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Am Montag wurden die Ökonomen Michael Kremer, Abhijit Banerjee und Esther Duflo mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir einen Beitrag vom April 2019 noch einmal, der die Revolution, die die drei Pioniere angezettelt haben, behandelt.

Wie wäre es mit einer Runde Basketball im Dunkeln? Wir werfen einfach, und ob die Bälle im Korb landen, erfahren wir nie? Klingt absurd? So könnte man, zugespitzt, beschreiben, wie Entwicklungshilfe bis vor nicht allzu langer Zeit lief. Am Ende zählen wir die Bälle – wir haben 20 geworfen, eine gute Partie.

In der Entwicklungshilfe wird nicht mit Bällen geworfen, sondern es werden Schulen gebaut, Brunnen gegraben oder Menschen weitergebildet. Was davon ins Netz geht, also Kinder gesünder und klüger, das Leben von Menschen besser machte oder nachhaltig positiv wirkte, blieb lange im Dunkeln. Das ändert sich gerade – es ist an der Zeit.

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Indonesische Kinder auf dem Heimweg von der Schule.
Foto: AP Photo/Tatan Syuflana

Mehr Bildung hilft, ein besseres Leben zu führen. Schulen in ärmeren Ländern auszurüsten scheint also eine gute Idee zu sein. Gratisschulbücher, kostenlose Laptops für alle Kinder, die Gehälter von Lehrerinnen und Lehren erhöhen, damit sie motivierter sind. All das wurde probiert, und wie neue, experimentelle Evaluierungen zeigen, hat nichts davon die Leistungen von Kindern verbessert.

Gelernt haben wir das aus Methoden, die man eigentlich aus der Medizin kennt: Eine zufällig ausgewählte Gruppe an Menschen erhält ein Medikament, eine andere nicht, dann wird analysiert, ob und wie es gewirkt hat. Seit etwa 20 Jahren erobert diese Methodik die Forschung zu globaler Armut. Wissenschafter sprechen von einem "Goldstandard".

In Indonesien wollte die Regierung das Gehalt von Lehrern verdoppeln. Weil das viel kostete, wurde die Reform über einen Zeitraum von zehn Jahren ausgerollt. Die Politik stimmte zu, das Ganze mit einem Experiment zu begleiten. Forscher haben also per Zufallsgenerator 120 öffentliche Schulen ausgewählt, in denen die Gehälter gleich zu Beginn erhöht wurden.

Führt die Forschung gegen Armut an: die Französin Esther Duflo.
Foto: APA/AFP/MIGUEL RIOPA

Es zeigte sich: Die Schulen schnitten nicht besser ab als die in der Vergleichsgruppe. Für Indonesien war es zu spät, die Reform eingeführt. Die zufällige Auswahl der Teilnehmer ist für Forscher aber zentral. Denn auch bisher wurden Programme evaluiert. Wenn aber nicht zufällig ausgewählt wird, könnte es etwa sein, dass besonders motivierte Schulen von Anfang an mitmachen – und so das Ergebnis verzerren. Der Vergleich mit einer weiteren Gruppe lässt dann sehr valide Rückschlüsse zu.

Zurück geht diese Revolution maßgeblich auf zwei Institute in den USA: das Abdul Latif Jameel Poverty Action Lab (J-Pal) am MIT und Innovations for Poverty Action (IPA), eine wissenschaftliche NGO. Die zwei Ökonomen Abhijit Banerjee und Esther Duflo haben J-Pal gegründet, ihr Student Dean Karlan wenig später IPA gestartet.

Dean Karlan schreibt, dass Evaluierungen, so wie sie früher liefen und auch heute noch gemacht werden, im Prinzip vergeudete Liebesmüh seien. Menschen machen etwa bei einem Programm mit, danach wird geschaut, ob es ihnen besser geht. Ob das aber an den Hilfen liegt oder an etwas ganz anderem, ist ohne zufällige Auswahl und Vergleich nicht seriös zu beantworten: Basketball im Dunkeln.

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Betreiben mit ihrem Vermögen unter anderem die Forschung zu Armut voran: Melinda und Bill Gates.
Foto: AP / Elaine Thompson

Heute arbeitet IPA in 21 Länder mit 1.000 Mitarbeitern. J-Pal kooperiert mit der Gates-Stiftung, der Weltbank, NGOs wie Oxfam oder der US-amerikanischen Entwicklungshilfe USAID. Die Forscher sind in den Mainstream vorgedrungen und haben unzählige Nachahmer an Universitäten.

