Werner Kogler appelliert auch an die eigenen Leute: "Man soll sich nicht immer nur fürchten und nur die Risiken sehen, sondern möglicherweise auch Chancen." Die Grünen wollen also positiv an die Sondierungen mit ÖVP-Chef Sebastian Kurz herangehen. Dennoch warnt der Grünen-Chef vor zu hohen Erwartungen: "Es ist tatsächlich so, die Unterschiede sind enorm." Diese Unterschiede zwischen Türkisen und Grünen sind in unterschiedlichen Bereichen auszumachen, von der Umweltpolitik über die Bildung bis hin zur Sozialpolitik, wo es in der Frage der Mindestsicherung massive Differenzen in der Herangehensweise gibt. DER STANDARD gibt einen Überblick über die Stolpersteine, die im Zuge von Sondierungen und Koalitionsverhandlungen noch auftauchen können. Wir haben die Positionen von ÖVP und Grünen bei heiklen Themen gegenübergestellt:

Das türkise und das grüne Wahlprogramm zu einem türkis-grünen Puzzle zusammenzufügen könnte schwierig werden.
Foto: Fatih Aydogdu

STOLPERSTEIN UMWELT

ÖVP

Klimazölle

Die Volkspartei hat während des Wahlkampfs klar gemacht: Eine CO2-Steuer auf nationaler Ebene ist nicht vorgesehen. ÖVP-Chef Sebastian Kurz plädierte viel mehr für die Einführung von Klimazöllen an der EU-Außengrenze. Zu einer Ökologisierung der Steuerreform kam es während der türkis-blauen Regierung nicht. Zwar sah die Steuerreform von ÖVP und FPÖ unter anderem eine höhere Besteuerung für Fahrzeuge vor, die mehr CO2 ausstoßen, und auch die Abschaffung der Eigenstromsteuer wurde beschlossen. Der große Wurf, der von zahlreichen Wissenschaftern in puncto Ökologisierung gefordert wurde, blieb jedoch aus. Zwar hieß es, weitere Punkte im Ökosteuerbereich würden noch folgen, dem Vorhaben kam jedoch das Platzen der Regierung in die Quere.

Staatsziel Klimaschutz

Laut Ex-Umweltministerin Elisabeth Köstinger ist Österreich bei seinem Treibhausgasausstoß zuletzt eine "Trendwende" gelungen. Sie bezog sich dabei auf den Emissionsrückgang im Jahr 2018 im Vergleich zum Vorjahr, der jedoch größtenteils auf Einmaleffekte zurückzuführen war. Außerdem folgte die Meldung nach einem Negativrekordjahr: 2017 – also noch vor Köstingers Amtsperiode – verfehlte Österreich erstmals die nationalen Klimavorgaben. Während sich die Volkspartei während der vergangenen Legislaturperiode für das Staatsziel Wirtschaft starkmachte, will Ex-Kanzler Kurz nun das Staatsziel Klimaschutz in der Verfassung verankern. Darauf könnten sich die zwei möglichen Koalitionspartner wohl einigen. Die ÖVP will außerdem ein Klimakabinett umsetzen.

Pendler schützen

Im Bereich der Mobilität könnten sich Türkis und Grün auf mehrere Punkte einigen: Beide wollen die E-Mobilität – allen voran im Individualverkehr – stärken. Auch beim Wasserstoff dürfte man einen grünen Zweig finden. Bei der Pendlerpauschale werden die Gespräche wohl schwieriger: Die ÖVP will Pendler auf jeden Fall schützen. Kurz sprach sich außerdem gegen die Abschaffung des Dieselprivilegs aus.

