Schon die bronzezeitliche Gesellschaft kannte Ungleichheit.
Illustr.: bunterhund

Armut und Reichtum, soziale Ungleichheit, womöglich sogar regelrechte Sklaverei innerhalb einer Gemeinschaft sind keineswegs Erfindungen der jüngeren Geschichte. Bereits am Übergang zur Bronzezeit lebten Unterprivilegierte und Menschen mit hohem Status in Süddeutschland unter einem Dach, wie archäologische und archäogenetische Auswertungen von bronzezeitlichen Gräberfeldern im Lechtal bei Augsburg zeigen.

Die nun im Fachjournal "Science" präsentierten Ausgrabungsergebnisse ermöglichen es den Wissenschaftern erstmals im Detail nachzuvollziehen, wie sich der Umbruch von der Steinzeit zur Bronzezeit auf die Zusammensetzung der damaligen Haushalte auswirkte. "Reichtum korrelierte entweder mit biologischer Verwandtschaft oder Herkunft aus der Ferne. Die Kernfamilie vererbte ihren Besitz und Status weiter", sagt Philipp Stockhammer, Professor für Prähistorische Archäologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und einer der Leiter der Studie. "Aber in jedem Bauernhof haben wir auch arm ausgestattete Personen lokaler Herkunft gefunden."

Komplexe Sozialstrukturen

Dieser Befund spricht für eine komplexe Sozialstruktur von Haushalten, wie sie aus dem klassischen Griechenland und Rom bekannt ist. So waren zu römischer Zeit auch die Sklaven Teil der Familie, hatten aber einen anderen sozialen Status. Aber diese Menschen im Lechtal lebten über 1.500 Jahre früher. "Das zeigt erstmals, wie lang die Geschichte sozialer Ungleichheit in Familienstrukturen zurückreicht", so Stockhammer weiter.

Die Bronzezeit umfasst in Mitteleuropa den Zeitraum von 2200 bis 800 vor unserer Zeitrechnung. Damals erwarben die Menschen die Fähigkeit, Bronze zu gießen. Dieses Wissen führte zu einer frühen Globalisierung, da die Rohstoffe durch Europa transportiert werden mussten. In einer früheren Studie hatte das Team gezeigt, dass die Mehrheit der Frauen im Lechtal vor 4.000 Jahren aus der Fremde kam und ihnen beim Transfer von Wissen eventuell eine entscheidende Rolle zukam. Überregionale Netzwerke wurden offenbar durch Heiraten und institutionalisierte Formen von Mobilität gepflegt.

Bislang war bereits bekannt, dass sich in der Bronzezeit die ersten größeren hierarchischen Strukturen entwickelten. Für Überraschung sorgte bei der aktuellen Studie, dass soziale Unterschiede innerhalb eines einzelnen Haushalts existierten und über Generationen hinweg aufrechterhalten wurden.

Hochrangiges, nicht-lokales Frauengrab aus Haunstetten. Die ebenfalls nicht-lokale Halbschwester wurde in Königsbrunn, in einer Entfernung von nur wenigen Kilometern bestattet.
Foto: Stadtarchäologie Augsburg

Frauen mussten den Hof verlassen

Erkennbar wurde dies anhand der Grabbeigaben, die den Status der Verstorbenen verraten. Im Lechtal wurden Waffen und aufwendiger Schmuck nur eng verwandten Familienmitgliedern sowie Frauen, die aus 400 bis 600 Kilometern Entfernung in die Familie kamen, ins Grab gegeben. In der Studie ist es erstmals für die Vorgeschichte gelungen, aus Gräberfeldern Familienstammbäume abzulesen, die vier bis fünf Generationen umspannen. Diese Generationen umfassten überraschender Weise aber nur die männlichen Verwandtschaftslinien.

Die weiblichen Nachkommen mussten offensichtlich den Hof verlassen, wenn sie das Erwachsenenalter erreicht hatten. Bei den Müttern der Söhne handelte es sich hingegen stets um zugezogene Frauen. "Die Archäogenetik gibt uns hier einen völlig neuen Blick in die Vergangenheit. Wir hätten es bis vor Kurzem nicht für möglich gehalten, dass wir einmal Heiratsregeln, soziale Struktur und Ungleichheit in der Vorgeschichte untersuchen können", sagt Johannes Krause, Koautor der Studie vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte (MPI-SHH) in Jena.

Mittellose Gehilfen oder Sklaven?

Die Archäologen konnten den Grad der Verwandtschaft mit den Beigaben im Grab und der Lage der Gräber vergleichen und zeigen, auf welche Weise Ehepaare und ihre Kinder bestattet wurden. Möglich wurde dies durch genomweite Daten, die nun auch aus prähistorischem Knochen weitreichende Verwandtschaftsrekonstruktionen ermöglichen. Arm bestattet wurden allein die nichtverwandten, einheimischen Mitglieder eines Haushalts. "Wir können leider nicht sagen, ob es sich bei diesen Individuen um Knechte und Mägde oder vielleicht sogar eine Art von Sklaven gehandelt hat", sagt Alissa Mittnik, ebenfalls vom (MPI-SHH). "Sicher ist, dass über die männlichen Linien die Bauernhöfe über viele Generationen hin vererbt wurden und dieses System über 700 Jahre stabil war. Das Lechtal zeigt, wie tief in die Vergangenheit die Geschichte sozialer Ungleichheit innerhalb einzelner Haushalte tatsächlich zurückreicht." (red, 21.10.2019)