Die Idee von Sondierungsgesprächen geht auf den verstorbenen Bundespräsidenten Thomas Klestil (links) zurück. Er beauftragte zunächst den damaligen SPÖ-Chef Viktor Klima, mit allen Parteien über gemeinsame Inhalte zu reden. Erfolgreiche Koalitionsgespräche führte dann aber ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel (rechts) – mit den Freiheitlichen.

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Mit wem kann Kurz? Diese Frage will der frühere Kanzler und Wahlsieger nun bei Sondierungsgeprächen ausloten. Sie sind wie ein Qualifikationsspiel für die Endrunde – ein Aufwärmen, bevor mit einer Partei um eine Koalition verhandelt wird. Nach dem ersten Abtesten, wer dafür infrage kommt – die FPÖ hat sich bereits selbst aus dem Spiel genommen -, lädt der ÖVP-Chef diese Woche die anderen Parteispitzen zu einer zweiten Sondierungsrunde ein.

Usus, aber nicht notwendig

Dass es überhaupt ein Rückspiel gibt, ist ungewöhnlich. "Es ist auch ein Spiel auf Zeit", sagt Politikwissenschafter Laurenz Ennser-Jedenastik. Er weist darauf hin, dass die grüne Basis über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen erst abstimmen müsse, so sei es in den grünen Statuten festgeschrieben. Notwendig seien Sondierungen nicht, denn die Inhalte der Parteien seien dem Gegenüber bekannt. Warum die ÖVP trotzdem gleich zwei Runden ansetzt, erklärt Ennser-Jedenastik damit, dass Kurz auf diese Weise lange Verhandlungen besser rechtfertigen könne – vor der Öffentlichkeit und vor Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der über die Gespräche informiert werden soll. Denn alles deutet darauf hin, dass es dieses Mal viel schwieriger als 2017 werden könnte, eine Regierung zu bilden.

Die Sondierungsgespräche vor der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen sind eine österreichische Eigenheit – und gehen auf den verstorbenen Bundespräsidenten Thomas Klestil zurück, der kein Freund der schwarz-blauen Koalition war. Im Oktober 1999 beauftragte er nach der Wahl den damaligen SPÖ-Chef Viktor Klima, mit anderen Parteien zuerst die Inhalte eines möglichen Regierungsprogramms auszuloten.

Verfahrene Situation

Hintergrund: Zuvor hatte ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel angekündigt, in Opposition zu gehen, falls seine Partei auf dem dritten Platz landet – was prompt eintrat und zu einer verfahrenen Situation führte. Wochenlang "sondierte" Klima also damals mit der unwilligen ÖVP, der FPÖ und den Grünen, ehe Klestil Klima im Dezember offiziell mit der Regierungsbildung beauftragte. Der Ausgang ist bekannt: Die Koalitionsverhandlungen mit Schüssels ÖVP scheiterten im Jänner, am 22. desselben Monats beschlossen ÖVP und FPÖ – ohne Auftrag des Bundespräsidenten -, Regierungsgespräche aufzunehmen. Am 4. Februar 2000 blieb Klestil nichts anderes übrig, als Schwarz-Blau trotz EU-Sanktionen und Protesten am Ballhausplatz mit finsterer Miene anzugeloben.

Siebzehn Jahre später, im Herbst 2017, sondierte ÖVP-Chef Kurz nur eine Runde lang mit den Parteichefs von SPÖ, FPÖ, Neos und Liste Pilz, bevor er mit der FPÖ in Koalitionsverhandlungen eintrat und noch vor Weihnachten seinen Pakt mit den Freiheitlichen schloss.

"Wechselseitige Verwundungen"

Der damalige Neos-Boss Matthias Strolz erinnert sich, dass das Treffen unter vier Augen "nicht sehr inhaltsschwer" gewesen sei: Man habe "die wechselseitigen Verwundungen" im Wahlkampf besprochen und Abschätzungen getroffen, ob man "atmosphärisch" miteinander könne. Strolz' Fazit: "Beide Seiten ließen sich dabei nicht recht in die Karten blicken – obwohl man genau das versuchte, beim jeweils anderen zu machen."

Auch Ex-Kanzler Christian Kern (SPÖ) erinnert sich mit gemischten Gefühlen an die Sondierung mit Kurz. Das Ambiente im Container am Heldenplatz, im Ausweichquartier des Parlaments, sei frostiger gewesen als im Winterpalais. Kern habe Kurz über die Gesprächsbereitschaft der SPÖ informiert, die roten Maßstäbe genannt, doch der spätere Kanzler sei "durch und durch desinteressiert gewesen". (Marie-Theres Egyed, Nina Weißensteiner, 15.10.2019)