GRÜNE

Ökosteuerreform

Die Grünen haben in ihrem Wahlprogramm klar festgelegt: "Eine Ökologisierung der Steuerstruktur ist die einzig richtige Antwort auf die Klimakrise." Auf diesen Punkt dürfte die Partei bei den Koalitionsgesprächen weiter beharren. Immerhin waren die Grünen zuletzt laute Kritiker der – aus ihrer Sicht mangelnden – Ökologisierung von ÖVP und FPÖ. Sie meinen, dass klimaschonendes Verhalten belohnt werden muss, und fordern unter anderem eine Bepreisung von Treibhausgasen. "Das Gesamtpaket wird wichtig sein", heißt es aus Kreisen der künftigen grünen Abgeordneten. Ohne eine Preiskomponente für den Treibhausgasausstoß wird es dem Vernehmen nach jedenfalls nicht gehen, die Partei beharrt jedoch nicht darauf, dass die Maßnahme letztlich CO2-Steuer heißen muss.

Neues Klimaschutzgesetz

Die Grünen sehen die derzeitige Gesetzeslage im Bereich des Klimaschutzes als zu lose an. Sie fordern die Anpassung des Klimaschutzgesetzes, das Österreich auf einen Zielpfad gemäß dem Pariser Klimaschutzabkommen bringen soll. Konkrete Zielvorgaben sollen in einen gesetzlichen Rahmen gegossen werden, außerdem wird über Sanktionsmöglichkeiten bei Nichteinhaltung der Klimavorgaben nachgedacht. Zudem sollen sämtliche neue Gesetze und Verordnungen einem "Klimacheck" unterzogen werden. Die Partei will außerdem den bisherigen Entwurf des nationalen Energie- und Klimaplans deutlich anpassen. Das könnte angesichts der durchschnittlichen Dauer von Koalitionsgesprächen jedoch eng werden: Das Papier muss zu Jahresende nach Brüssel geschickt werden.

Öffis ausbauen

Während die Grünen eine österreichweit gültige Öffi-Jahreskarte für realistisch halten, setzte die Regierung Kurz keine entsprechenden Schritte in diese Richtung. Gleiches gilt für die Abschaffung klimaschädlicher Subventionen – dieser Punkt ist den Grünen hingegen ein großes Anliegen. Einfacher wird es wohl bei der von den Grünen geforderten Abschaffung von Tempo 140 – das war eher ein Wunsch der FPÖ. (lauf)

Foto: Getty/iStockphoto

STOLPERSTEIN SOZIALPOLITIK

ÖVP

Raus aus der Hängematte

Die wichtigste sozialpolitische Reform unter Türkis-Blau war auch die umstrittenste: die Abschaffung der Mindestsicherung und ihre Umwandlung in eine Sozialhilfe neu. Die Leistung für Einzelpersonen richtet sich wie bisher nach der Ausgleichszulage (zuletzt 863 Euro). Neu: Die Zuschläge für Kinder sinken rasch ab. Für das erste gibt es noch 25 Prozent, ab dem dritten nur noch fünf Prozent. Die Ratio dahinter aus Sicht von ÖVP und FPÖ war, dass Familien mit vielen Kindern nicht über Sozialleistungen mehr Geld bekommen sollen, als wenn die Eltern arbeiten. Hinzu kommen Abschläge in Höhe von 300 Euro für Menschen, die nicht gut Deutsch sprechen. Die ÖVP hat kein Interesse, die Regelungen in dem Rahmengesetz zu ändern. Zumal erste schwarz regierte Länder wie Niederösterreich bereits ein neues Sozialhilfegesetz beschlossen haben und sich ÖVP-Politiker massiv für die Neuregelung eingesetzt haben. ÖVP-Klubchef August Wöginger meinte einst: "Wir wollen die Leute aus der sozialen Hängematte holen."

Reha-Geld reformieren

Reformbedarf sieht der Wirtschaftsflügel der ÖVP auch im Umfeld der Pensionen, beim Rehabilitationsgeld. Dieses wird seit 2014 von den Krankenversicherungen an Menschen ausbezahlt, die vorübergehend berufsunfähig sind, bei denen aber noch gehofft wird, dass sie in den Arbeitsmarkt zurückkehren können. Das gelingt nur in seltenen Fällen.

