Noch weiß niemand, welche Koalition in Zukunft Österreich regieren wird. Aber viele Beobachter rechnen damit, dass sich das Szenario von 2002 wiederholt: Türkis und Grün werden miteinander verhandeln und letztlich scheitern. Zu groß sind die inhaltlichen Differenzen, zu unterschiedlich die Wählerschaft, zu tief das gegenseitige Misstrauen bei den Funktionären. Und wenn das geschieht, steht die FPÖ wie damals wieder als williger Partner bereit.

Doch das muss nicht so geschehen. Wenn Türkis und Grün nicht zueinanderfinden, gibt es einen dritten Akteur, der eine Brücke zwischen ihnen schlagen kann. Für eine numerische Mehrheit werden die 15 Abgeordneten der Neos nicht gebraucht. Für die Bildung einer stabilen und funktionierenden Regierung könnten sie sich hingegen als unerlässlich erweisen.

ÖVP-Chef Sebastian Kurz und NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger nach einem Sondierungsgespräch.
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Eine türkis-grün-pinke Regierung hätte eine deutlich breitere Mehrheit als eine türkis-grüne Koalition, die bloß einen Überhang von fünf Abgeordneten aufweisen könnte. Kanzler Sebastian Kurz müsste sonst bei jeder kleinen grünen Rebellion um die Mehrheit bangen. Und auch Grünen-Chef Werner Kogler hätte mehr Spielraum für Kompromisse.

Wichtiger aber noch ist der inhaltliche und atmosphärische Kitt, den die Neos den beiden größeren Parteien bieten. Sie teilen mit den Grünen das starke Engagement für Klimaschutz, die Ablehnung einer rigorosen Ausländerpolitik und den Ruf nach einem progressiven Bildungssystem. Gleichzeitig stehen sie in den meisten Wirtschaftsfragen der ÖVP nahe.

Neos als perfektes Bindeglied

Mit den Neos hätte Kogler bei seinen Kernthemen einen starken Verbündeten, den er gegenüber der so viel größeren ÖVP gut gebrauchen kann. Gleichzeitig könnte Kurz den Grünen bei der Schlüsselfrage der CO2-Besteuerung entgegenkommen, ohne in den Verdacht zu geraten, dass er sich die Politik von linken Chaoten diktieren lässt. Bei seinen Wählern sind die Neos schließlich der beliebteste Koalitionspartner – und sie haben im Juni überdies nicht für den Sturz seiner Regierung gestimmt. Als bürgerliche Liberale fühlen sich die Pinken in schwarzen Milieus wohl, wo für viele die politische Laufbahn einst begann. Aber auch in urban-grünen Kreisen fremdeln sie nicht. Sie sind ein fast perfektes Bindeglied zwischen zwei sehr gegensätzlichen Lagern.

Dazu kommt, dass die Neos unter Beate Meinl-Reisinger trotz ihrer spärlichen Regierungserfahrung fachliche Kompetenz und politischen Pragmatismus vermitteln. Sie treten, anders als die Grünen, wie eine geborene Regierungspartei auf.

In einem Dreierbündnis können sie bei den erwartbaren Streitigkeiten den Ausschlag geben – und damit einen Einfluss gewinnen, der über ihre eigentliche Stärke hinausgeht. Es ist auch nicht belegt, dass das Regieren bei drei Koalitionspartnern schwieriger ist als bei zwei – vor allem, wenn sich der Dritte als Vermittler eignet.

Das Hauptargument gegen die sogenannte Dirndlkoalition lautet: Das gab's im Bund noch nie. Aber das gilt auch für Türkis-Grün. Es mag taktisch klüger sein, wenn vorerst nur diese beiden an einem Tisch sitzen und die Neos erst hinzugezogen werden, wenn sich diese Verhandlungen spießen. Aber dann werden sie gebraucht.

Denn da die ÖVP kaum mit der SPÖ koalieren wird, droht andernfalls die Wiederkehr einer türkis-blauen Koalition. Und das wäre für das Land die schlechteste aller Varianten. (Eric Frey, 16.10.2019)