Eine Reise innerhalb Europas zu buchen ist heute eine Sache von Minuten. Eine der zahlreichen Flugsuchmaschinen spuckt innerhalb von Sekunden passende Angebote aus, in der Regel kann man aus dutzenden Verbindungen wählen. Wer nach Berlin, Amsterdam, London, Paris oder Barcelona will, zahlt selten mehr als 50 Euro, teilweise gibt es sogar Angebote für 30 Euro und weniger.

Doch das Flugzeug ist die mit Abstand klimaschädlichste Art zu reisen. Wissenschafter gehen davon aus, dass es besonders gravierende Folgen für die Atmosphäre hat, wenn CO2 und andere Treibhausgase in so großer Höhe ausgestoßen werden. Und 426 Gramm CO2 verursacht eine Flugreise pro Kilometer im Durchschnitt; das ist mehr als doppelt so viel wie ein Benzin- oder Dieselauto und 29-mal so viel wie die Bahn in Österreich.

Unfreundliche Buchung

2,2 Tonnen CO2 "darf" jeder Erdbürger pro Jahr verursachen, um das Klima im Gleichgewicht zu halten. Ein einziger Transatlantikflug überschreitet dieses Budget bereits um die Hälfte, auch einige wenige Städtetrips mit dem Flugzeug drücken das CO2-Budget ganz schnell in den roten Bereich. Ob man das ganze Jahr auf Fleisch verzichtet, Ökostrom bezieht und kein Auto besitzt – das alles fällt da kaum mehr ins Gewicht.

Die logische und klimafreundliche Alternative zum Flugzeug ist die Bahn – zumindest innerhalb Europas. Sie zu nutzen ist aber gar nicht so einfach. Zwar gibt es Gleise von Helsinki bis Athen und von Lissabon bis Moskau. Doch sobald man über Landesgrenzen hinweg mit dem Zug reisen will, wird das Buchen sehr kompliziert. Sofern es überhaupt noch möglich ist.

Eine Zugfahrt nach Berlin ist oft teurer als ein Flug.
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Zwar gibt es bereits Bahnreise-Pendants zu den Flugsuchmaschinen.* Wer aber per Bahn nach Ost- oder Südeuropa will, muss sich durch fremdsprachige und veraltete Websites kämpfen und darf langwierigen Ferngesprächen mit Bahnbediensteten nicht abgeneigt sein. Dazu kommt der Preis: Am Boden zu bleiben heißt in vielen Fällen einfach, mehr zu bezahlen. Die günstigste Nachtzugverbindung von Wien nach Berlin kostete in den letzten Wochen durchschnittlich 48 Euro im Sitzwagen und 80 Euro im Liegewagen, während ein Billigflug schon um durchschnittlich 38 Euro zu haben war. Ist Zugfahren zu teuer? Oder Fliegen einfach zu billig?

Wettbewerb mit Bias

Internationale Zugreisen sind ein komplexes Unterfangen, heißt es vonseiten der ÖBB gegenüber dem STANDARD. Lokführer müssen für jedes Land eine eigene Erlaubnis besitzen und die Landessprache beherrschen. Sie müssen also entweder an der Grenze ausgewechselt oder aufwendig geschult werden – beides ist teuer und hebt die Ticketpreise. Dazu kommen unzählige nationale Vorschriften, die bei einer Reise durch mehrere Länder erfüllt werden müssen und die Reise verteuern.

14.000 Regularien will der Chef der EU-Eisenbahnagentur vor einigen Jahren in allen Mitgliedsstaaten gezählt haben, heute sind es etwa 1000. Noch immer zu viele, um mit dem Flugzeug preislich mithalten zu können. Die Flugindustrie ist hingegen extrem standardisiert: Weltweit gibt es mit Boeing und Airbus nur zwei Hersteller von Großraumflugzeugen, die jeweils eine Handvoll Typen produzieren – das führt zu positiven Skaleneffekten bei Produktion, Betrieb und Wartung. Heißt: Die Produktions- und Selbstkosten sinken durch steigende Produktionsmengen.

Milliarden für Flugindustrie

Dazu kommt, dass Flugreisen großzügig subventioniert sind. Flugzeuge dürfen fast überall steuerfrei tanken, während Autofahrer für den Sprit Mineralölsteuer zahlen. Auch Bahnunternehmen leisten für den verbrauchten Strom Energieabgaben. Doch auf internationale Flüge wird keine Mehrwertsteuer erhoben.

