Frankreichs Präsident muss sich ranhalten.

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Das US-Magazin Time stilisierte Emmanuel Macron zum "nächsten Leader" des alten Kontinents. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel befindet sich schließlich auf dem Abstieg, der britische Premier Boris Johnson auf dem Absprung und die italienische Regierung im Abseits. Dagegen hat der französische Präsident nicht nur den Willen, sondern auch den Anspruch, Frankreich zur Nummer eins zu machen.

Genau aus dem Grund legt Macron gegenüber London eine harte Haltung an den Tag: Er verweigerte bisher jede Fristverlängerung für die Brexit-Verhandlungen – die entsprechend deutschen und anderweitigen Hoffnungen letztendlich gar in Verbleibverhandlungen münden sollen. Um seine Vorstellungen einer integrierten Union unter französischen Vorzeichen zu verwirklichen, sind ihm die Briten tatsächlich nur im Weg.

Wütende Trotzreaktion

So fühlt sich der schneidige Franzose seit Monaten in der Rolle von Jeanne d'Arc, die vor knapp 500 Jahren "die Engländer aus Frankreich geworfen" hatte, wie jedes französische Schulkind lernt.

Jetzt aber muss sich der französische Staatschef plötzlich zurücknehmen. Seine hochfliegenden Pläne für eine Leader-Stellung auf dem europäischen Festland haben vergangene Woche einen argen Dämpfer erhalten, als das Europaparlament Sylvie Goulard als neue Kommissarin zurückgewiesen hat. Mit seiner wütenden Trotzreaktion – Paris werde keine Nachfolgerin aufstellen – dürfte er nicht nur die deutsche Ex-Ministerin vergrault haben.

Der 41-jährige Élysée-Gebieter macht wieder einmal die bittere Erfahrung, dass seine Autorität nicht über Paris hinausreicht. Plötzlich steht der "Kaiser" in der EU ziemlich nackt, auf jeden Fall isoliert da. Anders als geplant kann er Angela Merkel damit nicht mehr aus einer Position der Stärke begegnen. Am Sonntagabend sprachen die Kanzlerin und der Président in Paris miteinander – in erster Linie über den Brexit.

Am Mittwoch wollen sich Merkel und Macron sodann vor dem anstehenden EU-Gipfel erneut treffen: In Toulouse inszenieren sie eine gemeinsame Regierungssitzung. Auch bei dieser historischen Premiere sind keine präsidialen Solotouren gefragt, sondern bilaterale Kompromisse.

Zumindest auf europäischer Seite dürfte damit die Bereitschaft wachsen, eine einvernehmliche Lösung mit der britischen Regierung zu finden und einen "No Deal" zu vermeiden. (Stefan Brändle aus Paris, 14.10.2019)