Das Fortkommen der Schüler, die mitten im Bildungsprozess und oft unter schwierigen Umständen den Weg in unsere Schulen finden, darf nicht dem Zufall überlassen werden.

Foto: Christian Fischer

Seit kurzem mache ich einen Sprechkurs, und unser charmanter, gesprächiger Lehrer hat uns neulich erzählt, dass er lange Angst hatte, seinen oberösterreichischen Dialekt zu verlieren. Er fürchtete sich davor, dort, wo er herkam, nicht mehr dazuzugehören.

Diese Angst ist nachvollziehbar. Die Verlustschmerzen erinnern an jene, die Migranten oder Flüchtende erleiden, die zusammen mit der Heimat auch erst einmal ihre Sprache verlieren. Über diesen Schmerz möchte ich jetzt nicht erzählen, ich schildere lieber den freudigen Moment, als mich dieser Schmerz zum ersten Mal für kurze Zeit verlassen hat und ich mich in der neuen Sprache wiederfand.

Es war ein Gespräch auf dem Schulgang des Oberstufenrealgymnasiums in der Brigittenau. Ich saß dort neben verstaubten Zimmerpflanzen und wartete, dass mein Name aufgerufen wurde. Auf mich wartete eine Aufnahmeprüfung, eigentlich drei hintereinander, und ich muss sehr nervös gewesen sein. Meine Rettung war eine Leidensgenossin, genauer gesagt ihre Begleitung. Der Vater oder die Mutter – ich erinnere mich tatsächlich nicht mehr an dieses Detail – verwickelte mich in ein Gespräch.

Den Inhalt unseres Dialogs kann ich nicht im Detail wiedergeben, ich weiß nur noch, dass ich viel davon erzählt habe, wo ich herkomme, wieso ich in Österreich bin und wie ich in den letzten zwölf Monaten Deutsch gelernt habe. Wie lange wir dort gesessen sind, bis eine von uns dran war, weiß ich nicht mehr, ich erinnere mich aber sehr genau an das euphorisierende Gefühl, das mir dieses Gespräch verschafft hat. Ich konnte mich tatsächlich auf Deutsch unterhalten, ich konnte antworten, ich wurde verstanden! Der Schmerz und die Angst, die mich ein Jahr lang begleitet hatten, waren für kurze Zeit wie weggeblasen.

Ich ging wie auf Wolken schwebend in das Prüfungszimmer und bestand die Aufnahmeprüfung in Deutsch, Mathematik und Englisch. Der Rest ist meine kleine private Bildungsgeschichte.

Jedes Mal, wenn die mediale Debatte über Schülerinnen mit "nichtdeutscher Muttersprache" von Neuem entfacht wird, denke ich an das Gespräch am Schulgang. Die Diskussion darüber, was diese Kinder brauchen, ist ideologisch geladen und unterliegt den Gezeiten der Wahlkämpfe und Neubesetzungen von Posten. Entscheidungen, die fernab von Klassenzimmern getroffen werden, beeinflussen maßgeblich das weitere Leben dieser Kinder und ihrer Familien: Das neueste Beispiel sind die separaten Deutschförderklassen, die im September eröffnet wurden.

Das Fortkommen der Schüler, die mitten im Bildungsprozess und oft unter schwierigen Umständen den Weg in unsere Schulen finden, darf nicht dem Zufall überlassen werden. Der richtige Lehrer mit dem richtigen Maß an Empathie; die Nachbarin, die gratis Nachhilfe gibt oder eine zufällige Begegnung, wie in meinen Fall, können viel bewirken. Angesichts der großen Zahl an Kindern, die zum Beispiel in Wien Hilfe und Unterstützung brauchen, werden glückliche Umstände aber nicht reichen. (Olivera Stajić, 15.10.2019)