Pamela Rendi-Wagner und Doris Bures bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen: Der Auftritt im Doppelpack löste unschöne Assoziationen aus.

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Gibt Doris Bures heimlich die Linie vor? Ihre Gegner fürchten die Machtübernahme der berüchtigten "Liesinger Partie".

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Die Chefin hat die Macht der Bilder unterschätzt. Als Pamela Rendi-Wagner zur üblichen Nachwahlbesprechung beim Bundespräsidenten antrat, wünschte sie sich eine prominente Kollegin an ihrer Seite. Es darf angenommen werden, dass die ungleich routiniertere Begleiterin die Verfänglichkeit der Symbolik geahnt hat. Doch weil Rendi-Wagner insistierte, ging Doris Bures in die Hofburg mit.

So kam es, wie es in zerrütteten Parteien kommt: Seit dem Auftritt im Doppelpack machen in der SPÖ unschöne Assoziationen die Runde. Eine hilflose Vorsitzende hänge an der Leine einer mächtigen Strippenzieherin, lautet die Erzählung: Rendi-Wagner habe sich in Geiselhaft der Liesinger Partie um Bures begeben.

Hat Bures, seit 40 Jahren in der Partei aktiv, tatsächlich im Geheimen die Führung der SPÖ übernommen? Und falls der Verdacht stimmt: Wäre das so schlecht?

Geht es nach der eigenen Vita, wäre die heute 57-Jährige das logische Oberhaupt der Sozialdemokratie. Fast märchenhaft mutet der Aufstieg an, den die in einem Gemeindebau im Wiener Bezirk Liesing aufgewachsene Bures hingelegt hat. Der Vater hat die Familie früh verlassen, es gilt, jeden Schilling zusammenzukratzen. Um mehr zu verdienen, arbeitet die Mutter, eine Krankenschwester, oft nachts und am Sonntag, die sechs Kinder müssen lernen, selbst aufeinander zu schauen. Steht ein Skikurs an, bedarf es mitunter Hilfe vom Elternverein, ist ein Kind krank, wird das Essen aus dem Hort geholt – schließlich wurde es ja schon bezahlt. Ein Studium ist kein Thema, die Geschwister sollen so bald wie möglich Geld heimbringen. Die 15-jährige Doris startet eine Lehre als Zahnarzthelferin.

Den Wert von Zusammenhalt habe sie damals schätzen gelernt, sagt Bures, ebenso Selbstdisziplin und die Bedeutung von Argumenten, um sich durchzusetzen. Letzteres gelingt der energischen Aufsteigerin auch in der SPÖ, seinerzeit nicht unbedingt ein Frauenförderungsverein. Der Protest gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf führt sie zur sozialistischen Jugend (SJ), 1990 gelingt der Einzug in den Nationalrat. Zehn Jahre später wird der Rauswurf der SPÖ aus der Regierung zur Chance. In der Not installiert die Partei den bis dato eher unbekannten Alfred Gusenbauer, einen Mitstreiter aus SJ-Tagen, an der Spitze. Dieser macht Bures zur Bundesgeschäftsführerin.

Von der Trutsch'n zur Macherin

Eine Satiresendung stellt sie in jenen Jahren als naive Trutsch'n dar, in einer Härte, wie sie Männern selten widerfährt. Das deckt sich mit dem anfänglichen Urteil mancher Genossen, entpuppt sich aber als kolossale Fehleinschätzung. Bures beweist Organisationstalent, bringt Wahlkampagnen ins Laufen, baut Schulden der Parteizentrale ab. Sie verlangt viel, nicht nur von sich selbst, sondern auch von Mitarbeitern, bietet im Gegenzug aber verlässliche Loyalität. In den heutigen Chaostagen macht sich da Nostalgie breit: Ja, die Doris hatte den Laden noch im Griff.

