Auf bis zu 300.000 schätzt man die Zahl der Menschen in Österreich, die nichts von ihrer Erkrankung an Diabetes mellitus Typ 2 wissen.

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Wien – Fehlende Datengrundlagen und Mängel in Früherkennung und Vorsorge der "Zuckerkrankheit": Der Rechnungshof (RH) übt Kritik an der Versorgung von Diabetes-Typ-2-Patienten in Österreich. Er empfiehlt, bessere Datengrundlagen zu schaffen, und fordert – angesichts hoher Folgekosten – mehr Anstrengungen bei Früherkennung und Vorsorge. Das Gesundheitsministerium fordern die RH-Prüfer auf, zwecks Verbesserung der Lage beim Risikofaktor Ernährung mit der Lebensmittelindustrie Vereinbarungen zur Verringerung des Zuckergehalts in Nahrungsmitteln auszuhandeln.

Laut dem Österreichischen Diabetesbericht waren 2017 rund sieben bis elf Prozent der österreichischen Bevölkerung an Diabetes erkrankt. Genau weiß man das allerdings nicht, denn Daten zu Epidemiologie, Behandlung und Ergebnisqualität der Versorgung werden österreichweit nicht erfasst, bemängelt der Rechnungshof. Der Anteil der nicht diagnostizierten Diabetes–Fälle wird laut Diabetesbericht auf zwei bis vier Prozent der Bevölkerung geschätzt, das wären 147.000 bis 294.000 Personen.

Lebensstil und Lebensverhältnisse

Diabetes mellitus Typ 2 ist eine chronische Stoffwechselerkrankung, die sich durch einen erhöhten Blutzuckerspiegel und eine verminderte Insulinwirkung auszeichnet. Die Körperzellen sprechen immer weniger auf Insulin an und das Hormon Insulin kann den Zucker nicht mehr in die Zellen weiterleiten, was Blutgefäße, Nerven und Organe langfristig schädigt. Der Unterschied zu Diabetes Typ 1 besteht darin, dass letzteres durch einen absoluten Insulinmangel gekennzeichnet ist. Die Ursachen von Diabetes Typ 2 liegen im Zusammenspiel von Lebensstil (falsche Ernährung, Bewegungsmangel, Übergewicht und Adipositas), Lebensverhältnissen (Umweltbelastungen, Stress) und familiärer Vorbelastung.

Geprüft hat der RH im niedergelassenen Bereich mit Schwerpunkt auf Niederösterreichischer und Tiroler Gebietskrankenkasse in den Jahren 2013 bis 2017.

Keine flächendeckende Erfassung

Exakte Zahlen über Diabetiker existieren in Österreich nicht. Ihre Anzahl wird über die Heilmittelbezüge bei den Krankenversicherungen errechnet. Demnach ist im Zeitraum von 2013 bis 2016 die Zahl um etwa zehn Prozent gestiegen: Von der "Volkskrankheit" sind mehr als eine halbe Million Menschen in Österreich betroffen. Abgesehen von der klassischen Vorsorgeuntersuchung existiere dennoch keine flächendeckende Initiative zur Früherkennung.

Seit 2007 gibt es das Disease-Management-Programm (DMP) "Therapie aktiv – Diabetes im Griff". Es soll eine einheitliche Behandlung gewährleisten. Ende 2017 wurden aber erst 66.000 Personen erreicht, rund 13 Prozent der Erkrankten. "In Deutschland waren im Vergleichszeitraum 50 Prozent der Diabetikerinnen und Diabetiker in ein solches DMP-Programm eingeschrieben", so der RH.

Keine Besserung bei Risikofaktoren

Und trotz der 2017 vom Gesundheitsministerium erstellten Diabetesstrategie zeige sich "bei wichtigen Risikofaktoren wie falscher Ernährung, Bewegungsmangel, Alkohol- und Nikotinkonsum" keine Verbesserung. "2016 waren rund 15 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher adipös, Tendenz seit 2006 steigend." Laut Daten der Stellungspflichtigen stieg der durchschnittliche Body-Mass-Index der jungen Männer von 22,1 im Jahr 1980 auf 23,7 im Jahr 2017.

Reform im Laufen

Das Ministerium verwies in seiner Stellungnahme auf die Vereinbarungen und Beauftragungen gemäß Zielsteuerungsvertrag des Bundes 2017 bis 2021 sowie die bereits entwickelten Qualitätsstandards für Diabetes Typ 2. Entsprechende Schritte seitens der Gremien seien ebenso vorbereitet wie die Abstimmungen zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherung im Projekt "Integrierte Versorgung Diabetes" veranlasst seien. Der Ständige Koordinierungsausschuss habe den Projektauftrag, der die meisten vom RH angesprochenen Problemfelder enthalte, heuer im März zur Kenntnis genommen. Die geplante Reform der Sozialversicherungsstruktur werde eine österreichweit einheitliche Festlegung der Aufgabenwahrnehmung wesentlich erleichtern.

2011 hatte das Gesundheitsministerium mit der Bäckerinnung eine Vereinbarung zur freiwilligen Reduktion des Salzgehalts in Brot und Gebäck getroffen, was zu einer Verringerung des Salzverbrauchs von 2010 bis 2015 um rund 82 Tonnen geführt habe. Eine solche Maßnahme hält der RH auch zur Senkung des Zuckeranteils in Lebensmitteln für wünschenswert. (APA, 18.10.2019)