Caravaggios "Johannes der Täufer" hat mehr von einem freudigen Buben als von einem Heiligen – darin besteht die Kunst des Malers.

Foto: Sovrintendenza Capitolina, Musei Capitolini - Pinacoteca Capitolina, Roma

Eines der Werke aus dem Bestand des Kunsthistorischen Museums: Caravaggios "David mit dem Haupt des Goliaths". Der Maler soll sich im enthaupteten Riesen selbst porträtiert haben.

Foto: KHM-Museumsverband

Michelangelo Merisi da Caravaggio malte die Bibel dreckig wie das Leben und Jünglinge dafür schön: "Narziss" von 1600. Etwa 70 Werke aus der Hand des frühbarocken Malers sind bekannt.

Foto: Bibliotheca Hertziana/Enrico Fontolan

Gian Lorenzo Berninis "Medusa" mit einem Gewurl aus fingerdicken Schlangen auf dem Haupt.

Foto: Sovrintendenza Capitolina, Musei Capitolini – Pinacoteca Capitolina, Rom/Andrea Jemolo

Ein Terrakottamodell von Berninis "Verzückung der hl. Teresa von Ávila" hat den Weg nach Wien gefunden. Den Gesichtsausdruck der Heiligen kennt man sonst aus weniger keuschen Kontexten.

Foto: St. Peterburg, State Hermitage Museum

Wallemähne, Faltenwurf und Spitzenkragen bei Berninis Büste "Thomas Baker" sind prächtig.

Foto: KHM-Museumsverband

Ticketverkaufsboxen stehen wieder vor dem Kunsthistorischen Museum. Das Haus macht sich auf die nächste Blockbuster-Ausstellung gefasst. Die bei Bruegel voriges Jahr in Wien erprobten Maßnahmen sollen auch greifen, wenn mit Caravaggio und Bernini die Großmeister des römischen Barock gefeiert werden.

Nach der Renaissance mit ihren ausgewogenen Kompositionen, harmonisch platzierten Figuren und idealen Proportionen legen dort um 1600 das Überbordende, Verspielte und Extreme zu. Caravaggio in der Malerei und Bernini in der Bildhauerei stehen an der Spitze der Bewegung. Eine naheliegende Entscheidung des KHM also, sie gemeinsam zu zeigen und dazu eine Schar von Nachfolgern und Nachahmern. Zusammengefasst werden die rund 80 Werke griffig als Entdeckung der Gefühle.

Regungen wie Schmerz, Erstaunen, Entsetzen oder Leidenschaft gliedern auch die Schau. In den Sälen ist es fast so dunkel wie auf Caravaggios Bildern. Sie leuchten einem entgegen, man blickt auf ihre Szenen wie auf Bühnen.

Schöner Bursche mit Schwert

Etwa auf den David mit dem Haupt des Goliaths. Wie andere das Thema behandelt haben, zeigt unter anderem Valentino de Boulognes Version von 1615. Sein David hat den abgeschlagenen Riesenkopf auf einen Tisch gewuchtet. Nicht schlecht zwar, aber sein Goliath sieht aus, als würde er schlafen. Bei Tanzio de Varallo hält ein muskelbepackter Jüngling den Schädel zwar auch am Schopf, aber hebt das Schwert noch würdig und auf seine Tat hinweisend.

Bei Caravaggio ruht es hingegen lässig auf der Schulter des schmalen Burschen. Dem abgetrennten Haupt ist der Unterkiefer heruntergefallen, Zähne blitzen in der dunklen Mundhöhle, seine Augen sind geöffnet, Blut tropft aus dem Hals. David reckt es uns mit starkem Blick entgegen. Auf den Gemälden Caravaggios hat immer mehr als nur ein Gefühl Platz: Die nackte Schulter des Burschen leuchtet rosig, er ist schön.

Gegen von Caravaggio gemalte Haut wirken alle anderen konturlos und weichgezeichnet. Überhaupt merkt man der Ausstellung die Übermacht der beiden Meister an. Rötungen vor Erregung oder Anstrengung nuanciert Caravaggio feinst: die Nacken der Häscher der Dornenkrönung Christi sind sonnengebräunter als das Brustfleisch unter ihren Kleidern, durch das sich ihre Rippen dank Schatten kontrastreich drücken.

