Die Debatte um Luxusgüter und hohe Gagen bei ranghohen Vertretern der Sozialdemokratie in Österreich schlägt weiterhin hohe Wellen. Kürzlich outete Ex-Kanzler Christian Kern den Revolutionsführer Ernesto "Che" Guevara als Träger eines Schweizer Präzisionschronometers der Marke Rolex. Schöne und exklusive Uhren sind neben Sportwagen in den Reihen der SPÖ durchaus beliebt und lösen eine Symptomdebatte in den sozialen und klassischen Medien aus. Bei der Diskussion um den Luxus der SPÖ-Granden sind ebendiese Güter lediglich das berühmte Symptom und nicht die Krankheit der Partei.

Revolution und Realität

Den meisten Bürgern in Österreich ist es egal welches Auto jemand fährt oder welchen Zeitmesser man trägt, da sie ganz andere Sorgen rund um ihre Zukunft und die ihrer Kinder vom Schulsystem, über den Arbeitsplatz bis hin zur Pension tangieren. Sie beurteilen Politiker anhand ihrer Taten, die ihr Leben merkbar beeinflussen. Auf diesem Gebiet dürfte die Sozialdemokratie in den vergangenen Jahrzehnten in der Wahrnehmung der Wähler nicht gerade brilliert haben. Im geschützten System mit sicheren Posten von der Revolution zu träumen hat nicht wirklich etwas Revolutionäres. Ebendies ist das Kernproblem in der verzerrten Selbstwahrnehmung der SPÖ.

Che Guevara hat seine Revolution nicht auf Basis von Umfragen und Wählerstromanalysen analysiert.
Foto: APA/AFP/CRISTINA QUICLER

Selbst- versus Fremdbild der SPÖ

Schon dem russische Revolutionär Leo Trotzki fielen Wiener Sozialdemokraten auf, welche sich von Arbeitern als "Genosse Herr Doktor" anreden ließen. Ex-Kanzler Christian Kern als auch die neue SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner haben sicher ihre Fähigkeiten wie einen gewissen Intellekt und eine kognitive Flexibilität, die sie von Mitbewerbern abheben. Das große Manko liegt in der mentalen Blase in der viele von den neuen Fortschrittsgewinnern und aufgestiegenen Arbeiterkindern existieren. Sie leben in einem Soziotop, welches nicht mehr viel mit der Arbeiterwelt in Simmering oder Favoriten zu tun hat, haben aber das ehrliche Gefühl über so viel Selbstreflexion zu verfügen, um sich in die Welt der "einfachen" Menschen hineinversetzen zu können. Die Wahlergebnisse zeigen empirisch gestützt, dass diese Annahme vielleicht ein Trugschluss ist.

Revolutionäre denken mit dem Herz

Menschen, ob arm oder reich, gebildet oder weniger gebildet, sind nicht dumm. Auch wenn sie vielleicht nicht über jenen scheinbaren Wissensvorsprung einer Pamela Rendi-Wagner oder eines Christian Kern verfügen, spüren sie ganz lebenspraktisch was ihnen gut tut und was nicht. Hier liegt die Krux der neuen alten Sozialdemokratie. Volksverbundenheit beruht nicht nur auf der Selbstwahrnehmung der SPÖ-Chefs und Spitzenfunktionäre sondern manifestiert sich am Wahlabend im Ergebnis. Es ist ein akademisch evidenter Beleg, der nicht durch Interpretieren und  Zerdenken von Wählerstromanalysen umgedeutet werden sollte. Jenes Nachwahlphänomen stellt nur einen Verdrängungsprozess dar, welcher der positiven Entwicklung einer traditionsreichen Bewegung im Weg steht.

Denn der Berufskollege von Rendi-Wagner, der Arzt Che Guevara, hat seine Revolution nicht auf Basis von Umfragen und Wählerstromanalysen sondern aus tiefer emotionaler Überzeugung kontra jeder Ratio realisiert und dafür am Ende mit seinem Leben bezahlt. Vielleicht sollte sich die aktuelle SPÖ-Chefin vom geistigen Ballast lösen und ohne Berater, Social Media Team und doppelten Boden ganz einfach alleine und unbemerkt mit den "Menschen" in einem Kaffeehaus in ihrem einstigen Heimatbezirk Favoriten das Gespräch suchen. Diese würden ihr eine mehr als deutliche gratis Beratung frei Haus liefern, die einem die Augen öffnet. In diesem Sinne "Viva la revolución". (Daniel Witzeling, 22.10.2019)

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