WENIGER KINDERGELD INS AUSLAND

Ein weiteres grün-türkises Streitthema betrifft das Kindergeld. Zu Jahresbeginn hat Österreich die Unterstützung für Kinder im EU-Ausland und in der Schweiz an die regionalen Lebenshaltungskosten angepasst. Die Folge ist, dass vor allem Kinder in Ungarn und der Slowakei weniger Geld bekommen. Die EU-Kommission hat die Regel als "zutieftst unfair" kritisiert und strebt eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) an. Sollte dieser die Regel kippen, müssten sich ÖVP und Grüne, falls sie gemeinsam regieren, auch über dieses heikle Streitthema einig werden.

GRÜNE

Rotes Tuch für Wien

Von den Grünen kam vernichtende Kritik am Mindestsicherungsgesetz, besonders aus dem rot-grün regierten Wien hieß es, damit werde Armut geschaffen. Selbst einige Entschärfungen wie ein Bonus für alleinerziehende Mütter (100 für das erste Kind, 75 für das zweite, 50 Euro für das dritte) haben an der Kritik wenig geändert. Das Mindestsicherungsgesetz ist Gegenstand einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof, Experten halten es für nicht unwahrscheinlich, dass Teile des Gesetzes gekippt werden. Dann müsste eine mögliche grün-türkise Regierung die Materie ohnehin noch einmal verhandeln. Ein möglicher Kompromiss könnte sein, den Ländern bei der Ausgestaltung der Sozialhilfe noch etwas mehr Spielraum zu geben. Das Hauptziel der Reform, eine Vereinheitlichung der Mindestsicherung zu gewährleisten, wurde nämlich mit dem vorliegenden Gesetz ohnehin nicht erreicht – dafür haben die Länder weiterhin einen zu großen Spielraum.

Grüne für Grundpension

Im Wahlkampf hat es zwar nicht viel Beachtung gefunden. Doch laut ihrem Wahlprogramm wollen die Grünen im Pensionssystem gehörig umrühren. Sie fordern die Schaffung einer steuerfinanzierten Grundpension in Höhe von 900 Euro für alle Menschen ab 65. Das wäre eine große Veränderung: Die Grünen fordern diese Grundpension zusätzlich zu den am Arbeitsmarkt erworbenen Pensionszahlungen. Eine solche Reform wird sich mit der ÖVP nicht umsetzen lassen.

Ruf nach Grundsicherung

Die Ökopartei will deutlich mehr gegen Kinderarmut in Österreich investieren – das Ganze soll Teil einer grünen Grundsicherung sein, heißt es im Wahlprogramm der Ökopartei. Ein Kernbestandteil der Forderung lautet dabei, die Zuschläge für Kinder in allen bestehenden sozialen Absicherungssystemen (ob bei Arbeitslosengeld, Pensionen, Mindestsicherung) deutlich anzuheben. Hier erscheint eine Einigung mit der ÖVP leichter möglich zu sein, da die Türkisen beanspruchen, die Familienpartei zu sein. (szi)

Foto: AFP/Wald

STOLPERSTEIN ASYLPOLITIK

ÖVP

Abschotten und Abschieben

Die ÖVP hat in Asylfragen seit der Übernahme von Sebastian Kurz eine rechte Positionierung zu ihrem Markenkern erkoren. Die Zahl der in Österreich aufgenommenen Flüchtlinge soll so weit wie möglich reduziert werden. Einen Verteilungsmechanismus auf EU-Ebene lehnt die ÖVP ab, Asylwerber sollen gar nicht erst europäischen Boden betreten. Türkis-Blau hat sich im Unterschied zu Vorgängerregierungen auch geweigert, sich an internationalen Resettlement-Programmen zu beteiligen, bei denen beispielsweise syrische Asylberechtigte aus den UN-Lagern der umliegenden Länder (z. B. Jordanien) aufgenommen werden.

