Hannah Ryggen zeigt in der Schirn-Kunsthalle hochpolitische Bildteppiche.

Foto: Thor Nielsen

Längst ist es Tradition, dass der herbstliche Bücherhype in Frankfurt von Ausstellungen aus dem jeweiligen Gastland flankiert wird. Dabei steht das riesige Paket der Norwegen-Projekte unter keiner Gesamtleitung. Die lokalen Institutionen treffen ihre Entscheidungen autonom. Daraus resultiert ein opulentes Panorama aus Design, Architektur und Kunst im Museum Angewandte Kunst. Es spannt einen breiten Bogen zwischen aktueller Kunst und erstmals gezeigten grafischen Arbeiten von Edvard Munch. Zugleich öffnet sich die Schau der nordischen indigenen Bevölkerungsgruppe und deren länderübergreifendem Kulturraum Sápmi.

Doch visuellen Konzepten nachspüren, die als typisch für ein Land gelten sollen? Angesichts global verlaufender Diskurslinien in der Gegenwartskunst ist das fast ein Widerspruch. Das Fotografie-Forum Frankfurt wagt eine Annäherung über das Thema Licht, sind doch die Weiten Norwegens bis in die Nacht von gleißend hellen Sonnenstrahlen mit fast mystischem Schimmer überzogen. Um ja nicht unter Kitschverdacht zu geraten, bringt die Ausstellung Ethereal, also "ätherisch", etablierte Vertreter der konzeptuellen Fotografie: den eher dokumentarisch vorgehenden Dag Alveng und die Künstlerin A K Dolven.

Wirklich magnetisierend sind aber die Fotoarbeiten der um eine Generation jüngeren Linn Pedersen. Aus der Gemeinde Sortland nördlich des Polarkreises kommend, begreift sie Fotografie als aufwendige Projektarbeit und zieht mit einer riesigen Camera obscura herum. In uralter Aufnahmetechnik erforscht sie Lichtsituationen in feinen Nuancen.

Landschaft ohne Atmosphäre

Im Kontrast dazu merkt man richtig, wie wenig Atmosphäre die räumlich zusammengedrängte Architekturausstellung In norwegischen Landschaften rund um Projekte aus der prominenten Publikationsreihe As Built im Deutschen Architekturmuseum vermittelt. Das dokumentarische Bildmaterial von modernen Bauernhöfen, Villen oder sogar einem Erholungszentrum in der Abgeschiedenheit friedlicher Wälder hätte einiges dafür hergegeben.

Welche Politik aber, welche geschichtlich geprägten Sichtweisen vermitteln Fotografien? Mit ihrer Kritik am Verhältnis von Macht und Bildproduktion konfrontiert die nigerianisch-norwegische Künstlerin Frida Orupabo im Kunstraum Portikus. Ihr Material sammelt sie per Instagram in der Art eines virtuellen Museums. Die wegen ihrer Hautfarbe von Kindheit an selbst immer wieder als exotisch angesehene Künstlerin greift Projektionen von Rasse auf. Sie hinterfragt normierte Geschlechterrollen und thematisiert Sexualität und Gewalt im Privaten, ohne den Hintergrund des Kolonialismus jemals auszuklammern. Inszeniert hat dies Frida Orupabo in einer fragmentarischen Collage auf einem riesigen Tisch, kaum als Ganzes erfassbar, sowie in einem Video aus assoziativ gesetzten Bildern.

Ryggen als Highlight

Das führt zu einem Highlight dieses Kunstherbstes in Frankfurt: zur Retrospektive von Hannah Ryggen in der Schirn-Kunsthalle. Ryggens hochpolitische Bildteppiche nehmen eine singuläre Position in der Avantgarde des 20. Jahrhunderts ein. Mit 25 erzählerisch gestalteten Tapisserien, die als gewebte Waffen gegen den Faschismus rezipiert werden, ist dies die erste breite Präsentation der 1970 in Trondheim verstorbenen Künstlerin in Deutschland. Als Frau beschritt die 1894 in Malmö geborene Hannah Ryggen einen Weg von ungewöhnlicher Konsequenz. Auf einem Bauernhof als Selbstversorgerin lebend brachte sie sich auf einem Webstuhl eine Arbeitstechnik für riesenformatige Arbeiten bei und experimentierte mit selbsthergestellten Farben.

Ihr Wandteppich Etiopia als Antwort Mussolinis Einmarsch in Äthiopien war zeitgleich mit Picassos Guernica auf der Weltausstellung 1937. Die aktive Kommunistin formulierte direkte bildliche Kommentare zu den Ereignissen der Zeit. Jetzt bietet der Norwegen-Fokus in Frankfurt diese faszinierende Begegnung. (Roland Schöny aus Frankfurt, 15.10.2019)