In der Nacht von Montag auf Dienstag herrschte in dem Grenzort Wullowitz der Ausnahmezustand. Die Polizei dehnte in einer ersten Phase die Fahndung auch auf Tschechien und Bayern aus.

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Eine schmale, leicht ansteigende Straße führt zu dem unscheinbaren Haus mit der Adresse Wullowitz 30. Das längst aufgelassene Zollamtsgebäude mit der weißen Fassade liegt genau hinter dem ehemaligen Grenzübergang zu Tschechien. 2015 hat das Rote Kreuz hier eine Unterkunft für Asylwerber eingerichtet. 20 Personen wohnen derzeit noch dort.

Während sich in den Niederungen hartnäckig der Nebel hält, hat sich an diesem Dienstagvormittag im Mühlviertler Hochland längst die Sonne durchgesetzt. Pferd und Rind laben sich genüsslich am letzten Grün. Der Böhmerwald erhebt sich mächtig am Horizont. Man kennt einander in dem kleinen Grenzort in der Marktgemeinde Leopoldschlag mit nur 73 Einwohnern. Und man weiß die Ruhe in dieser Abgeschiedenheit zu schätzen. Doch am späten Montagnachmittag zog sich eine Blutspur durch das ländliche Paradies.

Notruf um 14.22 Uhr

Um 14.22 Uhr geht in der Bezirksleitstelle Freistadt ein Notruf ein: "Schnell kommen, Mann mit Fahrrad, eine Person verletzt".

Zu diesem Zeitpunkt ahnen die Einsatzkräfte noch nicht, was sich nur Minuten zuvor tatsächlich in dem Flüchtlingswohnheim abgespielt hat. Nach aktuellem Stand war der 33-jährige Jamal A. mit dem zuständigen Betreuer verabredet. Der Afghane, der im Juli 2015 nach Österreich einreiste, hatte selbst eine Zeitlang in dem Heim gelebt, mittlerweile aber mit seiner Lebensgefährtin und zwei Kindern eine Wohnung in Leopoldschlag bezogen. In der Asylunterkunft half Jamal A. immer wieder bei der Zuteilung von Gelegenheitsjobs.

Stich in die Brust

Um seine eigenen Jobperspektiven dürfte es auch in dem Gespräch mit dem zuständigen Betreuer David. H. gegangen sein. Laut polizeilichem Ermittlungsstand kommt es zum Streit – und Jamal. A. greift zum Klappmesser. Andere Bewohner können den 33-Jährigen zunächst noch zurückhalten, doch dann verletzt ein Stich in die Brust David H. lebensgefährlich.

Der Täter flüchtet zunächst mit einem Fahrrad, plant aber offensichtlich rasch, sich einen Fluchtwagen zu besorgen. In einem nur 300 Meter entfernten Bauernhof trifft Jamal A. auf einen 63-jährigen Altbauern. Erneut soll der Afghane sein Messer gezückt haben. "Das Opfer weist mehrere Einstiche auf. Einer davon war tödlich", so Staatsanwalt Philip Christl.

In Linzer Innenstadt verhaftet

Der Asylwerber setzt seine Flucht mit dem Auto des Opfers fort – und wird schließlich nach Zeugenhinweisen um 21.36 Uhr in der Linzer Innenstadt verhaftet.

Ferdinand Schöllhammer hat mittlerweile auf der "Sunbeng" vor seiner Pension Hackermühle Platz genommen. Allein im Wald sei er gerade gewesen. Ein Versuch, das Unbegreifliche zumindest ein Stück weit begreifbarer zu machen. "Der war so ein netter Typ. Vorgestern ist der noch im Ort auf der Bank gesessen und hat mich freundlich gegrüßt."

Im Ort sei die Familie durchaus integriert gewesen, so Schöllhammer: "Alle haben sich bemüht. Beim Krippenspiel waren die sogar Maria und Josef. Da is' der Jamal barfuß und im Kaftan durch den Schnee gewandert."

Auf erkennungsdienstlicher Seite weist die Akte des mutmaßlichen Mörders zumindest drei Einträge auf. So soll Jamal A. aufgefallen sein, als er lautstark öffentlich aus dem Koran zitierte. Staatsanwalt Christl: "Er ist ein strenggläubiger Moslem. Aber es gibt keine Anzeichen für eine Radikalisierung."

Drei Anzeigen

Eine Auseinandersetzung in der Volkshochschule Linz dürfte ebenso ihre Wurzeln im Glauben haben. Jamal. A. gerät mit einem weiteren Moslem rund um das Thema Alkohol in Konflikt, und es fliegen letztlich die Fäuste.

Und zuletzt noch eine Anzeige wegen Sachbeschädigung: Der Asylwerber rastet nach der nicht bestandenen Prüfung in der Fahrschule aus – und dreht mit dem Fahrschulauto auf einem Parkplatz wild seine Runden.

Bei der Pressekonferenz erklärte die Polizei am Dienstag, dass der Verdächtige ihr bereits bekannt war.
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"Regelmäßig gab es Schlägereien"

In der unmittelbaren Nachbarschaft reagiert man auf die Frage, ob es denn im Heim Probleme gegeben habe, allergisch. "Regelmäßig gab es dort Schlägereien. Da hat nix gepasst. Aber der Bürgermeister hat das immer ignoriert", erzählt ein Nachbar, der anonym bleiben möchte.

Die Panik steht dem Mann noch ins Gesicht geschrieben. "Wahrscheinlich hat er auch bei mir geläutet. Aber zum Glück waren weder meine Frau noch ich daheim. Sonst wären wir wahrscheinlich schon unter der Erd'. Der Franz hat nicht so viel Glück gehabt." Froh ist man jetzt, dass das Heim bereits in der kommenden Woche geschlossen wird. (Markus Rohrhofer, 16.10.2019)