Die Testosteronregel des Leichtathletik-Weltverbands ist umstritten. Ob ein erhöhter Testosteronspiegel tatsächlich zu einem größeren Leistungsvermögen führt, ist nicht eindeutig bewiesen. Eine aktuelle Studie stützt zwar die These, allerdings ist ihre Aussagekraft sehr beschränkt.

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Leichtathletinnen mit natürlich erhöhten Testosteronwerten dürfen bei internationalen Wettkämpfen nur dann starten, wenn sie den Spiegel des Sexualhormons künstlich durch Medikamente senken. Diese Regel, die der Leichtathletik-Weltverbandes IAAF festgelegt hat, gilt für Laufwettkämpfe von 400 Metern bis zu einer Meile (1.609 Meter).

Betroffen sind vor allem Athletinnen, die ein X- und ein Y-Chromosom besitzen und damit genetisch männlich sind. Die Geschlechtsentwicklung dieser Sportlerinnen verläuft atypisch, sie sind demnach intersexuell. Wissenschafter schätzen, dass die Prävalenz der sogenannten Hyperandrogenämie unter weiblichen Profisportlern bis zu 140-mal höher ist als in der allgemeinen Bevölkerung.

Sportlerinnen, die in diese Kategorie fallen, dürfen bei internationalen Wettkämpfen nur dann starten, wenn das körpereigene Testosteron den Grenzwert von fünf Nanomol pro Liter Blut nicht übersteigt. Für mindestens sechs Monate vor einem Wettkampf muss der Testosteronspiegel mit entsprechenden Medikamenten unter diesen Grenzwert gesenkt werden. Die betroffenen Athletinnen müssen ihn außerdem so lange abgesenkt halten, bis sie nicht mehr bei internationalen Laufwettbewerben antreten. Das Problem: Eingriffe in den Hormonhaushalt haben Nebenwirkungen und gefährden die Gesundheit der Sportlerinnen.

Laufen und springen

Die Begründung für die Ausschlussregel des IAAF: Testosteron wirkt leistungssteigernd. Allerdings ist laut aktueller Studienlage bislang noch unklar, ob das Hormon allein für die Leistungsunterschiede verantwortlich ist. Forscher des schwedischen Karolinska Institutet, einer der größten medizinischen Universitäten in Europa, legten nun die erste randomisiert-kontrollierte Studie vor, in der die Wirkung des Hormons auf die Leistungsfähigkeit von Läuferinnen geprüft wurde.

Die zentralen Ergebnisse: Ein Anstieg des Testosteronspiegels lässt Frauen länger laufen, zudem erhöht es auch die Muskelmasse. Konkret teilten die Forscher 48 körperlich aktive und gesunde 18- bis 35-jährige Frauen nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen ein. Ein Teil der Probanden wurde über die Dauer von zehn Wochen täglich mit zehn Milligramm Testosteroncreme behandelt. Die andere Hälfte der Studienteilnehmerinnen erhielt täglich zehn Milligramm Placebocreme.

Während des Untersuchungszeitraums wurde der Einfluss des Hormons auf die aerobe Leistung gemessen – etwa wie lange die Frauen auf einem Laufband laufen konnten, bevor sie den Punkt der Erschöpfung erreichten. Zusätzlich wurde der Einfluss von Testosteron auf die anaerobe Leistung gemessen – etwa durch Squat-Jumps, stehende vertikale Sprünge und Kniestärke. Hormonspiegel, Körperfettanteil und Muskelmasse wurden zu Beginn und am Ende der zehnwöchigen Versuchsperiode gemessen.

Länger und stärker

Die durchschnittlichen Testosteronspiegel im Blutkreislauf stiegen unter den Frauen, denen die Hormoncreme verabreicht wurde, von 0,9 Nanomol pro Liter Blut auf 4,3 Nanomol. In der Kontrollgruppe kam es erwartungsgemäß zu keinem Anstieg. Für die mit Testosteron behandelten Probandinnen erhöhte sich die Laufzeit bis zur Erschöpfung im Vergleich zu den mit der inaktiven Substanz behandelten Sportlerinnen signifikant um 21,17 Sekunden.

Die anaeroben Leistungsmessungen ergaben hingegen keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Frauen der Testosterongruppe legten allerdings deutlich mehr Muskelmasse zu als die Studienteilnehmerinnen, die das Placebo verabreicht bekamen: Insgesamt im Schnitt 923 Gramm gegenüber 135 Gramm, der gewichtsmäßige Zuwachs der Beinmuskulatur betrug 398 Gramm versus 91 Gramm.

Eingeschränkte Aussagekraft

Die Forscher betonen, dass die Aussagekraft der Studie eingeschränkt sei, da für die Untersuchung keine Profisportlerinnen ausgewählt wurden. Die Stichprobengröße sei außerdem zu klein, um verallgemeinerbare Schlüsse zu ziehen. Zudem war die Studiendauer mit zehn Wochen relativ kurz.

Sie weisen auch darauf hin, dass der durchschnittliche Anstieg des Testosteronspiegels auf 4,3 Nanomol pro Liter Blut bei Frauen, denen die Hormoncreme verabreicht wurde, unter dem bei Männern festgestellten Durchschnittswert liegt. Dennoch verlängerte das verabreichte Testosteron die Zeitspanne, die sie laufen konnten, erheblich.

"Unsere Ergebnisse sind daher von großer Bedeutung für die anhaltende Diskussion, ob es fair ist, Sportlerinnen mit natürlich hohem Testosterongehalt zu erlauben, in der Kategorie der Frauen zu konkurrieren, ohne ihre Hormonkonzentration zu reduzieren", resümieren die Forscher. (red, 19.10.2019)