Wien – Der "Marsch fürs Leben" will dem "ungeborenen Leben" eine Stimme geben. Allerdings eine streng kontrollierte Stimme. Die Abtreibungsgegner traten bei ihrer jährlichen Demonstration in Wien wie aus einem Guss auf. Eine pinke Wolke aus Luftballons schwebt über ihren Köpfen, die Plakate sind fixfertige, die man direkt auf der Website des Vereins bestellen kann. Eigene Wortkreation gegen das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch gibt es nur wenige auf dem Wiener Stephansplatz zu sehen. "Wir wollen Abtreibung in Österreich undenkbar machen!", auf einem anderen beliebten Schild heißt es, "Liebe sie beide", das ein Baby und eine junge Frau zeigt.

Wenig auskunftsfreudig

Erzählen, warum man hier ist, das will vor der kleinen Bühne direkt neben dem Stephansdom fast niemand. Warum ist man hergekommen? Was ist falsch an der Fristenregelung? Vor allem die jungen Leute, die die Organisatoren der europaweit stattfindenden Märsche fürs Leben gern als wichtigsten Anker ihrer Bewegung bezeichnen, bleiben stumm. Höflich verweisen sie auf die Verantwortlichen für den Marsch fürs Leben, und suchen sogar minutenlang die Pressesprecherin in dem Trubel – man will schließlich nichts Falsches sagen. "Sie wissen ja, wie das heute ist mit den Medien, die alles ganz anders darstellen".

Eine pinke Wolke aus Luftballons schwebte über den Demonstrationszug.
Foto: Helmut Mitter

Dabei ist die Kluft zwischen Öffentlichkeitsarbeit und Realität beim "Marsch des Lebens" selbst groß. Während auf den Fotos auf der Website von vorangehenden Märschen praktisch nur junge Menschen und Jugendliche zu sehen sind, sieht es auf der Straße anders aus: Der überwiegende Teil der nach polizeilichen Angaben 1600 Teilnehmer ist längst nicht mehr jugendlich. Und das Groß der jungen Leute ist direkt für den "Marsch fürs Leben" mit pinken Spendenboxen im Einsatz – und verweisen bei Fragen auf die Veranstalter. Und nicht nur sie: Zwei ältere Frauen plaudern angeregt mit ihren Schildern in der Hand während sie die Ringstraße Richtung Heldenplatz entlanggehen. "Gehen’s am gscheitesten zu den Veranstaltern, die sagen Ihnen alles, gell?", auch sie wollen nicht selber sagen, warum sie sich dem Zug anschließen, dem auch vereinzelt Burschenschafter mit Schmiss und Kappe folgen.

Verweis an offizielle Stelle

Eine junge Frau hat sich "Pro-Life Feminist" auf die Stirn geschrieben. Wie das zusammengeht? "Bitte auf der gleichnamigen Website nachlesen" – und dahin ist sie. Für einen Satz kommt sie dann aber doch nochmal zurück: "Feminismus geht nur so!" und wieder ist sie weg. Drei Mädchen überlegen noch, ob und was sie antworten sollen, warum der "Marsch" für sie wichtig ist. Doch dazu kommt es nicht mehr: Ein Bursche in ihrem Alter – vielleicht fünfzehn oder sechzehn – belehrt sie, sie müssen nichts sagen und erklärt, man soll doch zur offiziellen Stelle gehen. Dort soll man also für die jungen Frauen sprechen – sobald er damit fertig ist.

Junge Leute waren beim Marsch des Lebens in der Minderzahl.
Foto: Helmut Mitter

Die lauten Rufe der auf Abstand gehaltenen Gegendemonstration am Anfang der Kärntnerstraße hallen nur leise in Richtung Bühne, die direkt neben dem Stephansdom aufgebaut ist. "Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat" ruft ein Bündnis von Sozialistischer Jugend, Verband Sozialistischer Student_innen, Frauenvolksbegehren und #KeinMillimeter rüber. Sie fordern Entscheidungsfreiheit für Frauen, Entkriminalisierung und Kostenübernahme des Schwangerschaftsabbruchs durch die Krankenkasse.

Abbruch "eigentlich nicht legal"

Etwas komplizierter ist die Haltung drüben beim "Marsch fürs Leben". Manuela Steiner, Sprecherin des "Marsches fürs Leben" stört an der Fristenregelung, dass sie nicht klar mache, dass in Österreich der Schwangerschaftsabbruch verboten ist und nur bis zur zwölften Woche straffrei, also "eigentlich nicht legal" ist. "Diese reale gesetzliche Lage geht völlig verloren", sagt sie. Steiner und andere Rednerinnen und Redner bei der Pro Life-Demo sprechen somit nicht von einem völligen Abtreibungsverbot, während sie gleichzeitig "Abtreibung ist Mord" von der Bühne rufen.

Bei den Rednerinnen und Redner handelte es sich heuer vorwiegend um Personen aus der Pro Life-Szene. Die Politik nahm dieses Jahr Abstand. 2018 sprachen etwa Gudrun Kugler (ÖVP) und Nobert Sieber (ÖVP). Kugler war zwar, wie schon so oft, beim "Marsch des Lebens". Diesmal allerdings nur privat. (Beate Hausbichler, 13.10.2019)