Auch im Falle der vor Italien aus Seenot geretteten Bootsflüchtlinge sträubt sich die ÖVP gegen einen marginalen österreichischen Beitrag. Die Bootsflüchtlinge sollen nach ihrer Vorstellung gar nicht erst nach Europa kommen, sondern sofort in die Herkunfts- oder Transitländer zurücktransportiert werden, sobald sie aufgegriffen werden. Die menschenrechtlich oft desaströse Lage in diesen Ländern – z. B. Libyen – nimmt die Volkspartei dabei in Kauf, um von ihrem restriktiven Kurs nicht abrücken zu müssen. Bei negativem Asylbescheid befürwortet die Volkspartei auch Abschiebungen in kriselnde Länder wie Afghanistan.

Keine Arbeitsanreize

Für Asylwerber will die ÖVP den Arbeitsmarkt nicht öffnen. Das De-facto-Arbeitsverbot auf Grundlage eines Sozialministeriumserlasses soll bestehen bleiben. Laut Kurz würde voller Arbeitsmarktzugang Zuwanderung attraktiver machen und damit die falschen Anreize setzen.

Staat berät

Ein organisatorisch bedeutsames türkis-blaues Projekt war die Gründung der staatlichen – ans Innenministerium angebundenen – Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU), die künftig anstelle von NGOs die Rechtsberatung von Asylwerbern durchführen soll. Generell ist Kurz immer wieder mit scharfer Kritik an den seiner Meinung nach in Flüchtlingsfragen zu offenen NGOs hervorgetreten.

GRÜNE

Europäische Verteilung

Die Grünen sprechen sich klar für ein EU-weit einheitliches Asylsystem samt Flüchtlingsverteilung auf die Mitgliedsländer aus. Blockiererstaaten wie z. B. Ungarn sollen nötigenfalls auch mit finanziellen Sanktionen belangt werden, wenn sie nicht mitmachen. Parteichef Werner Kogler plädierte kürzlich im STANDARD-Interview auch dafür, dass Österreich einige Bootsflüchtlinge aufnehmen soll, die vor der italienischen Küste aus Seenot gerettet wurden. Ihre Zahl belaufe sich ohnehin nur auf ca. 15 pro Monat, das sei locker zu bewältigen. Zudem forderte Kogler eine Beteiligung an Resettlement-Programmen aus jordanischen und libyschen Lagern, denn das sei "ein klassisch grünes Konzept".

Um das Geschäft der Schlepper zu unterbinden, wollen die Grünen außerdem das Stellen eines Asylantrags in den Herkunftsländern der Flüchtlinge erleichtern – das Wahlprogramm sieht die Möglichkeit eines Botschaftsasyls vor. Bei Asylwerbern, die in Österreich einen negativen Bescheid erhalten haben, sind die Grünen nicht in allen Härtefällen für eine Abschiebung. In gewaltgeplagte Regionen Afghanistans soll nicht abgeschoben werden.

Zugang zum Arbeitsmarkt

Nach sechs Monaten Aufenthalt in Österreich sollen Asylwerber gemäß grüner Position Zugang zur Lehre und zu Mangelberufen haben. In weiterer Folge soll für diese Personen auch die Option geschaffen werden, eine Rot-Weiß-Rot-Karte zu beantragen, um auf diesem Weg eine Aufenthaltsberechtigung zu erlangen. Mit Rudi Anschober sitzt für die Grünen der bekannteste Verfechter der Devise "Ausbildung statt Abschiebung" im Sondierungsteam.

NGOs beraten

Die Grünen sehen sich selbst als parlamentarische Stimme von Menschenrechts-NGOs. Dementsprechend deutlich wenden sie sich gegen die BBU. Sie sehen durch die Verstaatlichung die Unabhängigkeit der Rechtsberatung gefährdet und orten eine Verschlechterung der juristischen Vertretung von Flüchtlingen. (ta)