Würden die EU-Länder Kerosin ähnlich hoch besteuern wie Autosprit, könnten sie 27 Milliarden Euro pro Jahr einnehmen, eine Mehrwertsteuer auf Flugtickets würde 30 Milliarden bringen. Gleichzeitig würden die CO2-Emissionen um elf Prozent sinken, ohne der Wirtschaft merklich zu schaden. Das errechnete eine von der EU-Kommission beauftragte Studie, die 2018 geleakt wurde.

Sollen wir angesichts der drohenden Klimakatastrophe noch fliegen? Darüber diskutierten AUA-Chef Alexis von Hoensbroech und Klimaaktivistin Mira Kapfinger im Juni 2019 in DER STANDARD mitreden
DER STANDARD

Nachtzug nach Brüssel

Dass Fliegen so einfach und billig und Zugfahren so umständlich und teuer ist, stößt bei vielen auf Unverständnis – auch bei Joachim Holstein. 21 Jahre hat der Deutsche als Nachtzugbegleiter gearbeitet – bis die Deutsche Bahn vor drei Jahren alle Nachtzugverbindungen einstellte. Die ÖBB übernahm Liegewagons und einige Verbindungen, Holstein und hunderte Kollegen blieben auf der Strecke. Seinem ehemaligen Arbeitgeber wirft er Missmanagement vor, denn die ÖBB betreibt die Strecken erfolgreich und will ihr Nachtzuggeschäft sogar ausbauen – etwa nach Brüssel oder Amsterdam.

Heute kämpft Holstein an vorderster Front für mehr Bahn- und weniger Flugverkehr in Europa. Die deutsche Gruppe Back on Track ist Teil einer kleinen, aber gut vernetzten internationalen Bewegung, die den Reiseverkehr wieder auf Schiene bringen will. "Viele Menschen fliegen ja nicht, weil sie es so toll finden", sagt Holstein, "sondern weil es keine andere Möglichkeit gibt." Um echte Wahlfreiheit zwischen den Transportmitteln zu ermöglichen, solle die EU die Bahn gegenüber dem Flugzeug nicht mehr diskriminieren, sondern einheitliche Rahmenbedingungen schaffen, damit Züge besser grenzüberschreitend verkehren können. Und sie solle dafür sorgen, dass Züge preiswerter und einfacher zu buchen sind, etwa durch eine zentrale Buchungsplattform.

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Für Flugzeugbenzin fällt in den meisten Ländern keine Steuer an.
Foto: Reuters/Vivek Prakash

Flugticketabgabe mehrmals gesenkt

So eine Plattform für Bahnreisen wäre "ein schönes Ziel für die nächste EU-Kommission", findet auch Christian Gratzer vom Verkehrsclub Österreich (VCÖ). Gleichzeitig müsse Österreich mehr in Infrastruktur investieren, schon jetzt gebe es Engpässe auf der Schiene. Das führe etwa zu Verspätungen bei Fernzügen, weil Pendlerzüge Vorrang haben. Der VCÖ kritisiert außerdem, dass die Flugticketabgabe in den vergangenen Jahren zweimal gesenkt wurde. Sie beträgt für Kurzstreckenflüge nur mehr 3,50 statt den sieben Euro bei ihrer Einführung im Jahr 2011, bei Langstreckenflügen nur mehr 17,50 statt 35 Euro.

Auf europäischer Ebene soll sich Österreich für eine Kerosinsteuer einsetzen. Allein im ersten Halbjahr 2019 wurde in Österreich 455.000 Tonnen Kerosin getankt, das der Staat mit 300 Millionen Euro hätte versteuern können.

Eine europaweite Kerosinsteuer will auch die Europäische Bürgerinitiative Fairosene erreichen und schlägt 33 bis 45 Cent pro Liter vor – je kürzer die Strecke, desto höher. Nur Flüge zu Inseln, die nicht per Brücke oder Tunnel mit dem Festland verbunden sind, sollen ausgenommen sein. Bis Mai 2020 muss die Initiative eine Million Unterschriften sammeln, um vom EU-Parlament und der Kommission angehört zu werden.

Die internationale Klimabewegung um Greta Thunberg hat die Diskussion über Flugreisen neu entflammt. Flygskam nennt man es in Schweden, wenn man sich fürs Fliegen schämt. Im August gab es dort um zehn Prozent weniger Inlandsflüge als im Jahr davor. Die meisten Rückgänge gab es auf den Strecken, wo erst kürzlich Zugverbindungen ausgebaut wurden. Die tiefste Flugscham hilft eben nicht, wenn es keine ernsthaften Alternativen zum Fliegen gibt. Erst wenn die Bahn günstig, schnell und bequem ist, steigt man gern in den Zug. Dafür haben die Schweden übrigens auch ein Wort: Tågskryt – Zugstolz. (Philip Pramer, 17.10.2019)