Nach Passmanns Bestseller "Alte weiße Männer" ist Anfang Oktober "Frank Ocean" erschienen.

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Lesung im Wiener Kosmos-Theater in Kooperation mit dem österreichischen Frauennetzwerk Sorority.

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Sophie Passmann, "Frank Ocean". 10,30 Euro / 96 Seiten. Kiepenheuer und Witsch, 2019

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Sophie Passmann, "Alte weiße Männer. Ein Schlichtungsversuch". 12,40 Euro / 288 Seiten. Kiepenheuer und Witsch, 2019

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Sophie Passmann hat vor einem halben Jahr ein Buch über eine Gruppe vorgelegt, die spätestens seit der #MeToo-Debatte erstmals als solche in in Erscheinung trat: die alten weißen Männer. Was das überhaupt bedeutet, wer dazu zählt und warum – das wollte Passmann von 15 Männern wissen, die auf den ersten Blick gut in diese Beschreibung passen: wegen ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe und ihrer Machtposition. Und trotzdem sind die Unterschiede zwischen ihnen groß. Vor kurzem las Passmann im Zuge ihrer Lesetour im Wiener Kosmos-Theater aus ihrem Buch – und begeisterte das vorwiegend junge Publikum.

STANDARD: Sie sind durch Ihr Buch quasi zur Expertin für "alte weiße Männer" geworden. Nervt sie das inzwischen?

Passmann: Nein, ich müsste mich ja ohrfeigen – da hab' ich ein Buch über alte weiße Männer geschrieben und jetzt bin ich davon genervt? Aber ich bin oft peinlich berührt, wenn ich in die Rolle gedrängt werde, jetzt doch bitte für den Feminismus zu sprechen. Das sollte niemand tun, erst recht nicht ich. Seltsam finde ich es auch, wenn mich Leute nach Promis abfragen wollen: Ist Sebastian Kurz jetzt ein alter weißer Mann? Dabei geht es in meinem Buch nicht darum, wer im falschen und wer im richtigen Klub ist.

STANDARD: Warum wollen Sie nicht für den Feminismus sprechen?

Passmann: Feminismus ist zu divers, um sagen zu können, eine spricht jetzt für alle jungen Frauen, die sich mit Feminismus identifizieren. Das möchte ich mir nicht anmaßen. Außerdem bin ich keine Aktivistin. Ich bin Satirikerin und Feministin, aber ich sehe meinen Schwerpunkt nicht auf einer unironisch-ungebrochenen aktivistischen Feminismusbewegung. Ich finde den Kern von Feminismus wichtig. Aber meine Rolle ist, ihm Reichweite zu geben, und ich halte dafür gern mein Gesicht hin. Ich drücke mich nicht vor dem Aktivismusbegriff, ich habe einfach Respekt vor dieser wichtigen zivilgesellschaftlichen Rolle – und da gibt es Frauen, die wirklich viel mehr tun als ich.

STANDARD: Wie haben Sie die Interviewpartner für Ihr Buch ausgewählt?

Passmann: Mich interessierte, was "alter weißer Mann" bedeutet. Deshalb wollte ich mich davor hüten, die Auswahl darauf zu fokussieren, wer denn ein alter weißer Mann sein könnte. Das einzige Auswahlkriterium neben dem Weiß- und Männlichsein war, dass er Macht in einer Elite hat. Es muss den Wandel entweder aktiv verhindern oder vorantreiben können, sei es in den Medien, der Politik oder Kultur.

STANDARD: Ihre 15 Gesprächspartner erfüllen diese drei Kriterien, zwischen ihren Positionen zur Gleichberechtigung liegen aber Welten. Wozu taugt dann dieser Begriff?

