Am Sondierungstisch parlieren ÖVP und Grüne seit Freitag über eine mögliche Aufnahme von Koalitionsverhandlungen: In der ersten Runde hat Leonore Gewessler, bis vor kurzem Chefin der Umweltaktivisten von Global 2000, an der rechten Seite von Grünen-Chef Werner Kogler Platz genommen. Bei ihrem Resümee über das Aufeinandertreffen mit Türkis wählt sie ihre Worte mit Bedacht.

Am Sondierungstisch mit der ÖVP am Freitag nahm Leonore Gewessler (Mitte) gleich neben Grünen-Chef Werner Kogler Platz.
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STANDARD: Können wir frei sprechen – oder herrscht schon eine türkis-grüne Message-Control?

Gewessler: Aktuell geht es uns darum, mit der ÖVP auszuloten, ob es überhaupt eine Basis gibt, um in Regierungsverhandlungen eintreten zu können – und natürlich braucht es da rund um die Sondierungen ein gewisses Maß an Vertraulichkeit, um das ernsthaft und professionell anzugehen.

STANDARD: Bei aller Vertraulichkeit ging es der ÖVP bei der ersten Sondierungsrunde angeblich um einen "neuen Stil". Im Wahlkampf waren Kurz, Köstinger und Co für Ihre Partei noch "Schnösel", die sich inhaltlich "um 180 Grad" drehen müssten, damit man mit ihnen koalieren könne. Gilt das noch?

Gewessler: Prinzipiell gilt nun für beide Seiten am Tisch: Wahlkampf ist Wahlkampf – und deswegen sollten wir jetzt den Blick nach vorne richten. Denn als Wahlgewinner haben die ÖVP und die Grünen eine Verantwortung – auch wenn beide Parteien wegen unterschiedlicher Inhalte gewählt wurden.

"Wahlkampf ist Wahlkampf – jetzt sollten wir den Blick nach vorne richten": Die Grüne Leonore Gewessler über gegenseitige Verwundungen von ÖVP und Ökos.
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STANDARD: Sind Sie bereits überzeugt davon, dass es Kurz ernst meint und hier keine Scheingespräche geführt werden?

Gewessler: Aus meiner Sicht war die erste Runde von einer guten, aber auch ergebnisoffenen Atmosphäre geprägt – am Ende wird ÖVP-Chef Kurz entscheiden müssen, welchen Weg er bei den Regierungsverhandlungen einschlägt.

STANDARD: Schon diese Woche soll ein Fahrplan zu vertiefenden Sondierungsgesprächen stehen – wie geht es konkret weiter?

Gewessler: Am Montagabend wollen Kurz und Grünen-Chef Kogler die Inhalte für die nächsten Runden besprechen, damit beide eine fundierte Entscheidung treffen können, ob sich Verhandlungen lohnen. Aus unserer Sicht bräuchte es neben einem budgetären Kassasturz auch einen Kassasturz rund um das Klima, weil auf Österreich sonst angesichts der dramatischen Entwicklungen der CO2-Emissionen Strafzahlungen zukommen.

STANDARD: Kogler beharrte am Wochenende auch auf einer ökosozialen Steuerreform – aber ohne signifikante Mehrbelastung für die Industrie wird das wohl nicht gehen?

Gewessler: Fest steht, dass das Umweltbundesamt gerade die Zahlen rund um die zu hohen CO2-Ausstöße bestätigt hat. Deswegen gibt es hier deutlichen Handlungsbedarf im Sinne des Pariser Klimaschutzabkommens, und wir brauchen eine Kostenwahrheit im System. Generell möchten wir dafür sorgen, dass sich klimaschonendes Verhalten künftig für jeden Einzelnen lohnt, auch für die Industrie.

STANDARD: Die ÖVP hat eine nationale CO2-Steuer ausgeschlossen: Sie befürchtet nicht nur ein Abwandern von Betrieben, sondern auch ein Schröpfen der Pendler.

Gewessler: Freilich müssen hier für zwei Pole erst gemeinsame Wege gefunden werden: Klimaschutz muss auch sozial nachhaltig gestaltet sein. Aber auch für die Betriebe kann man Anreize schaffen, etwa indem im Gegenzug Klimafreundlichkeit mit Senken der Lohnnebenkosten honoriert wird. In Summe geht es uns darum, ökosozial umzusteuern, aber keine Steuererhöhungen zu schaffen.

STANDARD: Ein für alle Mal zur Klärung: Haben die Grünen großes Interesse am Posten des Innenministers?

Gewessler: Dazu kann ich Ihnen versichern: Wir sprechen derzeit nicht über Ämter und Posten, sondern über inhaltliche Ziele.

STANDARD: Die Frage zielt darauf ab, dass FPÖ-Chef Norbert Hofer neuerdings behauptet, dass die grüne Mandatarin Sigi Maurer Innenministerin werden könnte – was "ein großer Fehler" wäre.

Gewessler: Solche Aussagen der FPÖ richten sich aus meiner Sicht von selbst. Ich erlebe Sigi Maurer als kompetent, sehr konstruktiv und voll im Team.

STANDARD: Kurz hat Maurer bereits als Ministerin ausgeschlossen, Harald Mahrer, Chef des Wirtschaftsbundes, wiederum hält einen grünen Wirtschaftsminister für "denkunmöglich". Sind das akzeptable Vorgriffe für allfällige Koalitionsverhandlungen?

Gewessler: Wenn wir beim Beispiel von Harald Mahrer bleiben: Es ist unbestritten, dass die Grünen bei Wirtschaft und Umwelt hohe Kompetenzen haben. Doch allfälligen Ressortzuständigkeiten widmen wir uns – im Fall des Falles – erst ganz zum Schluss.

STANDARD: Die ÖVP sondiert derzeit mit Grünen und Neos separat. Was spricht dagegen, dass auch die beiden kleinen Parteien miteinander sondieren, um sich nicht der türkisen Übermacht auszuliefern?

Gewessler: Bei der Transparenz und den Menschenrechten haben wir mit den Neos Gemeinsamkeiten, aber es trennt uns auch vieles. Ich bezweifle daher, dass solche zusätzlichen Sondierungsgespräche einfacher würden. Wegen der Sorge, dass eine Koalition zwischen ÖVP und Grünen im Nationalrat nur mit wenigen Mandataren abgesichert wäre, kann ich auf die Länder verweisen: Egal wo Grüne mitregieren, waren sie stets verlässliche Partner.

STANDARD: Grüne und Neos würden gern schärfere Transparenzregeln zur Parteienfinanzierung beschließen. Lässt sich das mit der ÖVP noch vor Bildung einer Koalition im freien Spiel der Kräfte realisieren?

Gewessler: Wir werden sehen. Aber nach Publikwerden der Ibiza-Affäre und den aufgekommenen Spenden- und Spesendebatten im Wahlkampf ist jedenfalls vom Wähler ein Handlungsauftrag gegeben. (Nina Weißensteiner, 20.10.2019)