Foto: APA/Pfarrhofer

STOLPERSTEIN ARBEIT

ÖVP

Zwölfstundentag

Ein Rückzieher ist ausgeschlossen: Der Zwölfstundentag war ein Prestigeprojekt der türkis-blauen Regierung. ÖVP-Chef Sebastian Kurz wird keinerlei Bereitschaft zeigen, das Modell für einen neuen Regierungspartner zu opfern. Sollten die Grünen also apodiktisch das Aus fordern, ist eine Einigung aussichtslos. Kurz zeigt nicht nur deshalb wenig Wille zum Kompromiss, weil er sich als Wahlsieger gestärkt fühlt. Mit den Unternehmervertretern würde sich auch eine in der ÖVP einflussreiche Lobby wehren, eben erst gewonnene Vorrechte wieder aufzugeben. Denn eine zentrale Neuerung lautet: Bislang konnten Arbeitnehmer bis zu zwölf statt zehn Stunden am Tag eingesetzt werden, wenn der Betriebsrat einwilligte oder es eine schriftliche Vereinbarung plus ein arbeitsmedizinisches Gutachten gab. Das neue Gesetz schreibt zwar "Freiwilligkeit" vor, aber keine Zustimmung der Belegschaftsvertreter.

Strengere Regeln

Im Sinne von Unternehmervertretern wäre auch, mehr Druck auf Arbeitslose auszuüben. Das türkise Wahlprogramm sieht schärfere Zumutbarkeitsbestimmungen bei der Annahme von Arbeit ausschließlich für Asylberechtigte vor, das alte türkis-blaue Programm fasste den Kreis weiter. Ebenfalls geplant war, die Notstandshilfe zu streichen, womit Menschen ohne Job nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes in die schlechtere Mindestsicherung gefallen wären. Dem Vernehmen nach soll dieser Plan aber nicht mehr Priorität haben, als dringlicher gilt nun die Idee, dass das Arbeitslosengeld mit wachsender Bezugsdauer stufenweise sinken soll.

GRÜNE

Ruf nach Mitsprache

Bei den Demonstrationen gegen den Zwölfstundentag waren die Grünen mittendrin statt nur dabei: Die Wiener Partei nannte das Flexibilisierungsgesetz einen "Raubzug der Bundesregierung", der Menschen ins Burn-out und Frauen zurück an den Herd treibe – schließlich würden vor allem die Männer noch länger den Familien entzogen.

Im Wahlkampf trat Spitzenkandidat Werner Kogler allerdings viel gebremster auf: Er redete am einstigen Aufregerthema häufig vorbei. Eine Vorleistung für den künftigen türkisen Koalitionspartner? Kogler und Co rechnen wohl nicht ernstlich damit, den Zwölfstundentag zu Fall zu bringen, doch einfach nur Abnicken würde in der Partei auf Protest stoßen. Wichtig ist den Grünen, dass die Belegschaftsvertreter bei der Regelung der Arbeitszeit wieder Mitspracherechte wie früher erhalten. Sollte die ÖVP da ein Stück weit entgegenkommen, ist eine Einigung denkbar.

Kürzer arbeiten

Die Grünen sind in der Arbeitsmarktpolitik anders gepolt als die ÖVP. Strengere Zumutbarkeitsbestimmungen, die für Arbeitslose etwa längere Wegzeiten zum Job vorsehen, gelten ihnen als Schikane, statt finanziellen Drucks sollen es Förderungen richten – beispielsweise für Projekte wie die von Türkis-Blau gestoppte Aktion 20.000 für ältere Langzeitarbeitslose. Außerdem wollen die Grünen eine Arbeitszeitverkürzung, was in einem ersten Schritt auf einen Ruf nach einem Recht auf Teilzeit (etwa für Weiterbildung) plus ein Recht auf Rückkehr in Vollzeit hinauslaufen könnte. Für den Wirtschaftsflügel der ÖVP ist all das schwer zu schlucken. (jo)

Foto: APA/Rössler

STOLPERSTEIN STANDORTPOLITIK

ÖVP

Vorrang für Großprojekte

Die Landtagswahl in Vorarlberg hat es wieder deutlich gemacht: Geht es um große Infrastrukturprojekte, liegen ÖVP und Grüne weit auseinander. Türkis will etwa eine Verbindung vom Rheintal in die Schweiz, die Schnellstraße S18, die Grünen sind dagegen. Das ist aber nur eines von vielen Vorhaben. Von Niederösterreichs Türkisen wird beispielsweise die Waldviertel-Autobahn nahe Wien bis Oberösterreich gepusht. Ähnlich verhält es sich mit dem Wiener Lobau-Tunnel oder der dritten Piste am Flughafen Schwechat (die aber ohnehin schon genehmigt ist). Türkis hat mit den Blauen schon ein Gesetz beschlossen, um die Umweltverträglichkeitsprüfung von Großprojekten zu beschleunigen. Zudem wollte die ÖVP den Standort in die Verfassung hieven, was aber nicht erreicht wurde.

