Moritz Bleibtreu als trübsinniger Alleinerzieher auf Kreuzfahrt: Als Objekt der weiblichen Begierde taugt er nur bedingt.

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Das wird wohl als einer der denkwürdigen Momente in die deutsche Filmgeschichte eingehen: Sechs Personen auf einem Splitscreen, also alle im selben Bild, aber nicht in derselben Szene, singen inbrünstig Illusionen. "Illusionen blühn der Wirklichkeit zum Tanz der Jugendzeit ..." Sprachlich ist das ja auch ein bisschen eigenwillig, aber das fällt in diesem Moment schon gar nicht mehr auf.

Ich war noch niemals in New York, ein Film von Philipp Stölzl nach dem gleichnamigen Musical auf Grundlage von Schlagern von Udo Jürgens, ist eine Grenzerfahrung. Von Fred Astaire und Gingers Rogers oder was man sich sonst so traditionell unter Filmmusical vorstellen mag, ist das ungefähr so weit entfernt wie Peter Alexander von Frank Sinatra. Zu Udo Jürgens funktioniert der direkte Draht aber sehr gut.

Sechs Personen suchen keinen Autor

Sechs Personen suchen hier keinen Autor, sondern haben ihn in der Lyrik des größten österreichischen Barden schon gefunden.

New York kommt deswegen ins Spiel, weil Maria Wartberg, eine ältere Dame, einen Gedächtnisverlust erleidet. Sie weiß nicht mehr, wer sie ist, sie hat nur noch eine fixe Idee: Sie muss unbedingt nach New York.

Von den paar Wegen, die aus der Alten in die Neue Welt führen, wählt sie denjenigen, der am besten zur Gattung Musical passt: Sie nimmt einen Dampfer. Ihre Tochter, die Fernsehmoderatorin Lisa Wartberg, kommt gerade noch rechtzeitig mit an Bord, um auf die Mutter aufzupassen. Sie sind nun gemeinsam blinde Passagiere. Und weil ein Star niemals ohne kosmetische Rückversicherung reist, hat Lisa auch noch ihren Teintologen Fred dabei, der schwul ist und an Bord den Bordzauberer Costa kennenlernt, ebenfalls schwul, aber daheim in Griechenland damit noch nicht herausgekommen.

Vorbereitung ist alles

Ich war noch niemals in New York kann man sich im Wesentlichen auf zweierlei Weisen anschauen. Entweder man ist gut vorbereitet, kennt vielleicht schon die Bühnenfassung, ist auf jeden Fall Fan von Udo Jürgens und hat – wenn man in Österreich zur Babyboomergeneration gehört oder älter ist – nachmittags immer das Wunschkonzert gehört, wenn auf Ö3 die Musicbox lief.

Für diese Zielgruppe ist der Film ein voller Erfolg. Wenn man aber relativ unvorbereitet auf ihn trifft, wenn man Illusionen irrtümlich unter Mireille Mathieu abgespeichert hatte, wenn man Kreuzfahrtgigolos für eine Fantasiegattung hält, dann kann Ich war noch niemals in New York zu einer leicht außerirdischen Erfahrung werden. In Amerika, dem Ziel der ganzen Geschichte, gibt es dafür einen schönen Ausdruck: "over the top", und zwar nicht eben "slightly".

Universal Pictures Germany

Zur faszinierend-irritierenden Wirkung tragen die Schauspieler maßgeblich bei: Heike Makatsch ist in der Hauptrolle über jeden Zweifel erhaben, man wird sie nicht an ihrer Stimme messen, sondern an ihrer Präsenz. Sie hält den Laden zusammen, auch in absurden Szenen, an denen es nicht mangelt. Mit Katharina Thalbach ist das schon ein bisschen anders, sie wirkt hier tatsächlich manchmal so, als hätte man sie instruiert, einfach immer möglichst arglos (um kein unhöfliches Wort zu verwenden) zu grinsen.

Die Sache steht und fällt aber mit dem männlichen Objekt der Begierde: Moritz Bleibtreu spielt Axel Staudach, einen trübsinnigen Alleinerziehenden, der ein Faible für Pullover hat, die an die Grenzen selbst von Technicolor gehen würden. Eine Rolle, die ans tragische Fach ungefähr so grenzt wie ein Ruderboot an die Queen Elizabeth II.

Tragik ist aber sowieso das Gegenteil von dem, was Stölzl (Goethe!, Der Medicus, Winnetou) mit Ich war noch niemals in New York erreichen will: schunkelnde Heiterkeit und die unsterbliche Illusion, man könnte mit den Ideen der Fünfzigerjahre die Wünsche der Gegenwart erfüllen. (Bert Rebhandl, 17.10.2019)