Passmann: Der Begriff ist aus der Populärkultur gekommen, soziale Netzwerke haben ihn nach oben gespült und etabliert. Er wurde aber nie definiert – und das ist das Spannende daran. Natürlich ist der Begriff auch eine Polemik, er tut so, als würde er alle Männer ab einem gewissen Alter in eine reaktionäre Ecke stecken. Deshalb kommen bei der Formulierung "alter weißer Mann" sofort immer Gegenbeispiele. Bernie Sanders ist fast 80, aber sicher kein alter weißer Mann. Sebastian Kurz allerdings, der zwar erst 33, aber stramm konservativ ist, in gewisser Weise schon. Der Begriff ist nicht sehr genau, das ist seine Schwäche. Was ich daran aber sehr mag, ist, dass er Männern en passant eine Lektion darin gibt, wie es ist, auf Geschlecht und Hautfarbe reduziert zu werden.

STANDARD: Mit der Vorstellung, Privilegien zu genießen, tun sich viele schwer. War das ein besonders heikles Thema?

Passmann: Ja, das ist ganz furchtbar. Dabei habe ich immer nur die Lightversion gebracht: Klar kannst du Sachen, aber du hattest es mit allem, was du kannst, leichter als zum Beispiel ein schwarzer Mann. Sascha Lobo beschreibt das eindrücklich, dass für ihn als weißen Mann per Werkeinstellung alle Türen offen sind, die nur offen sein können. Doch allein diese Einsicht fällt vielen Männern schon wahnsinnig schwer. Es gibt eine große Nervosität, dass einen Teil des ganzen Kuchens, der vor ihnen liegt, auch andere bekommen könnten.

STANDARD: Manche Interviewpartner, etwa "Welt"-Chefredakteur Ulf Poschardt, haben Sie richtige Monologe halten lassen. Er sinniert darüber, der Feminismus hole ihn intellektuell nun mal nicht ab. Haben Sie bewusst nicht gekontert?

Passmann: Es gab Gespräche mit antifeministischen Argumenten, die harmlos waren, die weniger menschenverachtend als vielmehr uninformiert sind. Doch bei den argen Gesprächen habe ich auf die Selbstzerstörungskräfte des alten weißen Mannes vertraut. Und wegen der Lesungen kann ich sagen, dass es funktioniert hat. Poschardt ist das Kapitel, wo am meisten gelacht wird – weil es an irgendeinem Punkt einfach albern wird. Da sind Aussagen dabei, die ich gar nicht mit einem Gegenargument adeln wollte. Ich finde den Ansatz ehrenwert, dass man auf alles eingehen sollte, aber mancher Quatsch ist einfach so großer Quatsch, dass man nicht die Energie aufbringen muss zu sagen: Das stimmt so nicht. Ich habe mich bei manchen Gesprächen mit einer Entspanntheit und einem großen Selbstbewusstsein gegen die Gegenrede entschieden.

STANDARD: Folgt man mit überspitzten Formulierungen wie "alter weißer Mann" nicht einer Medienlogik, nach der Diskriminierung zum Streitthema gemacht wird, anstatt sie als ein gesellschaftspolitisches Faktum zu bearbeiten? Der Gender Pay Gap ist Fakt, aber inzwischen vielleicht fad, deshalb lasst uns mal lieber über "alte weiße Männer" streiten?

Passmann: Gespräche werden oft auf das Format des Streits reduziert. Ich habe mit Jan Fleischhauer ein "Spiegel"-Interview gemacht – am Ende ist nur hängengeblieben, ich hätte mich mit ihm gestritten. Was nicht hängengeblieben ist, ist, welche Argumente wir ausgetauscht haben. Also, ja: Streit ist in den Medien zu Unrecht ein völlig hochgejazztes Format. Das machen Liberale gerne, weil ihnen die Illusion wichtig ist, "wir hören in alle Richtungen zu".

