Viel Glutamat, viel Geschmack. Besonders das Essen im China-Restaurant wird mit dem Geschmacksverstärker aufgepeppt.

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Beim Chinesen schmackhaft gegessen und dann plötzlich Kopfschmerzen, steifer Nacken, Herzklopfen und Schwindel. Wer jetzt dem asiatischen Koch die Schuld dafür gibt, weil er die Speisen mit viel Glutamat aufgepeppt habe, liegt jedoch falsch. Es ist mittlerweile stark umstritten, ob tatsächlich Glutamat diese Symptome auslöst. "Durch die in der Öffentlichkeit negative Besetzung von Glutamat kann es durchaus zu einem Noceboeffekt kommen", sagt Klaus Dürrschmid vom Institut für Lebensmittelwissenschaften an der Universität für Bodenkultur in Wien. Das heißt: Wer wissentlich Lebensmittel mit Glutamat isst, spürt zumindest kurzfristig negative Effekte, die er nicht haben würde, wüsste er nicht vom Glutamat und seinen vermeintlich negativen Effekten.

Zumindest zeigten Studien der vergangenen Jahrzehnte keinerlei Zusammenhang zwischen diesen typischen Beschwerden und Glutamat. So reagierten Menschen, die nach dem Essen in einem China-Restaurant unter den besagten Symptomen litten, später im Labor auf die Gabe von Glutamat gar nicht. Auch reagierten vermeintlich Glutamat-Sensible nicht auf die italienische Küche, die von Natur aus sehr viel natürliches Glutamat enthält – etwa in Tomaten, Parmesan, Fleischragout, Pilzen, Fisch und Schinken. "Belastbare Zahlen von Glutamat-Sensiblen sind daher so gut wie keine bekannt", sagt Dürrschmid.

Was Sojasaucen unverträglich macht

Ernährungsexperten vermuten den Grund der typischen Symptome vielmehr in anderen Substanzen, die ebenso in glutamathaltigen Produkten vorkommen. "Die asiatische Küche verwendet häufig fermentierte Rohstoffe wie Sojasauce, Kimchi, Kombucha, Miso oder Tempeh", erklärt Dürrschmid. Dabei entstehen auch jede Menge biogene Amine. "Diese Substanzen haben vielfältige Wirkungen auf unser Befinden und unsere Gesundheit."

Zu den biogenen Aminen gehört auch Histamin, auf das Schätzungen zufolge mehrere Prozent der Bevölkerung mit ähnlichen Symptomen reagieren. Aminsensible Menschen besitzen zu wenige Enzyme, die biogene Amine im Körper abbauen. Bei ihnen könne es dadurch zu Hautrötungen, Hitzeempfindungen, Kopfschmerzen, Taubheitsgefühle im Mund und pseudoallergischen Reaktionen kommen. "Es ist daher durchaus denkbar, dass für das vielzitierte China-Restaurant-Syndrom eigentlich die biogenen Amine verantwortlich sind und nicht das Glutamat", so Dürrschmid. Alkohol könne die Aufnahme der biogenen Amine noch weiter steigern und damit zu den negativen Reaktionen führen.

Wenn auch die typischen China-Restaurant-Symptome wahrscheinlich nicht dem Glutamat zuzuschreiben sind, so ist die Substanz möglicherweise trotzdem nicht harmlos. Immer wieder weisen Studien darauf hin, dass Glutamat bei regelmäßigem hohem Konsum bestimmte Erkrankungen auslösen könne. Wegen seiner Funktion als Botenstoff sind es meist neurologische Auffälligkeiten: In Tierstudien reizte zu viel davon die Nerven. Auch verschiedene Nervenkrankheiten wie Alzheimer oder Parkinson könnten mit Glutamat in Verbindung stehen, da ein zu hoher Level möglicherweise Gehirnzellen absterben lässt. Dürrschmid bezweifelt das aber: "Solche Auffälligkeiten haben nichts mit dem über die Nahrung aufgenommenen Glutamat zu tun, da dieses bei Erwachsenen die Blut-Gehirn-Schranke nicht passieren kann. Betroffene ha

ben eher eine Fehlsteuerung beim körpereigenen Glutamatstoffwechsel im Gehirn", erklärt der Experte.