Auch Rivalen haben sie nicht als Hascherl kennengelernt. Geschichten künden davon, wie Bures die Ellenbogen ausgefahren habe: (Vermeintliche) Konkurrenten seien von Infos und Sitzungen abgeschnitten worden – und in der Limousine des Chefs war plötzlich nie mehr Platz. "Streetfighterqualitäten sind bei ihrer Vergangenheit und in diesem Job ja okay", sagt einer, der ihr in die Quere gekommen ist, "doch da ging einiges tief ins Persönliche." Schon damals hat der einstige Widersacher einen Zug registriert, der jetzt, in den aktuellen Wirren, wieder zum Thema wird: "Bures und ihr Kreis arbeiten mit totaler Abschottung. Wer nicht dazu gehört, ist abgemeldet."

Ins kollektive Gedächtnis der Kritiker eingebrannt hat sich diese Zuschreibung in der Zeit unter dem nächsten SPÖ-Chef. Bures ist Frauenministerin mit Verve, als Werner Faymann – ebenfalls Liesinger, ebenfalls ein Jugendfreund – Gusenbauer ablöst. Nach kurzer Rückkehr in die Parteizentrale wird sie Verkehrsministerin – und gehört mehr denn je zum engsten Zirkel. Faymann hält die Kanzlerschaft acht Jahre lang, facht mit seinem Stil aber eine innerparteiliche Revolte an, die ihn letztlich aus dem Amt fegt. Das "Liesinger System" steht in den Augen der Gegner für Bunkermentalität, die kritischen Input von Außen als Zumutung begreift.

Ausgelutschte Glaubwürdigkeit

Die notwendige Öffnung der SPÖ für neue Bewegungen, Mitstreiter und Ideen sei undenkbar, wenn Bures das Sagen habe, urteilt eine einstige Faymann-Gegnerin: "Sie steht Pars pro Toto für einen Führungsstil, der nur die eingesessenen Funktionäre im Auge hat – als ob die Partei noch 40 statt 22 Prozent der Stimmen hätte." Nach 18 Wahlniederlagen unter Faymann sei die Glaubwürdigkeit dieses Klüngels "ausgelutscht", ergänzt ein SP-Politiker, der keinesfalls dem linken Flügel angehört: "Die Wähler hauen uns ja gerade die damals geschlossenen Kompromisse um die Ohren."

Aber ist da wirklich eine Restauration im Gange? Abgesehen vom doppelten Auftritt beim Präsidenten gilt als Indiz vor allem die Kür von Christian Deutsch zum Bundesgeschäftsführer, der – erraten – ebenfalls zum Liesinger Kreis zählt. "Und Doris Bures", sagt ein ranghoher Genosse, "hat die Gabe, immer die beste Freundin der oder des jeweiligen Vorsitzenden zu sein."

Für Bures' Verteidiger – und davon gibt es viele – ist all das eine reine Verschwörungstheorie. Was sei denn so verdächtig daran, wenn Rendi-Wagner in schwieriger Lage beim erfahrensten Vollprofi der SPÖ Rat suche? Schließlich bringe Bures, nunmehr Zweite Nationalratspräsidentin, alles mit, was der Quereinsteigerin an der Spitze fehle: Sie kenne die Partei aus dem Effeff, verfüge über politischen Instinkt, denke bei jeder Entscheidung fünf Ecken voraus. Wer mit ihr strategische Fragen diskutiere, sagt ein Mandatar, "ist nachher unter Garantie klüger".

Akribische Vorbereitung zählt zum Credo der Fehlervermeiderin – bis ins scheinbar nebensächliche Detail. Vor Baustellenauftritten kam es vor, dass die damalige Verkehrsministerin nach Quellen für Pannen forschen ließ: Wo steht das Mikro auf dem Podium? Ist das Terrain eh mit Stöckelschuhen begehbar?

