CT/MRI-Daten eines Menschen (links), eines Schimpansen (Mitte) und eines Gorillas (rechts). Der Vergleich zeigt, dass Hirn und Schädel bei der Evolution eigene Wege gingen.

Foto: J.L. Alatorre Warren, UZH

Zürich – Normalerweise würde man annehmen, dass man von prähistorischen Schädeln auf die Gehirne schließen kann, die diese Schädelkapseln einst umschlossen haben. Tatsächlich aber ist ein solcher Schluss trügerisch, wie eine Studie der Uni Zürich nun nahe legt: Es scheint, als hätten sich Hirn und Schädelstrukturen in der Evolution des Menschen unabhängig voneinander entwickelt.

Das menschliche Hirn ist rund dreimal größer als das unserer nächsten lebenden Verwandten. Es ist aber nicht einfach nur größer, sondern hat im Laufe der Evolution auch strukturelle Änderungen durchlaufen. Gleiches gilt für die Schädelform.

Schädelformen und Hirnstrukturen

Weil von früheren Menschenarten nur fossile Schädel vorhanden sind, stellt sich die Frage, inwiefern man von der Schädelform auf benachbarte Hirnstrukturen schließen kann. Und damit Einblicke in die Evolution des Gehirns ausgestorbener Hominini gewinnen könnte.

Der Frage, ob Veränderungen des Schädels die Entwicklung von Hirnstrukturen geprägt haben oder auch umgekehrt, ist auch ein Team um Jose Luis Alatorre Warren und Christoph Zollikofer von der Universität Zürich nachgegangen: Die Wissenschafter nutzten dafür Daten aus Computer- und Magnetresonanztomografie von Menschen und unseren nächsten lebenden Verwandten, den Schimpansen.

Aus den Ergebnissen schließen sie, dass sich Hirn und Schädel im Zuge der Evolution zwar gleichzeitig, aber größtenteils unabhängig voneinander entwickelten. Davon berichten sie im Fachblatt "PNAS".

Das Forschungsteam quantifizierte die räumliche Beziehung zwischen Windungen und Furchen des Gehirns auf der einen Seite und den Schädelnähten auf der anderen Seite. Diese Beziehungen verglichen sie zusätzlich zwischen den beiden Spezies.

Wechselseitige Entwicklung

Das Ergebnis: Die charakteristischen räumlichen Verhältnisse zwischen Hirn- und Schädelstrukturen bei Menschen unterscheiden sich deutlich von denen bei Schimpansen, berichten die Forscher. Das deutet darauf hin, dass Hirn und Schädel sich nicht in engem Wechselspiel weiterentwickelt haben – sonst wären bei Menschen und Menschenaffen Ähnlichkeiten bei den räumlichen Verhältnissen zu erkennen.

Beim Mensch haben sich im Laufe der Evolution insbesondere Hirnstrukturen vergrößert, die für komplexe kognitive Aufgaben verantwortlich sind. Sichtbar wird dies vor allem durch Veränderungen am Frontallappen, hieß es weiter.

Die Schädelveränderungen widerspiegeln diese Reorganisation des Gehirns jedoch nicht, schreiben die Forschenden im Fachartikel. Vielmehr durchlief der Schädel Anpassungen, die durch den aufrechten Gang nötig wurden: Um den Kopf besser auf der Wirbelsäule auszubalancieren, verschob sich beispielsweise die Öffnung für das Rückenmark an der Schädelbasis nach vorne. Dies wiederum schien keine Auswirkungen auf die Hirnstrukturen zu haben.

"Innerhalb des Schädels schwebend, ist das Gehirn also seinem eigenen evolutionären Weg gefolgt", wurde Alatorre Warren in der Aussendung zitiert. Die relative Position und Größe von Schädelknochen, sowie die Schädelform insgesamt, sollten daher nicht für Rückschlüsse auf evolutionäre Entwicklungen benachbarter Gehirnregionen bei fossilen Hominini verwendet werden, schrieben er und seine Kollegen im Fachartikel. (red, APA, 16.10.2019)