Konzernsteuern

will die ÖVP senken – in Richtung 20 Prozent, wie die Devise bei der Steuerreform lautete. Überdies sollen auch Arbeitnehmer entlastet werden. Neue Belastungen werden abgelehnt, was dezidiert für eine CO2-, Erbschafts- und Vermögenssteuer gilt. Zudem haben die Türkisen im Endspurt vor den Wahlen noch viele Erleichterungen für Betriebe durchgebracht. Dazu zählen großzügigere Pauschalierung und leichtere steuerliche Anrechnung kleinerer Anschaffungen.

GRÜNE

Vorrang für Nahverkehr

Für die Grünen ist das von der ÖVP durchgedrückte Standortentwicklungsgesetz ein Angriff auf Umweltschutz und Anrainerrechte, wie ihr Chef Werner Kogler vor einem Jahr meinte. Auch einzelne Projekte wie Lobau-Tunnel, dritte Piste, Waldviertel-Autobahn sowie zahlreiche Kraftwerkspläne werden abgelehnt.

Auch beim Bahnausbau gibt es große Reibungsflächen, haben sich die Grünen doch immer wieder skeptisch zu Großprojekten wie Brennerbasis-, Semmering- und Koralmtunnel geäußert. Dafür will die Partei die Investitionen in den Nahverkehr deutlich erhöhen. Die Mittel, die Kogler durch die Nichterrichtung der dritten Piste loseisen will, wären so aber nicht verfügbar, weil der Flughafen Wien ein privatwirtschaftlich geführtes Unternehmen ist und die Investition selbst zahlt.

Reiche

sollen in den Augen der Grünen generell mehr Steuern zahlen. Für Konzerne sollen insbesondere Steuerschlupflöcher geschlossen werden. Zudem wollen sie die Einführung einer Erbschafts- und Schenkungssteuer, die auch Stifter treffen soll. Kleine und mittlere Erbschaften und Schenkungen sollen von einer neuen Besteuerung unberührt bleiben, heißt es. Eine generelle Vermögenssteuer findet sich nicht im Programm, wurde aber immer wieder thematisiert. (as)

Foto: APA/Thissen

STOLPERSTEIN BILDUNG

ÖVP

Zweite Verhüllungsetappe

Die erste Etappe – ein Kopftuchverbot für Mädchen in Kindergärten und Volksschulen – konnte die ÖVP mit der FPÖ realisieren. Nun soll laut Wahlprogramm ein "Kopftuchverbot für Lehrerinnen in der Schule und für Kinder bis 14" folgen. Begründet wird das mit Verweis auf das Neutralitätsgebot und einer Lesart des Kopftuchs als "deutlich sichtbares, demonstratives Symbol, das Schüler politisch beeinflussen kann". Verhüllte Lehrerinnen propagierten "ein Gesellschaftssystem, in dem die Frau nicht dieselbe Stellung hat wie in unserer westlichen, aufgeklärten Gesellschaft". Das Kopftuch schreibe Mädchen "aufgrund ihres Geschlechts gewisse Rollen zu", sie sollten sich aber "frei von diesen Stereotypen entwickeln können". Das ausgeweitete Kopftuchverbot solle sie daher "in der sensiblen Phase zwischen zehn und 14 Jahren" schützen. Sollte die ÖVP Türkis-Grün aus irgendwelchen Gründen doch platzen lassen wollen, müsste sie bloß das Kopftuchverbot bis 14 zur Koalitionsbedingung erklären. Wird sie eher nicht tun.

