Eine 60-Jährige hatte am Hochzeitsbuffet die grüne Wasabi-Paste mit Avocado-Creme verwechselt und einen gehäuften Löffel davon geschluckt. Das führte dazu, dass die Herzmuskulatur vorübergehend geschwächt und die Pumpfunktion des Herzens verringert war.

Foto: Getty Images/iStockphoto

Wasabi, der japanische Meerrettich, wird oft zu Sushi gereicht. In niedriger Dosierung genossen, soll er sogar positive Gesundheitseffekte haben. Was passieren kann, wenn man japanischen Meerrettich in sehr großen Mengen verzehrt, hat eine 60-jährige Frau erlebt. Ein israelisches Medizinerteam unter Leitung von Alona-Finkel-Oron berichtet in den "BMJ Case Reports" über den Fall.

Der übermäßige Wasabi-Verzehr löste das Takotsubo-Syndrom (TTS) aus, auch als Broken-Heart-Syndrom bekannt. Die Frau hatte am Hochzeitsbuffet die grüne Wasabi-Paste mit Avocado-Creme, vermutlich Guacamole, verwechselt und ahnungslos einen gehäuften Löffel der extrem scharfen Wasabi-Paste auf einmal geschluckt, statt sie sofort wieder auszuspucken. Ein Fehler, denn die in Wasabi enthaltenen Senföle brennen im Rachen und in den Nasennebenhöhlen massiv, was für die Person beängstigend sein kann.

Kurz nach dem Schlucken der extrem scharfen Paste trat bei der Frau ein Druck-Enge-Gefühl in der Brust auf, das auch in den Arm ausstrahlte. Am nächsten Morgen fühlte sie sich noch immer nicht wohl und ging schließlich zum Arzt. Die Ärzte vermuteten zunächst einen Herzinfarkt. Unter anderem deutete das Elektrokardiogramm (EKG) darauf hin. Weitere Untersuchungen zeigten jedoch keinen Verschluss der Herzkranzgefäße und kein abgestorbenes Herzmuskelgewebe – bei einem Herzinfarkt wäre beides der Fall.

In Akutphase ist TTS so gefährlich wie Herzinfarkt

Es zeigte sich aber, dass die Muskulatur der linken Herzkammer vorübergehend geschwächt und die Pumpfunktion des Herzens verringert war. Das wiederum ist typisch für das Takotsubo-Syndrom. Für das Syndrom charakteristisch war bei der Frau auch die Form der linken Herzkammer während der akuten Phase: Sie sieht aus wie ein japanischer Tonkrug mit schlankem Hals und dickem Bauch. Dieser Krug dient als Tintenfischfalle und heißt Takotsubo. Daher die Bezeichnung Takotsubo-Syndrom.

Kardiologen gehen davon aus, dass etwa drei bis fünf Prozent aller vermeintlichen Herzinfarkte tatsächlich dem Herzinfarkt-Doppelgänger zuzuschreiben sind. In der Akutphase können schwere Komplikationen wie etwa Herzrhythmusstörungen auftreten. Bei etwa zehn Prozent werden bedingt durch ein Pumpversagen des Herzens wichtige Organe nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt, sodass ein Multiorganversagen droht. Einer von zehn Patienten übersteht die akute Phase nicht. In allen anderen Fällen erholt sich der Herzmuskel innerhalb von drei Monaten wieder ganz. Ein kleinerer Teil dieser Patienten muss danach damit rechnen, dass das Takotsubo-Syndrom erneut auftritt.

Etwa 90 Prozent der Betroffenen sind Frauen, zumeist älter als 50 Jahre. Inzwischen gilt als gesichert, dass der Herzinfarkt-Doppelgänger unmittelbar nach sehr freudigen oder extrem niederschmetternden Belastungen (etwa Trauer, Liebeskummer) sowie nach physischen Auslösern wie einer großen Operation oder einem Asthmaanfall auftritt. Die körperlichen Trigger verursachen das Syndrom sogar noch häufiger als emotionale Trigger. Nun zählt auch die extreme Schärfe größerer Wasabi-Verzehrmengen zu den möglichen Triggern. "Allen Triggern gemeinsam ist, dass sie für die Betroffenen eine ausgeprägte Stresssituation bedeuten. Das vegetative Nervensystem wird überreizt, was zur Ausschüttung größerer Mengen an Stresshormonen führt", sagt der Kardiologe Ingo Eitel vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck.

Adrenalin wirkt auf Herzzellen

"Wie es im Detail zum Takotsubo-Syndrom kommt, ist noch nicht genau geklärt. Es wird vermutet, dass eine gewisse Prädisposition bei der Stressverarbeitung besteht", erklärt Eitel. Die von der Nebennierenrinde freigesetzten Stresshormone wie das Adrenalin gelangen über die Blutbahn zu den Herzmuskelzellen, an die sie docken. Normalerweise wirkt Adrenalin stimulierend aufs Herz, es beschleunigt den Herzschlag, sodass der Körper in Stresssituationen besser mit Sauerstoff versorgt ist.

Bei Menschen mit dem Takotsubo-Syndrom scheint sich durch den Adrenalin-Einfluss die Pumpkraft der linken Herzkammer zu verringern. "Auf Ebene der Herzzellen liegt von vornherein eine Störung vor, die durch den Stresshormoneinfluss aus dem Ruder läuft. Erste genetische Analysen zeigen bei Takotsubo-Patienten gewisse Auffälligkeiten", sagt Eitel. "Unser aktuelles Forschungsziel ist ein Test, der anzeigt, ob jemand für das Takotsubo-Syndrom anfällig ist."

Der israelischen Frau aus dem "BMJ Case Report" geht es inzwischen wieder gut. Sie wurde mit ACE-Hemmer, Aldosterin-Antagonisten und Betablockern behandelt. (Gerlinde Felix, 17.10.2019)