Die Politik müsse handeln, meint Barbara Plankensteiner.

Schimweg/MARKK

Langsam, aber doch bewegt sich etwas in der Debatte um den Umgang mit kolonial belastetem Kulturgut in europäischen Museen. Neu entfacht wurde sie vor einem Jahr von dem Wissenschafterduo Bénédicte Savoy und Felwine Sarr. Im Auftrag Frankreichs verfassten die beiden eine Studie zum Thema, in der sie umfassende Rückgaben von Kulturgütern an afrikanische Staaten fordern. Die Studie wird seither kontrovers diskutiert. Auch im Wiener Weltmuseum, wo Savoy im September selbst zu Gast war.

Jetzt will man die Sache vorantreiben: Unter dem Titel "Das Museum im kolonialen Kontext" findet heute ein Symposium im Weltmuseum statt, u. a. veranstaltet vom Bundeskanzleramt. Mit dabei sein wird Barbara Plankensteiner. Sie war 17 Jahre lang Afrika-Kuratorin am Weltmuseum, seit 2017 leitet sie das frühere Völkerkundemuseum in Hamburg, das sich heute MARKK (Museum am Rothenbaum für Kulturen und Künste der Welt) nennt. Man steht vor denselben Fragen wie Wien.

STANDARD: Teilen Sie die Forderung von Savoy und Sarr nach umfassenden Rückgaben von kolonialem Kulturgut an Afrika?

Plankensteiner: Ich teile die Haltung nicht zur Gänze, bin aber auf jeden Fall auch der Meinung, dass Objekte, die unrechtmäßig erworben oder angeeignet wurden, zurückerstattet werden sollten.

STANDARD: Wo widersprechen Sie den beiden?

Plankensteiner: Savoy und Sarr machen teils pauschale Feststellungen, indem sie alle in einem bestimmten Zeitraum angehäuften Objekte als illegitim erklären. Hier bin ich für Differenzierung. Man muss sich die Fälle genau anschauen und die Sachlage im Gespräch mit den betroffenen Herkunftsgesellschaften klären. Es gibt Fälle, bei denen Unrecht klar belegbar und unumstritten ist, und dann gibt es sehr viele Grauzonen.

STANDARD: Bewegt sich in Deutschland etwas in der Frage, oder tritt man auf der Stelle?

Plankensteiner: Es ist ziemlich viel passiert, vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung des Themas und in der Haltung der Politik dazu. In Deutschland gab es eine Deklaration der Kulturministerkonferenz, in der sich die Länder verpflichtet haben, das Thema voranzutreiben, Provenienzforschung zu betreiben und Restitutionen zu unterstützen. Die meisten Museen haben ihre Sammlungen noch nicht online gestellt, da gilt es einiges aufzuholen. Konkret sind auch institutionell zwei Einrichtungen geplant, eine Agentur für Museumskooperationen und eine zentrale Anlaufstelle, an die sich Vertreter der Herkunftsgesellschaften mit Anfragen und Forderungen wenden können.

STANDARD: Wie gehen Sie am Hamburger MARKK damit um?

Plankensteiner: Wir sind dem Thema gegenüber aufgeschlossen und werden jede Anfrage, die an uns herangetragen wird, prüfen. Wir halten uns an die Leitlinien des Deutschen Museumsbundes zum Umgang mit dem kolonialen Erbe. Der Kultursenator in Hamburg hat sich auch öffentlich dazu bekannt, Restitutionen zu unterstützen.

STANDARD: Warum gibt es so starke Vorbehalte in der breiten Öffentlichkeit bezüglich Rückgaben?

Plankensteiner: Das Thema Kolonialismus war und ist in den Schulen zu wenig präsent. Weil das Thema auch mit unserer pluralen Gesellschaft zu tun hat, gibt es eine gewisse Opposition in diesen politisch aufgeladenen Zeiten.

STANDARD: Sollen Völkerkundemuseen u.a. Lehreinrichtungen fürKolonialgeschichte werden, wie das in Wien neuerdings der Fall ist?

Plankensteiner: Ich glaube nicht, dass es Aufgabe der Museen ist, nur Lehreinrichtungen für die Geschichte des Kolonialismus zu werden. Denn es geht ja auch um die Gegenwart. Wir müssen dekonstruieren, wie sich koloniale Bilder über andere Kulturen bis heute gehalten haben.

STANDARD: Sie haben jahrelang die Sammlung Afrika südlich der Sahara des Wiener Weltmuseums betreut. Wie viel müsste und könnte in Wien restituiert werden?

Plankensteiner: Wien hat eine bedeutende Benin-Sammlung, daher war das Thema für das Weltmuseum, auch als ich dort gearbeitet habe, schon relevant. Es gibt in der Afrikasammlung einige Konvolute, die in ehemaligen deutschen und belgischen Kolonialgebieten gesammelt wurden, von Personen, die für die Kolonialverwaltung gearbeitet haben. Diese Bestände muss man sich genau anschauen, was die Wiener Kolleginnen sicher im Blick haben.

STANDARD: Aus dem Weltmuseum hört man immer, dass es keine konkreten Anfragen aus afrikanischen Staaten gebe. Dazu muss man sagen, dass diese oft nicht einmal genau wissen, was es wo gibt. Wäre der erste Schritt, wie Savoy es fordert, vollständige Inventarlisten zu übergeben?

Plankensteiner: Zunächst wäre für alle ethnografischen Museen wichtig, die Sammlungen im Internet transparent zu machen, dann würden vielleicht auch mehr konkrete Anfragen an die Museen herangetragen werden. Bei uns in Hamburg ist es jetzt schon so, dass wir Inventarlisten ausschicken, wenn es Anfragen gibt. Wenn man eindeutige Fälle hat, bei denen man weiß, dass hier etwas unrechtmäßig gesammelt worden ist, sollte man aber auch proaktiv an die afrikanischen Staaten herantreten.

STANDARD: Was müsste die Politik in Wien tun?

Plankensteiner: Zunächst brauchte das Weltmuseum selbst mehr Handlungsspielraum, unter den momentanen Bedingungen ist dies etwas begrenzt. Es braucht mehr Subvention, mehr Stellen für Forschung und Kuratierung.

STANDARD: Und auf staatlicher Ebene ein ständiges Expertengremium nach dem Vorbild der NS-Restitutions-Kommission?

Plankensteiner: Das wäre sehr sinnvoll, ja. Im Grunde rege ich das schon seit 2010 an. Hilfreich wäre natürlich auch ein internationales Abkommen, an dem sich die Staaten orientieren können. (Stefan Weiss, 17.10.2019)