Heute lässt sich damit besser sagen, was in puncto Bildung hilft. Wenn Eltern in ärmeren Ländern darüber informiert werden, wie viel besser die Jobchancen durch einen Schulabschluss werden, schicken sie ihre Kinder auch hin. Nachhilfe mit Freiwilligen hilft in Indien sehr. So ist dann Zeit, um genau auf die Bedürfnisse der Kinder einzugehen. An die Ärmsten Uniformen auszuteilen hat die Fehlstunden in Kenia um zwei Drittel gesenkt.

Pillen gegen Würmer: billig und wirkungsvoll.
Foto: Evidence Action

"Es gibt noch immer eine große Lücke zwischen dem, was wir aus der Forschung über den Kampf gegen Armut wissen und was dann tatsächlich passiert", sagt der Ökonom Dario Sidhu. Der Vorarlberger arbeitet bei der NGO Evidence Action in Washington. "Wir versuchen hier, eine Brücke zu bauen und die Resultate in die Tat umzusetzen."

Ökonomen haben etwa herausgefunden, dass Pillen zur Entwurmung von Kindern massiv in der Schule helfen. Viele Kinder in ärmeren Ländern haben Würmer, weil Sanitäranlagen nicht vorhanden oder schlecht sind. Das macht sie schwach, sie können sich nur mehr schwer konzentrieren. Das Verteilen von günstigen Pillen hilft also. Mit Partnern vor Ort verteile Evidence Action jedes Jahr Tabletten an ein paar hundert Millionen Kinder zum Beispiel in Indien, Kenia oder Äthiopien, sagt Sidhu. "Unser größtes Programm."

In Malawi, Uganda und Kenia erreiche man etwa vier Millionen Menschen, sie erhielten Chlor, um einfach Wasser zu reinigen und so Krankheiten vorzubeugen. Aus experimentellen Studien wisse man, dass es am häufigsten verwendet werde, wenn der Chlorspender gleich neben dem Brunnen stehe, an dem Menschen Wasser holen.

Will mehr experimentelle Studien: IHS-Chef Martin Kocher.
Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

Die Austrian Development Agency (ADA) – sie wickelt die Entwicklungshilfe in Österreich ab – evaluiert ihre Projekte nicht mit experimentellen Studien. Das liegt unter anderem an den Kosten. "Die Projekte von Spitzenforschern haben oft ein Budget von ein paar Millionen", sagt Martin Kocher, der Chef des Instituts für Höhere Studien. Die ADA, die über ein Budget von gut 90 Millionen Euro verfügt, will aber nicht ausschließen, künftig auf solche Studien zu setzen.

"Es gibt auch in Österreich Interesse. Wir haben in den vergangenen ein, zwei Jahren versucht, Leuten dies näherzubringen", sagt Kocher, der mit der Methodik gut vertraut ist. Derzeit würden auch Vorbereitungen laufen, um einzelne politische Maßnahmen auf die Art zu evaluieren. Mehr dürfe er nicht sagen, weil sonst Studien gefährdet würden.

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Wie bringt man die Ökonomien armer Länder zum Abheben?
Foto: Reuters / FINBARR O'REILLY

Aber auch der Goldstandard unter den Forschungsdesigns ist keine Antwort auf alles. Der Ökonom Paul Romer hat dazu eine nette Anekdote: Stellen Sie sich vor, Sie gehen zum Arzt, und Ihr Röntgen lässt vermuten, dass Sie einen Tumor haben. Klinische Zufallsstudien, ob eine Operation hilft, gibt es nicht. Was man aber belegen kann, ist, dass Botox Sie jünger aussehen lässt. Nehmen Sie das Botox?

Was Romer damit sagen will: Nur weil man etwas gut belegen kann, heißt das noch nicht, dass es die richtige Priorität ist. So ist etwa der größte Hebel im langfristigen Kampf gegen Armut noch immer Wirtschaftswachstum.

Lange wurde darüber gestritten, ob wir nicht viel mehr Geld für den Kampf gegen Armut ausgeben sollten. Kritiker meinten, das sei aussichtslos und schädlich. Dieser ideologische Streit wurde von nüchternen Wissenschaftern aufgelöst: Vieles hilft, sehr vieles nicht. Dank modernster Forschung wissen wir immer besser, was. (Andreas Sator, 14.10.2019)

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