Auch in Cabestany im Süden Frankreichs wurde der Staatspräsident abgehängt.

Foto: AFP/RAYMOND ROIG

In Frankreich gibt es 36.000 Gemeinden und damit 36.000 Rathäuser. In Paris ist das riesige Hôtel de Ville größer als der Élysée-Palast, auf dem Land sind es oft nur schmucke Häuschen. An allen hängt die Trikolore, an allen empfängt die Devise "Liberté, égalité, fraternité" über dem Eingangsportal die Besucher. Und im Inneren wartet die kalkweiße Büste der Marianne, die echten Schauspielerinnen wie Brigitte Bardot, Catherine Deneuve oder Laetitia Casta nachempfunden ist, und an der Wand stets ein Porträt des amtierenden Staatschefs.

Auf dem gerade aktuellen steht Emmanuel Macron vor einem Goldgockel und aufgeschlagenen Charles-de-Gaulle-Memoiren. Seit Jahresbeginn ist die angestrebte Feierlichkeit aber dahin: Weit über hundert Präsidentenporträts sind im ganzen Land von Umweltaktivisten abgehängt und auf der Straße bei lärmigen Demos im besten Wortsinn vorgeführt worden.

Startschuss im Februar

Den Startschuss zu diesen Kommandooperationen hatte das Umweltkollektiv ANV-COP21 im Februar gegeben, als Macron nach einer vielbeachteten Umweltpetition mit zwei Millionen Unterschriften summa summarum erklärte, er werde an seinem Klimakurs nichts ändern. "Da sagten wir uns, dass wir handeln müssen", erinnert sich die Sprecherin der Gruppe, Marion Esnault, und holte mit ihrer Gruppe Macrons Porträt aus dem Gemeindesaal des ostfranzösischen Dorfes Jassans-Riottier.

Es folgten weitere Abhängaktionen, meist mit einem lokalen Charakter. Im elsässischen Kolbsheim protestierten die Abhängerinnen und Abhänger gegen eine Autobahnumfahrung von Straßburg; beim G7-Gipfel in Biarritz entfernten sie im August Macrons Konterfei aus der "Mairie" (Rathaus) des baskischen Örtchens Irissary.

Kritik vom Wirtschaftsminister

Mittlerweile sind 135 Präsidentenfotos ab- und nach meist kurzem Ausflug wieder zurückgehängt worden. Ein Leid tut ihnen niemand an. Höchstens wird der Präsident beim Umzug auf den Kopf gestellt, doch auch diese Marter wird im Gemeindesaal wieder gutgemacht. Dennoch goutieren nicht alle Franzosen das publikumswirksame Agieren von ANV-COP21. Wirtschaftsminister Bruno Le Maire bezeichnete es als "inakzeptabel" und meinte erbost: "Man vergreift sich nicht an den Symbolen der Republik!"

Seither wird darüber gestritten, ob Präsidentenporträts wie etwa die Marianne-Büsten oder die Nationalflagge überhaupt in diese Kategorie fallen. Historiker haben herausgefunden, dass die Präsidialporträts anders als die offiziellen Symbole der Republik keine gesetzliche Grundlage aufweisen. Ihr Brauch geht auf das 19. Jahrhundert zurück, als sich der damalige Präsident Adolphe Thiers von früheren Königsporträts inspirieren ließ.

Freisprüche in Lyon

Republikanisch seien die Porträts also mitnichten, argumentieren die Klimaschützer. Die Justiz ermittelt trotzdem. Mehrere Prozesse haben schon stattgefunden – mit unterschiedlichem Ausgang. In Lyon wurde der Abhängverein im September freigesprochen. Der Richter sprach den Angeklagten den "Umstand der Notwendigkeit" im Kampf gegen die Klimaerwärmung zu.

Anders in Paris: Eine Richterin hat am Mittwoch acht Klimaaktivisten wegen "bandenmäßigen Diebstahls" zu einer Strafe von je 500 Euro verurteilt. Das Kollektiv hatte in den Rathäusern des 3., 4. und 5. Arrondissements Macrons Foto heruntergeholt. Die Angeklagten verwiesen vergeblich auf die "moralische Pflicht", die angebliche Passivität des Staatschefs gegen die Klimaerwärmung anzuprangern. Wenn schon, müsse ihm der Prozess gemacht werden, meinten sie. (Stefan Brändle aus Paris, 18.10.2019)