Nicht auf die Butterseite gefallen

Wieder scheiden sich die Geister. Kritiker sehen in der Angst vor Kontrollverlust die Lähmung der Partei angelegt, Verteidiger hingegen meinen: In Zeiten, wo die nominelle Vorsitzende durch Interviews holpere, sei eine Portion Message-Control bitter nötig.

Die Gretchenfrage, bei der Rendi-Wagner im ORF-"Report" strauchelte, meistert Bures mit links. Was das Alleinstellungsmerkmal der SPÖ sei? "Wir sind für jene Menschen da, die nicht auf die Butterseite gefallen sind", antwortet sie nach einem hellen Lacher und fügt rasch an, dass Rendi-Wagner dies natürlich auch wisse, aber falsch verstanden worden sei.

Weder von Freund noch Feind will sich Bures unterstellen lassen, die heimliche Parteichefin zu sein. "Ich bin nicht so eitel, dass ich das als Kompliment auffasse", sagt sie. Eine "Schattenfrau" existiere ebenso wenig wie eine verschworene "Liesinger Partie": "Diese Behauptungen sind ein Versuch, Sand ins Getriebe zu streuen." Und die angebliche Resistenz gegen Öffnung und Diskussion? Es mache die SPÖ doch geradezu aus, nicht gleichgeschaltet zu sein, pariert Bures und steigt ad hoc in die Debatte ein. Von der beschworenen "Neugründung" hält sie nichts, das klingt ihr zu sehr nach Selbsthilfegruppe, aber eine Öffnung wolle sie natürlich: "Nur dürfen wir nicht den Fehler machen, an den politischen Rand zu rücken. Wachsen kann die SPÖ nur in der Mitte."

Parteimensch im Guten wie Schlechten

Könnte die Veteranin selbst diese Richtung an vorderster Front verkörpern? Peter Filzmaier hegt da Zweifel. Bures stehe, im Positiven wie im Negativen, für "den typischen Parteimenschen": In den roten Kernschichten könne sie punkten, bei der Strahlkraft über die roten Kader hinaus aber sieht der Politologe "ein großes Fragezeichen". Vor 20 Jahren hätte Bures sicher Konjunktur gehabt; doch es gebe eben Gründe, warum die Altvorderen Rudolf Hundstorfer und Andreas Khol bei der letzten Präsidentschaftswahl klar gescheitert sind.

Gefragt wurde Bures dennoch schon. Vor einem Jahr hätte sie auf Betreiben einer Gruppe in der Wiener SPÖ statt Rendi-Wagner Parteichefin werden sollen, doch die Umworbene winkte ab – und heizte damit Spekulationen an, sie sehe sich als künftige Präsidentschaftskandidatin. Zu dieser Vermutung passt, dass sich Bures 2014 aus eigenem Antrieb aus ihrem mächtigen Ministerium in das weniger einflussreiche, aber prestigeträchtige Amt der Nationalratspräsidentin verabschiedete. Auch kritisch gestimmte Geister in der SPÖ bescheinigen ihr, seither überparteiliche Statur gewonnen zu haben – etwa mit ihrem Einsatz für eine Opferrente für Menschen, die einst in Kinderheimen misshandelt wurden.

Werde ihr unterstellt, sie habe den Ruf an die Parteispitze aus persönlichem Kalkül nicht erhört, "dann fasse ich das als Beleidigung auf", sagt Bures – und es gibt Genossen, die diesbezüglich ihre Hand für sie ins Feuer legen. "Die Doris", sagt einer, "ist eine der wenigen Politikerinnen, die Loyalität zur Partei über eigene Ambitionen stellen." Aber gerade diese Eigenschaft könnte sie zwingen, sich doch noch – zumindest für den Übergang – als offizielle SPÖ-Chefin in die erste Reihe zu stellen. Wenn es mit der Partei weiter steil bergab gehe, glaubt ein Sozialdemokrat, "kann der Zeitpunkt kommen, wo sich Bures nicht mehr wehren kann." (Gerald John, 20.10.2019)