Zu meinem Job gehört aber die Medienlogik. Ich muss nicht eine möglichst seriöse Form für ein möglichst seriöses Argument wählen. Ich erlaube mir, andersrum zu denken: Was ist eine zugespitzte, aber gleichzeitig kluge Art und Weise, über ein Thema zu sprechen? Mir ist wichtig, dass vor allem Leute mein Buch in die Hand bekommen, die ansonsten kein Buch über Feminismus kaufen würden, und das habe ich geschafft. Ältere Herren, die konservativ sind und mit Feminismus nichts zu tun haben wollen, haben es gelesen, weil sie dachten, "das wird jetzt nicht allzu böse sein, ich lese mal rein". Und völlig apolitische junge Frauen – das habe ich zumindest bei meinen Lesungen mitbekommen – haben es gelesen, weil sie es poppig fanden. Deshalb bin ich sehr froh, dass ich mit Medienlogik gearbeitet habe. In meinem Fall, in der Unterhaltungsbranche, muss man es so machen. Im Journalismus sollte man es aber anders machen.

STANDARD: Und im feministischen Aktivismus?

Passmann: Ich sehe viele kluge und gebildete Frauen, die tolle Sachen schreiben. Es wird aber nicht außerhalb ihrer sozialen Kreise gelesen oder rezipiert. Aktivismus ruht sich oft – auf einer moralischen Ebene auch völlig zu Recht – darauf aus, das Richtige zu tun. Man macht sich manchmal nicht die Mühe, sich zu fragen, wie das zu den Leuten kommt. Letztlich müssen alle vereinfachen: Der Wirtschaftsjournalist muss auch auf einer Seite den europäischen Finanzausgleich erklären. Die Komplexität unseres Anliegens nimmt uns nicht aus der Pflicht, so zu formulieren, dass uns jeder versteht. Da rutscht man auch schnell in so eine akademische, klassistische Richtung ab. Ja, theoretische Debatten müssen auch sein, aber wenn sie nur so ablaufen, darf man sich nicht beschweren, dass man nicht gehört wird.

STANDARD: Es gibt aber einen Unterschied zwischen feministischen Themen und jenen eines Wirtschaftsjournalisten. Erstere werden völlig anders behandelt.

Passmann: Ja, das stimmt. Das ist das brachiale Medienpatriarchat. Wenn eine Frau etwas sagt, was mit Feminismus oder Frauenrechten zu tun hat, hat sie mindesten drei Tage Spaß mit Hassmails. Aber wenn sie es auf vier Seiten noch ausführlicher erklären könnte, würden die Sexisten auch nicht sagen: Danke, jetzt habe ich es auch verstanden, dass Frauen auch Menschen sind. Es ist also auch sehr verständlich, wenn sich Frauen eine Feminismus- und Aktivismusblase als Safe Space erhalten wollen.

STANDARD: Die US-amerikanische Autorin Jessa Crispin sagt, wir sollten uns nicht um die Männer kümmern, die von feministischen Entwicklungen verunsichert sind. Es gebe zu viel frauenpolitische Arbeit, dafür sei keine Zeit. Sollten Feministinnen diesen Männern weniger Zeit widmen?

Passmann: Bei einem Aspekt gebe ich ihr recht: Wir müssen Männer nicht therapieren. Aber wenn man das auf mein Buch überträgt, bin ich erschrocken über dieses Argument. Mir wurde oft vorgeworfen, warum ich mit Männern statt mit Frauen geredet habe. Diese Position behauptet am Ende des Tages, dass die 15 Gespräche, die ich geführt habe, wichtiger sind als die Bücher, die verkauft wurden. Die 15 Gespräche waren das Instrument, um das Buch zu machen, sie sind das Instrument, aber nicht das Endergebnis. Ich habe diese Interviews mit den Männern genutzt, um über Feminismus zu reden – und konnte das in Talkshows, Interviews und Lesungen tun. Und ich wollte ein Feminismusbuch so gestalten, dass Leute es lesen und Spaß daran haben – und am Ende merken: Fuck! Das war ja ein Feminismusbuch! (Beate Hausbichler, 19.10.2019)