Die ungleiche Situation von Mann und Frau ist ein alter Hut. Sie bestand schon lange, bevor die französische Philosophin Simone de Beauvoir 1949 ihr Grundlagenwerk "Das andere Geschlecht" veröffentlichte. Ihr erklärtes Ziel war damals, die Ursachen dieser Ungleichbehandlung zu analysieren, um die Frauen aus diesem Teufelskreis zu befreien. Die Philosophin diagnostizierte seinerzeit, dass diese Welt immer den Männern gehört habe und noch immer gehöre. Beauvoirs Buch zeigt akribisch, dass sich patriarchale Strukturen an nahezu allen Orten unseres Lebens finden lassen und wie sie sich bemühen, die Unterdrückung zu halten.

Ihre Thesen sorgten für einen Aufschrei, der wesentlich die Emanzipationsbestrebungen und das Denken einer ganzen Generation von Frauen in den 1960er- und 1970er-Jahren prägen sollte. Danach wurde es leiser. Welche Auswirkungen diese patriarchalen Strukturen noch immer für viele Frauen haben, brachte erst wieder die #MeToo-Debatte auf die Bildschirme der Social-Media-Gesellschaft, die allerdings "nur" die Problematik sexualisierter Gewalt und die Belästigung an Frauen thematisierte. Zwar wurden diverse Vorfälle benannt und kritisiert, doch der geführte Opferdiskurs lenkte von etwas viel Wichtigerem ab: An der umfassenden sozialen und ökonomischen Diskriminierung, in der sich das Gros an Frauen seit jeher und noch immer befindet, hat sich seit Beauvoir nicht viel geändert. An der formalen Oberfläche haben sich die meisten Frauen emanzipieren können, in der gesellschaftlichen Tiefe jedoch nicht. 

Feminismus gibt es nicht in der Light-Variante

Emanzipierte Frauen spielen heute sogar zusätzlich unter erschwerten Bedingungen, da die Erwartungen an sie hoch sind: Längst hat der Neoliberalismus die Emanzipation als Geschäftsmodell begriffen. Nach dem neoliberalen "feministischen" Mantra ist jede Frau nun ihres eigenen Glückes Schmiedin. Die Geschlechterhierarchien zu kritisieren war gestern. Jede muss sich selbst verbessern, ihre Performance optimieren, anstatt Veränderungen der sozialen Umstände zu fordern. Den Druck, "alles" zu schaffen, bekommen die meisten dieser Frauen spätestens dann zu spüren, wenn sie ihr erstes Kind bekommen. Wir erleben Frauen, die von einer immer härteren und ungerechter werdenden Arbeitswelt entmutigt werden und sich von einem "maternalistischen Feminismus" zur Rückkehr an den Herd verführen lassen.

In vielen Bereichen der Gesellschaft sind Frauen noch nicht gleichgestellt.
Foto: APA/AFP/JIM WATSON

Dass progressive, feministische Bewegungen schnell ins Gegenteil umschlagen können, zeigt der aktuelle gesellschaftliche und politische Backlash: Nicht nur an einem Erstarken der politischen Repräsentanten neokonservativer und nationalistischer Politik, sondern auch an der wachsenden Resignation gegenüber einer globalisierten Wirtschaft, die sich durch raschen Wandel und gnadenlosen Wettbewerb zwischen den Nationen, Unternehmen und Arbeitnehmern, Männer und Frauen auszeichnet. (Lisz Hirn, 15.10.2019)

Lisz Hirn studierte Philosophie und Gesang in Graz, Paris, Wien und Kathmandu. Sie arbeitet als Publizistin und Philosophin in der Jugend- und Erwachsenenbildung, unter anderem am Universitätslehrgang Philosophische Praxis der Universität Wien unter der Leitung von Konrad Paul Liessmann. Sie ist Obfrau des Vereins für praxisnahe Philosophie und im Vorstand der Gesellschaft für angewandte Philosophie (gap). Dieser Text ist ein Auszug aus ihrem Buch "Geht’s noch! Warum die konservative Wende für Frauen gefährlich ist." (Molden, 2019).

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