Kein Herumdoktern

Der Kampf für bzw. gegen die Gesamtschule gehörte viele Jahre lang zu den rot-schwarzen Selbstvergewisserungsritualen. Die SPÖ pro gemeinsame Schule, die ÖVP kontra "Eintopfschule". Dann kam die FPÖ, und es ward ruhig: "Wir doktern da jetzt nicht mehr herum", räumte Bildungsminister Heinz Faßmann für die ÖVP das Thema vom Tisch.

GRÜNE

Einsicht statt Verbot

Wenig überraschend findet sich im grünen Wahlprogramm nicht einmal das Wort Kopftuch. Entsprechend unrealistisch ist die Annahme, sie könnten für eine Regierungsbeteiligung über die Hürde "Kopftuchverbot bis 14" plus gleich noch für Lehrerinnen in der Schule springen. Die Grünen halten schon das bisherige Kopftuchverbot in Kindergärten und Volksschulen für verfassungsrechtlich bedenklich. Sie sagen zwar, dass es durchaus zu Problemen für die betroffenen Mädchen in ihren Klassen kommen kann, fürchten aber kontraproduktive Effekte eines Verbots. Mädchen aus konservativen Familien könnten nach der Schulpflicht aus der Schule genommen werden. Stattdessen solle Überzeugungsarbeit bei den Eltern helfen. Oder, wie Koalitionsverhandler Rudi Anschober einmal sagte: "Einsicht ist immer die bessere Option."

Soziale Durchmischung

Aus ÖVP-Sicht steht im grünen Wahlprogramm ein bildungspolitisches No-Go: "Eine gemeinsame und inklusive Schule, die alle Kinder individuell fördert" beinhaltet all das, was die Volkspartei nicht will. Die grüne Begründung, dass damit "die in Österreich frühe soziale Selektion im Alter von nur zehn Jahren" beendet werden soll, wird die Türkisen schon gar nicht überzeugen. Gibt es nicht, sagen sie. Sollten die Grünen Türkis-Grün also vielleicht doch nicht wollen, hätten sie hier einen Koalitionskündigungsgrund. (nim)

Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: Reuters/Bader

STOLPERSTEIN MEDIEN

ÖVP

ORF unter Kontrolle

Die ÖVP hat wenig Grund, etwas am ORF-Stiftungsrat zu ändern, der alle wichtigen Entscheidungen in Österreichs weitaus größtem Medienunternehmen trifft: Sie hat die weitaus größte Fraktion dort – weil Regierung, Länder, Parteien und der vom Kanzleramt besetzte ORF-Publikumsrat ihn beschicken. Offizielle Linie: "gesprächsbereit über sinnvolle Weiterentwicklung". Auch die Medienbehörde findet die ÖVP grundsätzlich gut, wie sie ist, also: fünf Mitglieder, weisungsfrei, von der Regierung bestellt. Sie will gesetzliche Mindestanteile für österreichische Inhalte in ORF-Kanälen; den öffentlichen Auftrag des ORF will die Volkspartei genauer fassen. Die ÖVP will keine präzisen Vorgaben mehr für die Zahl der ORF-Kanäle im Gesetz, er soll so viele betreiben, wie es für den Auftrag braucht. Der ORF soll mit Privaten zusammenarbeiten und so den Medienstandort fördern.

GIS

Keine neuen Steuern: So hat die ÖVP bisher eine Medienabgabe für alle Haushalte statt der GIS abgelehnt. In der Koalition mit der FPÖ konnte sich die ÖVP ein Ende der GIS und ORF-Finanzierung aus dem Bundesbudget vorstellen, gegen den Willen vieler Landeshauptleute.

Inserate, Medienförderungen

15 Millionen extra Förderung aus Digitalsteuer für "digitale Weiterentwicklung" österreichischer Medien. ÖVP/FPÖ erhöhten Förderung nur für kommerzielle Sender um fünf Millionen. Mehr Förderung für nichtkommerzielle Sender sei zu "prüfen". Was hält die ÖVP von genaueren Regeln und Qualitätskriterien für Inserate öffentlicher Stellen, die immerhin rund 170 Millionen Euro pro Jahr ausmachen? "Wir sind stets gesprächsbereit für sinnvolle Weiterentwicklungen", sagt Mediensprecher Karl Nehammer bisher recht allgemein.

