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"Als Tennisspieler wartet man vor allem"

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Manchmal dauert die Massage eben länger. Aber es lohnt sich. Andrea Petkovic (32) kommt entspannt zum Gespräch, lächelt viel, nimmt sich Zeit. Überhaupt läuft es für die Deutsche aus Darmstadt gut beim Turnier in Linz, am Freitag zog sie ins Halbfinale ein. Aber Petkovic ist mehr als Tennis: Ihr Essay "Tennis vs. Tennis" für das Magazin Racquetmag erhielt eine bemerkenswerte Erwähnung im Sammelband Best American Sports Writing 2019.

STANDARD: Gratulation!

Petkovic: Danke, es war ein gutes Match.

STANDARD: Gemeint war auch, dass Ihr Essay für das "Racquet Magazine" ausgezeichnet wurde.

Petkovic: Ja das kam ziemlich überraschend. Ich wusste gar nicht, dass der Chefredakteur des Magazins die Geschichte eingereicht hatte. Es freut mich sehr.

STANDARD: Manche Sportler sind ganz froh darüber, wenn man nicht gleich über den Beruf spricht.

Petkovic: Ich habe kürzlich Barbara Strycova fürs Racquet Magazine interviewt und ganz ohne Tennis angefangen. Wir Sportler haben unsere Antworten – wie Roboter. Gar nicht weil wir's wollen, aber die Fragen sind oft die gleichen. Und da hast du schon die Antworten im Kopf parat. Wir haben über Mode gesprochen, da musste sie andere Antworten finden.

STANDARD: Was wäre ein gutes Thema bei Ihnen?

Petkovic: Vielleicht Literatur.

STANDARD: In Ihren Kolumnen bei der "Süddeutschen Zeitung" thematisieren Sie das Leben auf der Tour. Was sind die Probleme?

Petkovic: Der größte Schock war für mich die Einsamkeit. Meine Eltern hatten nicht viel Geld, ich bin meistens allein gereist. Das ging vielen ähnlich. Bei den kleineren Turnieren wird man so viel schneller in Freundschaften verwickelt. Man muss sich gegenseitig helfen. Aber wenn man Profi ist, ändert sich das. Jeder ist für sich, jeder hat sein Team. Es ist zwar alles freundlich, aber jeder versucht, seine Privatsphäre zu schützen. Da wird man einsam.

STANDARD: Wie entkommt man dem?

Petkovic: Es liegt an einem selbst, aktiv auf andere zuzugehen und sich zusammenzuschließen. Wenn man fragt, ob jemand einen Kaffee trinken gehen möchte, sind alle dabei. Sonst ist jede in ihrem Ding gefangen. Ich habe Jahre gebraucht, um zu lernen, dass man aktiv auf andere zugehen muss.

STANDARD: Was waren die großen Kreuzungen in Ihrer Karriere?

Petkovic: Das Schwierigste für mich war, als ich mich dreimal hintereinander schwer verletzte. Da war ich auch noch jung und naiv. Es sind die großen Krisen des Lebens, und das gilt nicht nur für den Sport. Vielleicht ist es eine Beziehung, die kaputtgeht, oder ein Elternteil, der stirbt. Bei mir waren es eben die Verletzungen.

STANDARD: Verliert man das Grundvertrauen?

Petkovic: Ja. Als Kind denkt man immer: Alles wird gut. Man wächst mit Filmen auf, die einem genau das vermitteln. Und da dachte ich mir zum ersten Mal: Vielleicht wird nicht alles gut. Wieso erwischt es mich wieder, ich habe meine Strafe doch jetzt abgesessen? Da hatte ich eine große Lebenskrise mit dem Hintergrund, dass das Leben nicht so läuft, wie man es sich vorstellt. Ich habe lange gebaucht, um das zu überwinden, zu verarbeiten und weiterzumachen.

STANDARD: Niederlagen gehören zum Sport. Macht man sich zuweilen aber Gedanken darüber, ob man im Leben gescheitert ist?

Petkovic: Es war für mich eine philosophische Krise. Ich dachte, es wird jedes Jahr besser, und das war da nicht mehr so. Ich musste erst akzeptieren, dass das Leben sich ändert, nicht nur nach oben. Es kommt in Wellen. Man fährt am besten, wenn man das akzeptiert. In dem Moment sind Niederlagen und Siege zweitrangig.

STANDARD: Es gibt immer wieder Kollegen, vor allem männliche, die die große Krise des Frauentennis ausrufen. Stimmt das?