Mehr Dreck, weniger Staub

Caravaggio zog die himmlischen Geschöpfe und biblischen Geschichten für seine Bilder auf den Boden der Realität herunter.

1592 kommt Michelangelo Merisi da Caravaggio von Mailand nach Rom. Er ist 21 Jahre alt und kann sich kaum das Essen leisten, malt sich aber mit Stillleben von Blumen und Obst hoch, deren Gestaltung er so viel Aufmerksamkeit schenkt wie später Leibern. Binnen dreier Jahre ist er berühmt.

Die Biografien über ihn gehen ab diesem Moment auseinander. Manche sind bloß dramatisch, andere rufschädigend. Unbestritten pflegt Caravaggio einen nachlässigen Lebensstil, trinkt, rauft, treibt sich im Prostituiertenviertel herum, wo er Modelle akquiriert. Eine Jungfrau nach dem Vorbild so einer? Auftraggeber wollen trotzdem mehr davon – denn die Gegenreformation in der Papststadt setzt auf Gefühle, um Gläubige von der Lehre zu überzeugen, und Gefühle erregt Caravaggio mit seinen Bildern wie kein Zweiter.

Schaut man sich seinen Johannes der Täufer an, den verschmitzt lächelnden Burschen mit dünnen Haaren, der mit einer Hand sanft den Widder neben sich streichelt, erblickt man vor allem ein Kind mit Freude an dem Tier, das ihm gleich die Wange lecken wird – und nicht staubige Theologie. Künstler aus ganz Europa wollen auch Caravaggios Spiel von Hell und Dunkel (Chiaroscuro) lernen und kommen nach Rom. Aus dem Barock wird ein europäischer Stil.

Etwa je zehn eigenhändige Werke von Caravaggio und Bernini zählt die Schau. Die drei Caravaggios aus dem Bestand des KHM gehören zu den besten. Neben dem David und der Dornenkrönung zählt auch die Rosenkranzmadonna dazu. Als Altarbild entstanden, leuchtet sie den Besuchern schon von weitem durch die Saaltüren entgegen: Die Fernwirkung soll so erfahrbar werden. Aus der Nähe fallen einem aber zuerst die staubigen Fußsohlen eines Betenden ins Auge. Sie sind nicht bloß grau, sondern pudrig; man meint, einzelne Staubkörner auszumachen. Obendrein ruhen diese dreckigen Fersen nicht verstohlen irgendwo am Rand, sondern direkt unter dem Jesuskind! Auch theologisch ist das effektvoll: als Verweis auf Gottes auf die Erde gesandten Sohn.

Erstmals in Wien gemeinsam

Als Caravaggio 1610 mit nur 38 Jahren starb, war der zweite Star der Ausstellung noch ein Kind. Gian Lorenzo Bernini, Bildhauer und Architekt von acht Päpsten, schuf – beeinflusst von Caravaggio – jedoch ein Œuvre, das über so viel Dynamik wie dessen gebietet. Zum ersten Mal sind sie im KHM gemeinsam zu sehen, was auch Sinn macht, da Maler und Bildhauer im Rom jener Jahre erstmals sehr eng zusammenarbeiteten.

Ein mit 19 Jahren gefertigter Heiliger Sebastian ist Berninis erstes gesichertes eigenes Werk. Der Jüngling erwartet, den Oberkörper von Pfeilen durchbohrt, den Tod. Aber seine Brustwarzen hebt Bernini hervor: Er spürt sichtlich erregt süßen Schmerz. Üppig ist ein Hilfsausdruck auch bei Bernini: Seine Medusa sieht aus, als hätte sie eine Wuschelperücke auf, der marmorne Spitzenkragen der Büste des Thomas Baker ist sensationell.

Vier 20 Zentimeter hohe Köpfe aus vergoldeter Bronze, die Bernini für seine Kutsche gemacht hat, wurden noch nie gezeigt. Ihrer Größe geschuldet, sind viele seiner Marmorskulpturen indes bloß als kniehohe Modelle zugegen. Jenes für die Verzückung der hl. Teresa von Ávila sollte man nicht zu direkt als Qualitätsmesser verstehen. Es enthält Verzerrungen, die im eigentlichen Werk durch Untersicht korrigiert wurden. Wallen tut es aber auch! (Michael Wurmitzer, 15.10.2019)