Geschmack aufpeppen

Kleinere Studien weisen darauf hin, dass Glutamat wegen seiner Appetit fördernden Wirkung für Gewichtszunahme sorgt, zu Bluthochdruck führt und chronische Schmerzen stärker werden lässt. Auch ein negativer Einfluss auf die Darmflora kann nicht ausgeschlossen werden. Allerdings konnte noch keine Studie belegen, dass dies bei moderatem Konsum der Fall sei. "Falls der Effekt der Gewichtszunahme tatsächlich existiert, könnte er darauf zurückzuführen sein, dass die mit Glutamat versetzten Lebensmittel einfach besser schmecken und man daher zu Overeating neigt" , sagt Dürrschmid.

Mit dem Verzehr von Lebensmitteln, die Glutamat natürlich enthalten, bewegt man sich mengenmäßig im sicheren Bereich. Doch die Lebensmittelindustrie setzt Glutamat vor allem in stark verarbeiteten Produkten wie Wurst, Fertigsaucen, Suppen, Pizzen oder Dressings ein. Die chemisch mit dem natürlichen Glutamat identische Substanz wird durch Bakterien synthetisch hergestellt und hat pur nur einen milden Eigengeschmack. Doch in Verbindung mit anderen Substanzen intensiviert sie Geschmäcker und definiert – neben süß, bitter, sauer und salzig – die fünfte Geschmacksrichtung umami, also fleischig.

Das zugesetzte Glutamat soll die Lebensmittel nicht nur verführerischer machen, sondern die geschmacksgebenden Inhaltsstoffe der Lebensmittel verstärken, die während der intensiven Verarbeitung verlorengehen. Da es vor allem einen fleischigen Geschmack imitiert, können die Hersteller zudem auch an wertvollen Rohstoffen wie Fleisch oder Fisch und teuren Gewürzen sparen. "Mit Glutamat lässt sich eine Fleischreife simulieren, die tatsächlich nicht vorhanden ist", sagt Dürrschmid. Fleisch natürlich reifen zu lassen kostet Energie, Zeit und damit Geld.

Selbst und frisch kochen

"Zugesetztes Glutamat ist in der Regel ein deutlicher Indikator für ein technisch intensiv verarbeitetes Produkt", sagt Dürrschmid. Stark verarbeitete Lebensmittel gelten als eine der Ursachen für Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck und Arterienverkalkung. Wer unter den Symptomen leidet, sollte den Konsum stark verarbeiteter Lebensmittel reduzieren und so oft wie möglich selbst frisch kochen. Wer bei Convenience-Food auf zugesetztes Glutamat verzichten will, muss die Zutatenliste genau lesen. Statt Glutamat oder E621 bis E625 steht Hefeextrakt, Sojaextrakt oder hydrolysiertes Protein, allesamt Ersatzstoffe. Da die Substanzen als Würze eingesetzt werden, darf auf der Verpackung "Ohne Zusatz von Geschmacksverstärkern" stehen. Das Produkt enthält aber trotzdem Glutamat.

Für ältere Menschen kann Glutamat allerdings auch Vorteile haben. Wenn der Geschmackssinn nachlässt, kann es den Spaß am Essen wieder fördern und so einer Mangelernährung vorbeugen. Auch für Fleischersatzprodukte wird der Umami-Geschmack des Glutamats genutzt. Um den Umstieg auf pflanzliche Alternativen zu erleichtern, setzt nicht nur der vegane Kultburger der US-Firma Beyond Meat auf eine Extraportion Hefeextrakt. (Andreas Grote, 15.10.2019)