Der hungrige Eisbär, der verzweifelt auf der einsamen Eisscholle hockt – lange Zeit war er das Symbol für die Klimakrise. Der Eisbär ist ein alter Hut; ein Mensch auf einer Eisscholle wäre heute das treffendere Bild für den Stand der Dinge in Sachen Klima. Im Zentrum der Debatte steht nämlich seit einiger Zeit die Frage, was Erderwärmung und Extremwetter für die Gesundheit der Allgemeinheit bedeuten – vor allem für jene Menschen, die schon heute nicht zu den Privilegierten der Welt gehören.

Auch das European Health Forum in Gastein Anfang Oktober beschäftigte sich mit dem Thema. Dass die Klimakrise längst auch eine Gesundheitskrise ist – darüber war man sich beim Forum einig. Das Klimaabkommen von Paris sei für die öffentliche Gesundheit das wichtigste Abkommen des Jahrhunderts, meinte etwa Piroska Östlin, Regionaldirektorin für Europa bei der Weltgesundheitsorganisation WHO.

Flute, Dürren, Brände – und mehr Tote

Erst im Juni hatten Wissenschafter in einem Bericht der Dachorganisation der EU-Wissenschaftsakademien (EASAC) vor den Gesundheitsrisiken durch den Klimawandel gewarnt. Sir Andrew Haines, ein Urgestein der Epidemiologie und Lehrer an der London School of Hygiene and Tropical Medicine, arbeitete am Report mit. In Gastein war Haines, der auf den Flug zum Forum verzichten wollte, via Videobotschaft dabei. Er schilderte die gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise: Wenn Temperaturen und Meeresspiegel steigen und schwere Stürme, Starkregen und Gewitter häufiger werden, kommt es öfter zu Fluten, Dürren und Bränden.

Diese direkten Effekte der Erwärmung bedeuten mehr Hitzetote und Opfer von Extremwetterereignissen. Dazu kommen die verzögerten Effekte der Klimakrise: Krankheiten wie Malaria oder Dengue-Fieber können sich durch Zecken oder Moskitos besser vermehren und über größere Distanzen hinweg übertragen werden. Keime wie E.coli, die zu Durchfall führen können, verbreiten sich leichter über das Wasser, wenn etwa starke Regenfälle die Kläranlagen überlasten. Und Pflanzen können bei steigenden Temperaturen und mehr CO2 in der Luft dauerhafter Pollen produzieren. Folge: Die Allergiesaison wird länger.

Teil der Lösung?

Schon heute sterben jährlich rund 600.000 Menschen an den Folgen von Luftverschmutzung, wie die WHO vorrechnet. 250.000 könnten zwischen 2030 und 2050 zusätzlich an Malaria, Unterernährung, Durchfall und Hitzestress sterben. Schwieriger zu messen sind indirekte Folgen der Krise: Ernteausfälle können die Nahrungsversorgung bedrohen, die Qualität der Nahrungsmittel wird durch höhere CO2-Werte sinken. Laut Welthunger-Index nimmt die Zahl der hungernden Menschen seit drei Jahren wieder zu: 822 Millionen Hungernde sind es weltweit – der Hauptgrund ist die Klimakrise.

Durch den Klimawandel vermehren sich Krankheitsüberträger, verlängert sich die Pollensaison und erhöht sich die Luftverschmutzung.
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Ein Teufelskreis, wie Stefi Barna vom britischen Sustainable Healthcare Center sagt: "Das Gesundheitssystem ist wie ein Hiobsbote: Krankheiten, die wir am wenigsten kontrollieren können, wie Malaria oder Durchfall, treten bei Unterernährung eher auf." Besonders ältere, sehr junge, arme Menschen, Schwangere und solche, die bereits krank sind, sind stärker betroffen. Dazu kommt das Risiko, durch den Klimawandel noch tiefer in die Armut gestoßen zu werden. Konflikte über Ressourcen könnten zunehmen, sagt Barna; das wiederum verstärke Migrationsströme. Auch die psychischen Folgen von Hitzewellen oder Traumata durch Naturkatastrophen seien relevant. Tödliche Hitze ist auch in Österreich mittlerweile ein Fakt: In den letzten Jahren gab es hierzulande bereits mehr Hitze- als Verkehrstote, wie die Ages vorrechnet.

Sieben Prozent Emissionen durch den Gesundheitssektor

In Gastein zeigte sich der Gesundheitssektor jedenfalls selbstkritisch – er sei für vier Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich, das entspricht etwa dem Ausstoß von Japan, immerhin fünftgrößter Emittent der Welt. In Österreich seien es sogar sieben Prozent, so Brigitte Zarfl, Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz. Der Gesundheitsbereich ist also Teil der Lösung und Teil des Problems. 15 der 17 von den UN definierten Nachhaltigkeitsziele stehen direkt mit Gesundheit in Verbindung, so Vytenis Andriukaitis, EU-Kommissar für Gesundheit und Ernährungssicherheit.

Dass die Klimakrise heute auch als Gesundheitskrise diskutiert wird, sei wichtig, wie Experten des britischen Thinktanks Climate Outreach analysieren: Man müsse die Krise zu einer menschlichen Geschichte machen, die wissenschaftliche Realität zu einer sozialen, wirtschaftlichen und politischen. Das mache das Thema anschlussfähig für die alltäglichen Sorgen und Emotionen der Menschen. Das Gute daran? Bekämpft man die Klimakrise effektiv, können als "Nebeneffekt" soziale Ungleichheit abgebaut, geopolitische Stabilität gefördert und globale Gesundheit verbessert werden.

Was Verhalten ändert

Das bestätigen Studien: Sie zeigen, dass Menschen eher bereit sind, klimaschädigendes Verhalten aufzugeben, wenn man ihnen die Klimakrise als Gesundheitsthema erklärt. Das sogenannte Engage-Programm an der University of California in Los Angeles belegte das eindrücklich in einem Versuch: Studierende aus dem Campus-Wohnheim gaben Details ihrer Energienützung preis und bekamen daraufhin Tipps für klimafreundlicheres Handeln. Hinweise dazu, wie sie Geld sparen können, hatten dabei einen geringeren Effekt als solche, die über die Folgen von Luftverschmutzung für das Asthma- und Krebsrisiko aufklärten. Die zweite Gruppe schaffte es, ihren Energieverbrauch um acht Prozent zu reduzieren, Bewohnern mit Kindern gelangen sogar 19 Prozent Reduktion. Für Stefi Barna steht Gesundheit deshalb klar im Zentrum aller Entscheidungen: "Wir müssen anfangen, planetare und menschliche Gesundheit zusammenzudenken – so können viele Probleme gleichzeitig gelöst werden." (Katharina Kropshofer, 21.10.2019)