In dem Bauernhof soll die Familie eingesperrt gewesen sein.

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Amsterdam – Bisher haben wohl die wenigsten von dem kleinen niederländischen 3000-Seelen-Dorf Ruinerwold in der Provinz Drenthe gehört. Doch ein an sich idyllischer Bauernhof mitten im Grünen rückte das Dorf am Dienstag in den Fokus weltweiter Berichterstattung. Denn die Polizei entdeckte dort eine Gruppe, die offenbar fast zehn Jahre lang isoliert in einem Raum gelebt hat.

Die Polizei sagte am Mittwoch, dass es sich bei den Menschen um fünf Geschwister im Alter von 18 bis 25 Jahren handelt. Außerdem befand sich ihr bettlägriger Vater bei ihnen. Die "Kellerkinder", wie sie teilweise in niederländischen Medien bezeichnet werden, sollen auf den Weltuntergang gewartet haben.

Österreicher festgenommen

Ein 58 Jahre alter Mann, der nicht zur Familie gehört und offenbar auf dem Hof lebte, wurde vorläufig festgenommen. Er soll auch die Miete für den Bauernhof bezahlt haben. Der Sprecher des Außenministeriums in Wien, Peter Guschelbauer, bestätigte am Dienstagabend Berichte niederländischer Medien, dass es sich bei dem Mann um einen Österreicher handelt. Der 58-Jährige sei gebürtiger Wiener und soll 2010 von Oberösterreich in die Niederlande ausgewandert sein. Er ist laut Polizeiangaben Tischler.

Laut Guschelbauer will er keinen Kontakt zur österreichischen Botschaft in Den Haag und keine konsularische Hilfe. Bisher ist unbekannt, in welchem Verhältnis der Österreicher zu den anderen Mitgliedern der Gruppe stand. Auch ob er die Gruppe mit Gewalt dort festhielt, weiß man bisher nicht.

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Am Mittwoch wurde der Mann noch von der Polizei befragt. Noch ist nicht bekannt, ob er eines Verbrechens beschuldigt wird. "Der Mann befindet sich noch in Gewahrsam", sagte die lokale Polizeisprecherin Grietje Hartstra: "Es ist noch vieles unklar, und wir untersuchen genau, was hier passiert ist."

"Josef, der Österreicher" soll der 58-Jährige von den Nachbarn genannt worden sein – in Anlehnung an seine Herkunft. Die Meinungen der Anrainer über den Festgenommenen divergieren jedenfalls. Ein Nachbar sagt, er habe immer freundlich gegrüßt, ein anderer beschrieb ihn als "bissig": "Wenn man nur in die Nähe kam, schickte er einen weg. Er beobachtete immer alles mit einem Fernglas."

Wirt alarmierte Polizei

Der Wirt des Dorfwirtshauses hatte die Polizei am Montag alarmiert. Bei ihm war ein fremder junger Mann in der Gaststube aufgetaucht. Er sei total verwirrt gewesen, wie der Wirt sagte. "Er sagte, dass er weggelaufen sei und Hilfe brauche." Der 25-Jährige habe auch geschildert, dass er neun Jahre lang nicht draußen gewesen sei. Daraufhin hatte der Wirt die Polizei eingeschaltet. Der 25-Jährige dürfte dem Wirt zufolge bereits das zweite Mal in das Lokal gekommen sein.

Über die genauen Lebensumstände und den Gesundheitszustand der Familie wollte die Polizei vorerst keine Angaben machen. Die Untersuchungen seien in vollem Gange. "Alle Szenarien sind noch offen", sagte eine Sprecherin. Die Menschen sollen in einem geheimen Zimmer gelebt haben, dass versperrbar war.

Dorfbewohner geschockt

Die Dorfbewohner sind geschockt. Sie sagten Reportern, dass sie bei dem Hof immer nur einen Mann gesehen hätten. Von einer Familie hätten sie nichts gewusst. Möglicherweise habe sich die Familie jahrelang selbst versorgt. Die Mutter soll gestorben sein, bevor die Familie 2010 auf den Hof zog, sagte der Bürgermeister der Stadt, Roger de Groot.

Er gab außerdem an, dass die Menschen "in sehr provisorischen Räumen" gelebt hätten. Detailliertere Angaben machte er keine. Nur so viel: "So etwas habe ich noch nicht erlebt."

Der Fall weckt entfernt Erinnerungen an Josef F., der im Jahr 2008 aufgeflogen war. Der Amstettner hatte 24 Jahre lang seine Tochter in einen Keller gesperrt und mit ihr sieben Kinder gezeugt. Josef F. wurde zu lebenslanger Freiheitsstrafe und Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher verurteilt. (APA, red, 15.10.2019)