Regula Rytz, die Chefin der Grünen Partei Schweiz.

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"Unser Klima – deine Wahl": Mit diesem plakativen Slogan ziehen die Schweizer Grünen in den Wahlkampf; und die Gunst der Stunde scheint auf ihrer Seite zu stehen. Die Klimafrage hat neben der Gleichstellungsthematik das Wahljahr und die Schlagzeilen dominiert.

Die Vorsitzende der Grünen, die Berner Nationalratsabgeordnete Regula Rytz, sieht ihre Partei deshalb auf Kurs: "Die Umfragen bestätigen den realen Trend: Die Grünen haben von allen Parteien in den kantonalen Wahlen der letzten Jahre am meisten zugelegt", so Rytz zum STANDARD. "Wir Grüne sind bereits seit 2016 im Aufwind. Wir haben viele neue Mitglieder gewonnen und mit der Cleantech-Wirtschaft und umweltbewussten Bauernkreisen neue Allianzen knüpfen können."

So seien grüne Erfolge möglich geworden wie etwa das Volks-Ja im Jahr 2017 zum Ausstieg aus der Atomkraft und zur Förderung alternativer Energien. Die letzte Meinungsumfrage der SRG vom 9. Oktober sieht die beiden grünen Parteien bei insgesamt 18 Prozent. Das wäre ein Plus von sechs Prozentpunkten gegenüber 2015 für die größere, fortschrittlichere Grüne Partei und die kleine, wirtschaftsnahe und gemäßigte Grünliberale Partei. Alle anderen Parteien dürften verlieren, auch die rechtskonservative Volkspartei (SVP). Die hat es nicht geschafft, ihre Lieblingsthemen – Migration, Sicherheit, Europa – im Wahlkampf zu platzieren. Mit 27 Prozent, zwei Prozentpunkte weniger als bei den letzten Wahlen, dürfte sie aber dennoch stärkste Partei bleiben.

Linksrutsch in Umfragen

Von einem "ungewöhnlichen Linksrutsch" spricht der Meinungsforscher Michael Herrmann, der die SRG-Umfrage verantwortet. "Der aktuelle Trend bricht mit einer Schweizer Wahltradition: Wenn die Pol-Parteien gewinnen, verlieren die Mitte-Parteien. Nun sieht es aber danach aus, dass die Rechte verliert und die Linke gewinnt." Zudem dürften sich auch in der Mitte die Gewichte etwas verschieben, hin zu den Grünliberalen. Diese kleine Verschiebung könnte größere Folgen haben und neue Lösungen ermöglichen. Denn in den letzten vier Jahren hatten im Parlament das rechtsbürgerliche und das Mitte-links-Lager einander oftmals blockiert.

Während die dominierende Klimafrage den Grünen in die Hände spielt, tat sich die liberale FDP lange Zeit schwer damit. Ihre Abgeordneten wirkten noch in diesem Frühjahr tatkräftig mit, das Gesetz zu entschärfen, mit dem der CO2-Ausstoß verringert werden sollte. Nach heftiger öffentlicher Kritik will sich die FDP nun neuerdings für schärfere Klimaziele und Lenkungsabgaben einsetzen. Dieses Hin und Her scheinen ihre Wähler aber nicht zu goutieren: Viele Liberale, die mit grünen Anliegen sympathisieren, wählen ohnehin grünliberal, während andererseits klimapolitische "Hardliner" zur SVP wechseln könnten.

Zentrale Themen

Für Parteichefin Petra Gössi war der klimapolitische Kurswechsel dennoch der richtige Schritt: "Wir haben die Verantwortung, den nachfolgenden Generationen eine intakte Lebensgrundlage zu hinterlassen. Nichtstun war und ist keine Option und würde uns noch viel teurer kommen", kommentiert sie gegenüber dem STANDARD. "Wir haben auch nie gesagt, dass wir uns dem Themenkomplex Umwelt und Klima wegen der Wahlen zuwenden, sondern wir tun es, weil es ein zentrales Thema für die Zukunft ist."

Als zweites Thema hat die Gleichstellungsfrage enorm an Schub gewonnen, seitdem im Juni mehr als eine halbe Million Frauen und Männer für Chancengleichheit und gegen Lohndiskriminierung und Sexismus demonstrierten. Alle Parteien setzen im Wahlkampf auf Frauen. Noch nie wurden so viele Listenplätze an Frauen vergeben, und so dürften im neuen Parlament mehr Frauen sitzen als bisher – der Frauenanteil liegt derzeit nur bei 28 Prozent und ist bei den letzten Wahlen gar zurückgegangen.

Sollte die Kombination dieser beiden Themen tatsächlich zu einem deutlichen Wahlerfolg für die Grünen führen, dann dürfte dies auch die Diskussion darüber neu beleben, ob die Grünen erstmals überhaupt einen Sitz in der siebenköpfigen Schweizer Regierung erhalten sollen. (Klaus Bonanomi aus Bern, 18.10.2019)