Petkovic: Nein. Die Qualität hat in den letzten Jahren einen großen Sprung gemacht. Es ist explodiert und es war faszinierend den Prozess zu sehen. Damit meine ich den Sprung mit dem Preisgeld, in der Qualität und den Trainern. Das ist auch für Frauen im Allgemeinen wichtig. Früher bin ich, selbst wenn ich nicht gut gespielt habe, immer zwei, drei Runden weitergekommen. Heute muss ich immer mein bestes Tennis spielen, sonst bin ich raus. Das gilt nicht nur für mich, sondern auch für Top-Ten-, und Top-Zwanzig-Spielerinnen. Auf der einen Seite ist das natürlich schwieriger, auf der anderen Seite macht es mich stolz, dass ich immer noch da bin. Nach zehn Jahren. Ich bin immer noch in der erweiterten Weltspitze, ich kann immer noch Top-Ten-Spielerinnen schlagen.

STANDARD: Die Qualitätsdichte ist im Herrentennis wohl auch so.

Petkovic: Ich glaube, dass das Damentennis besser dasteht als das Herrentennis. Wir haben Stars in jeder Generation. Osaka ist 21, Andreescu ist fast noch ein Teenager und dazu die ältere Generation: Serena Williams, Scharapowa, Kvitova. Bei den Männern gibt es Federer, Nadal, Djokovic. Alle die gleiche Generation, Federer ist noch ein bisschen älter. Die werden zum gleichen Zeitpunkt aufhören. Die ATP verlässt sich sehr auf diese Topstars. Ja sie sind globale Weltstars, die in die Popkultur hineingehen. Aber das ist Osaka auch. Jetzt schon. Sie ist riesig in Asien und in Amerika, auch in der Popkultur, das können wir in Europa nicht ganz nachvollziehen. Europa ist nicht die Welt. Das verstehen manche nicht.

STANDARD: Wie geht's bei Ihnen weiter?

Petkovic: Ich will nächstes Jahr auf jeden Fall noch spielen. Also ein Jahr bin ich sicher noch dabei.

STANDARD: Ihr Buch kommt auch nächstes Jahr. Wird es eine Autobiografie?

Petkovic: Mein Verlag nennt es "Auto-Fiktion". Alle Dinge, die darin vorkommen, sind so passiert. Ich habe aber gestrafft und zusammengefügt um den Lesefluss zu erhalten. Ich versuche nicht eine Message rüberzubringen, aber wenn ich mein Leben eins zu eins aufschreibe, wird es sehr langatmig.

STANDARD: Als Außenstehender stellt man sich das Leben als Tennisprofi doch ungemein aufregend vor.

Petkovic: Viele wissen nicht, dass man als Tennisspieler vor allem wartet. Dazu dann noch Routinen abrufen, trainieren und ab und zu einmal ein Match spielen. Und von den tausend Matches, die wir spielen, wie viele sind relevant?

STANDARD: An welches Match erinnern Sie sich sofort?

Petkovic: Tatsächlich sind es Matches aus der nächsten Vergangenheit. Die sind emotional am frischesten. Also für mich beide Roland-Garros-Matches heuer, die waren verrückt. Die zweite Runde war das Match gegen Hsieh am 14er Platz hinten. Ich finde, das ist der schönste Court der ganzen Anlage. Das hat richtig Spaß gemacht. In meiner Karriere war es wohl der Sieg gegen Scharapowa bei den Australian Open. Das hat mir gezeigt, dass ich auch die Besten der Welt schlagen kann.

STANDARD: Eines der Mysterien im Tennis ist das Ausservieren. Warum hat man Probleme, wenn man so knapp vor dem Sieg steht?

Petkovic: Ich versuch's: Das beste Tennis spielst du, wenn du in einer Art Supermeditation bist, wenn du nicht nachdenkst. Du funktionierst, alles geht nach Instinkt. Im Training bereitet man das vor, dort denkst du, arbeitest du, legst dir einen Matchplan zurecht, der in deinem Unterbewusstsein ist. Das heißt, du bist im Moment, frei von Ergebnissen und Resultaten. Es ist ein Vertrauen. Wenn du jetzt aber ein Break voran bist, dann siehst du das Ziel. Und ab da bist du raus aus dem Moment, du bist in der Zukunft, es wird alles komplexer. Manche haben das auch, dass sie nach einem leichten Fehler gleich zwei, drei Games abschenken. Da bist du dann in der Vergangenheit. Nervosität kommt nur, wenn du dir bewusst wirst, wo du bist.

STANDARD: Apropos Motivation: Kann man sich in der Szene erklären, warum sich ein Roger Federer noch immer fünf Sätze im Sand von Roland Garros antut?

Petkovic: Ich glaube, dass das viel mit dem Laver Cup zu tun hat. Die wollen das noch mehr etablieren, eine Art Ryder Cup aufbauen. Es steht und fällt damit, dass Roger und Rafa spielen. Andererseits hat er, glaube ich, einfach wirklich Spaß an Tennis. Er ist über diese Schwelle hinweg, dass er Leuten etwas beweisen muss. Und er ist einfach ehrgeizig.

STANDARD: Aber das ist eine Dimension an Ehrgeiz, die nur schwer greifbar ist, oder?

Petkovic: Deshalb sind sie auch solche Champions. Weil wir Normalos das nicht kapieren. (Andreas Hagenauer)