Eine Frau in Champagnerlaune.

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Eigentlich wollte Vitalie ja Künstlerin werden: Nach der Schule nahm sie Zeichenkurse, dann betätigte sie sich in ihrem Ein-Personen-Unternehmen als Illustratorin. Aber so einfach entkommt man seiner Familie nicht – vor allem nicht, wenn sie Taittinger heißt. Das ist der Name einer prestigereichen französischen Dynastie, deren Urahn aus Österreich eingewandert ist. Bis heute sind aus der Winzerfamilie auch namhafte Geschäftsleute, Hoteliers, Bürgermeister und Politiker hervorgegangen.

Jetzt darf sich Vitalie Taittinger in die Ahnengalerie einreihen: Die 40-Jährige ist zur Vorstandschefin des Traditionskonzerns mit Sitz in Reims ernannt worden. Ab Jahresbeginn 2020 wird sie für eine Champagnerproduktion mit 150 Millionen Euro Jahresumsatz verantwortlich sein.

Vitalie Taittinger erweckt indes nicht den Eindruck, als würde sie von der auf sie zukommenden Verantwortung erdrückt. Eher ist es so, dass sie die Familientradition gewährleistet, wenn nicht rettet. Als Illustratorin hatte die Brasserie-Liebhaberin – ihre Leibspeisen sind Innereien und Hirn – früh einen Hang zu kulinarischen Themen entwickelt.

2005 nahm Vitalie Taittinger wieder voll Anteil am Familiengeschehen, als entfernte Verwandte ihrem Namen Unehre machten und das Unternehmen für 2,4 Milliarden Euro an den US-Investor Starwood verhökerten. Vitalie, Vertreterin eines Hauptfamilienzweiges, war wie ihre Eltern und ihr Bruder Clovis außer sich.

Zum Glück waren die Amerikaner nur an den Hotels und Immobilien des Konzerns interessiert. Der Champagner Taittinger stand bald wieder zum Verkauf, und Vitalies Vater Pierre-Emmanuel Taittinger konnte die Schaumweinproduktion zurückkaufen. Auch seine Tochter Vitalie holte er zurück. Langsam übernahm sie wie Clovis höhere Chargen; 2015 wurde sie Marketingdirektorin.

Am 1. Jänner wird Vitalie Taittinger zur wichtigsten Konzernchefin einer Zunft, in der Frauen seit jeher eine wichtige Rolle spielen. Im 19. Jahrhundert gehörten dazu Louise Pommery, Mathilde Emilie Perrier oder Barbe-Nicole Clicquot-Ponsardin – besser bekannt als Veuve Clicquot; heute führen die Belgierin Carol Duval-Leroy oder die Französin Véronique Blin Champagnerunternehmen.

Keines ist aber so reichhaltig wie Vitalies von Leben sprühender Familienbetrieb – bestehend aus einem Mann, vier Kindern und jährlich 6,5 Millionen Flaschen Schampus. (Stefan Brändle aus Paris, 19.10.2019)