Klarnamenpflicht

Punkt 20 im Wahlprogramm der ÖVP sieht wörtlich "Klarnamenpflicht" für Onlineforen vor. Auf "allen relevanten Plattformen, wo Meinungsaustausch passiert, soll in Zukunft die Identität der Schreiber hinterlegt werden", und zwar "im Zuge der Registrierung". Ein ÖVP-Entwurf ging kurz vor dem Ende von ÖVP/FPÖ in Begutachtung.

Wiener Zeitung

Das ÖVP-FPÖ-Regierungsprogramm kündigte an drei Stellen ein Ende der Pflichtveröffentlichungen von Unternehmen im Amtsblatt der Wiener Zeitung an. Die Zeitung im Besitz der Republik Österreich finanziert sich größtenteils aus den Pflichtveröffentlichungen. Sie soll alternative Geldquellen suchen.

GRÜNE

Weniger Politik im ORF

Der ORF sei "in die parteipolitische Unabhängigkeit zu entlassen". Ihn zurückzudrängen nannten die Grünen vor der Wahl als Koalitionsbedingung. Ein zivilgesellschaftlich besetzter Konvent soll den Stiftungsrat künftig beschicken – nach öffentlichen Hearings der Kandidaten. Öffentliche Hearings wollen die Grünen auch für die Medienbehörde; die Komm Austria soll der Nationalrat besetzen und nicht wie bisher die Bundesregierung. Die Grünen finden gesetzliche Mindestquote für Österreich-Programme "nicht sinnvoll"; sie plädieren für mehr Filmförderung sowie eine neue Musikförderung des ORF. Sie wollen alle bestehenden ORF-Kanäle von Ö3 bis ORF 3 weiterhin im Gesetz verankert sehen – und weitere Angebote "im Ermessen" des ORF erlauben. Verkauf von ORF-Kanälen soll das ORF-Gesetz untersagen. Die Grünen verlangen zudem ein öffentlich zugängliches ORF-Archiv.

Medienabgabe für alle

Die Grünen wollen den ORF weiterhin aus Gebühren finanzieren. "Modell der Zukunft" sei eine Haushaltsabgabe, die nicht allein dem ORF zugutekommen soll, sondern "Medienvielfalt in Österreich generell fördern" soll. Mit der Abgabe für alle wäre auch Streaming erfasst.

Qualitätskriterien

Die Grünen wollen die "intransparente Medienförderung" – mit vielfach mehr Geld über Inserate öffentlicher Stellen, als die eigentlichen Förderungen ausmachen – grundlegend neu ordnen. Zu fördern sei "qualitätvoller, unabhängiger Journalismus", gedruckt und künftig auch online. Inserate öffentlicher Stellen seien zu begrenzen und an Medienqualitätskriterien zu binden, etwa Teilnahme am Presserat. Nichtkommerzielle Privatsender sollten zumindest halb so viel Förderung erhalten wie kommerzielle – also zehn statt bisher drei Millionen pro Jahr.

Moderation

"Klarnamen hindern niemand daran, Hass zu posten", erklärte die mögliche Mediensprecherin Eva Blimlinger bei den Medientagen. Die Grünen plädieren für "konsequente Moderation durch die Plattformen". Parteichef Werner Kogler will prüfen, ob ein entsprechendes Moderationssystem Bedingung für Presse- und Publizistikförderung sein kann.

Wiener Zeitung

Die Pflichtinserate zu streichen halten die Grünen für "nicht sinnvoll". Die Wiener Zeitung sei ein "wichtiges und nützliches Informationsangebot. Die Wiener Zeitung, eine der ältesten Zeitungen der Welt, soll keineswegs eingestellt werden", erklärten sie im STANDARD-Fragebogen zur Medienpolitik 2019. (fid, 16.10.2019)