"I did it my way" – Herr Woland alias Beelzebub (Norman Hacker) im feinen Tuch weiß, wie er seinem Publikum begegnen muss: mit entwaffnender Ehrlichkeit.

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Der Teufel ist von allen Figuren immer die sympathischste. Nicht nur modisch setzt der Höllenfürst ein ums andere Mal alle anderen matt – er kauft nur die heißesten Sonnenbrillen. Auch an Lebenserfahrung mangelt es ihm nicht. Der Mann durchschaut alles und jeden und findet, smooth wie er ist, die rücksichtsvollsten Worte, wenn er die läppischen Herzen der ihm entgegentretenden Menschen einsackt.

Herr Woland aus Michail Bulgakows DerMeister und Margarita macht da keine Ausnahme. In der mit denkwürdigen Momenten gespickten Inszenierung von Ene-Liis Semper und Tiit Ojasoo am Akademietheater stattet der eloquente "Historiker" und "Handschriftenleser" der Stadt Moskau im roten Glitzerzweiteiler einen Besuch ab. Er (Norman Hacker) hat die Stimmen zweier trotteliger Literaturfunktionäre, Iwan (Marcel Heuperman) und Berlioz (Philipp Hauß), vernommen, als sie in einem mausgrauen Büroverschlag pflichtbewusst die Existenz Jesu in Abrede stellten. Wir schreiben das Jahr 1939, und da war im Sowjetreich Atheismus obligatorisch.

Unfähiges Sowjetsystem

Nicht nur über diese Hörigkeit macht sich Bulgakow lustig, sein 1940 fertiggestellter Roman ist ein umfassender Angriff auf das unfähige Sowjetsystem und dessen brutale Macht. Es geht um fehlenden Mut und die Frage, warum keiner zu dem steht, was er eigentlich denkt und für richtig hält. Das titelgebende Paar, der Meister genannte Schriftsteller (Rainer Galke) und seine (verheiratete) Geliebte Margarita (Annamáriá Lang), zerbricht an seiner Liebeslüge sowie am Zensurapparat, der des Meisters Roman über Pontius Pilatus verhindert.

Pontius Pilatus (Hauß) ist eine wichtige Spiegelfigur. Zu ihm, dem römischen Präfekten in Judäa, wird 2000 Jahre zurückgeblendet. Auch er verhält sich opportunistisch, als er gegen seine Überzeugung das Todesurteil gegen Jesus unterfertigt, weil es die Hohepriester verlangen.

Diese beiden Zeitebenen verlinken Semper und Ojasoo leichthändig. Es beginnt furios mit einem Parforceritt durch die blutige Geschichte der Religionen: Die aus ihren Bürokratiestuben im Bühnenhintergrund hervortretenden Funktionäre zitieren zersetzende und frauenverachtende Bekenntnisse der Religionsväter. Es fällt der bedenkenswerte Satz: "Damit ein guter Mensch Böses tut, dafür braucht es eine Religion." Jesus Christus kann aber nichts dafür. Denn er wurde immer falsch verstanden, wie er hier und heute insistiert. Schon das erste von einem Möchtegernjünger vollgeschriebene Ziegenpergament enthalte nur Missinterpretationen seiner Predigten, wehrt der Dornengekrönte ab.

Im Moskau der Stalinzeit ist er (Tim Werths) – ewig blutüberströmt – zum Putzmann degradiert. In den Funktionärsbüros macht er sich am Wischmopp zu schaffen. Dort, auf den ranzigen Schreibtischen, steht – über die Videoleinwand groß gezoomt – signifikante Sekundärlektüre bereit, vom Ortega y Gasset (Der Aufstand der Massen) bis zu Friedrich Nietzsche. Auch Leitz-Ordner zu Pontius Pilatus.

Das kann die Inszenierung gut: Den Überblick wahren, die Schauplätze und Zeiten mit einem schnellen Bürosesselrutscher verschränken – und sich zugleich an Details ergötzen. Nahaufnahmen werden immer wieder aus dem Inneren der Bürogänge über Video auf Cinemascopeleinwand gezeigt: der treuherzig-linkische Satansblick Norman Hackers; die hektisch-verschwitzten Panikgesichter der Sowjetfunktionäre (Heupermann, Hauß), die sexy Galanterie von Wolands Gefolge (Stefanie Dvorak als Hella, Felix Kammerer als Behemoth).

Die Inszenierung hält aber nicht, was sie mit der Ouvertüre zur Religionskritik versprochen hatte. Den vielschichtigen Wälzer in ein abendfüllendes Theaterformat zu packen, geht gewiss ein Stück weit immer mit Scheitern einher. In der vergleichsweise handlichen Bühnenfassung des estnischen Regieduos bleiben – mit Ausnahme von Woland – vor allem die Figuren auf der Strecke.

Sesselkleber Pontius Pilatus

Rainer Galke bleibt in seiner Burgtheaterantrittsrolle als Meister den Großteil seiner Zeit hinterm Schreibtisch oder in einer Zwangsjacke (weil Irrenanstalt) unsichtbar. Margarita wiederum kommt von ihrer Heulsusennummer nicht mehr runter. Und auch die als uniforme Büromenschen eingeführten Literaturfunktionäre (Mehmet Atesçi, Johannes Zirner) sowie die Kindsmörderin Frieda (Hanna Binder) gehen in der rückwärtigen Bürozeile großteils verschütt. Sogar Pontius Pilatus ist nur ein mit Umhang drapierter Bürohengst und Sesselkleber.

Gegen Ende hin nach einigen durchhängenden Szenen biegt der Abend rasch in die Endkurve und zeigt den Ball Wolands nur per Videozuspielung. Sein Abgang geht dann teuflisch schnell. Semper und Ojasoo ließen in ihrer respektablen Exposition den Schauspielern zu wenig Raum. So kühlt der Abend allmählich aus. (Margarete Affenzeller, 19.10.2019)