2013 beendete Podoprigora offiziell seine Karriere. "Ich musste lernen, wie man normal lebt", sagt der heute 41-Jährige.

Gstaltmeyr

"Nur keinen Fehlstart", dachte sich Maxim Podoprigora vor dem Weltmeisterschaftsfinale 2001 in Fukuoka. "Nur keinen Fehlstart." Denn wer vor dem Startsignal ins Wasser springt, wird disqualifiziert und verliert jegliche Medaillenchance. Und der österreichische Brustschwimmer visierte immerhin Gold und Weltrekord an. Die 200-Meter-Distanz hatte er bereits im Vorlauf und im Semifinale dominiert. Am Startblock setzte er also den Tunnelblick auf, blendete die Bahnen der sieben Gegner aus – um plötzlich festzustellen: "Verdammt, die sind schon alle in der Luft." Also doch ein Fehlstart: nicht zu schnell, sondern zu langsam losgelegt. 2:11:09 Minuten später hatte er trotzdem Silber.

Die Freude kam erst später

"Ich kann mich nicht erinnern, gleich gejubelt zu haben", sagt Podoprigora dem STANDARD. Zu sehr trauerte er zunächst Gold nach. Heute, 18 Jahre später, sieht der 41-Jährige Platz zwei als "Wahnsinnsleistung. Eine Medaille haben nicht so viele Schwimmer auf der Welt." Und Österreicher schon gar nicht.

Podoprigora holte in Japan das erste WM-Edelmetall in der Geschichte des Österreichischen Schwimmverbands, einen Tag vor Zimmerkollege Markus Rogan. Es sollte nicht die einzige Pionierleistung bleiben, mit der er das goldene OSV-Jahrzehnt rund um Rogan und die Jukic-Geschwister Mirna und Dinko eingeläutet hat.

Die beiden WM-Medaillengewinner von Fukuoka 2001: Maxim Podoprigora und Markus Rogan.
Foto: APA-Foto: Roland Schlager

Von Kiew nach Wien

Schwimmen gelernt hatte Podo, so sein Spitzname, in Kiew, seinem Geburtsort. Seine Eltern waren erfolgreiche UdSSR-Schwimmer, sein Stiefvater Olympia-Segler. Nach der Atomkatastrophe im Kernkraftwerk Tschernobyl 1986 wanderte Onkel Igor nach Österreich aus. 1992 holte er Maxim und dessen Familie nach.

Podos Mutter steckte ihren Sohn gleich in den Schwimmverein, damit der 14-Jährige dort die Sprache leichter lernen könne. Also vorschwimmen beim ASV Wien, bei Trainer Andrzej Szarzynski. Podoprigora erinnert sich, ein paar Längen Kraul und Delfin gezogen zu haben. Der Coach daraufhin zur Mama: "Er wird Brustschwimmer." Mittlerweile gehöre Szarzynski zur Familie. Der Pole sollte Podos Karriere bis auf eine kurze Pause 2008 begleiten.

Mann der Premieren

1998 erhielt Podoprigora die österreichische Staatsbürgerschaft und räumte bei der Kurzbahn-EM in Sheffield Bronze über 200 Meter Brust ab. 2000 folgte in Helsinki auf derselben Distanz und in derselben Farbe die erste Langbahn-EM-Medaille der Verbandsgeschichte – seit 73 Jahren. Der Mann der Premieren hatte damals aber bereits ein anderes Ziel: den Langbahnweltrekord von Mike Barrowman (USA, 2:10,16) aus 1992. "Ich wollte einmal der Beste auf der Welt sein."

Der Beste in Europa war Max, so sein zweiter Spitzname, sogar zweimal. 2003 hielt er mit 2:06,95 Minuten den Kontinentalrekord auf der Kurzbahn. 2001 hatte er sich bereits zum Europameister von Antwerpen gekrönt und dem Verband das erste EM-Gold der Herren gesichert. Für Podoprigora war es "das einzige Rennen, bei dem ich nicht bereut habe, den Weltrekord verpasst zu haben". Die Vorbereitung hatte er grippegeschwächt absolviert.

Olympia-Alpträume

Bei den drei Olympiateilnahmen lief immer etwas schief. In Sydney 2000 kam er als Vorlaufvierter locker weiter. Im Semifinale wollte er dann Kräfte sparen. "Leider habe ich die Augen erst bei der letzten Wende aufgemacht", sagt er. Da war er schon deutlich hinten. Er verpasste als Elfter das Finale. "Ich habe mich verpokert. Wenn ich sehe, welche Zeit für eine Medaille gereicht hätte, tut das noch heute weh."

Podoprigora und Olympia ist keine Happy-End-Geschichte.
Foto: APA-FOTO: HANS KLAUS TECHT

2004 bescheinigten ihm Leistungstests, dass seine Zeiten Richtung Weltrekord gingen. Sechs Wochen vor Olympia brach er im Trainingslager zusammen. Zuvor hatte er eine Grippe dreimal verschleppt. Diagnose: chronische Nebenhöhlenentzündung – zwei Wochen Antibiotika und drei Wochen Trainingsverbot. Eine Katastrophe so kurz vor dem Saisonhöhepunkt. "Da sind mir die Tränen gekommen", sagt Podoprigora, der zunächst auch diesmal nur ganz minimal pausieren wollte. Die Antwort der Ärztin – "Wenn Sie das machen, könnten schwere Komplikationen auftreten" – war dann aber doch überzeugend genug. Letztlich sprang in Athen Platz 13 heraus.

Peking 2008: mittendrin in der Ära der Ganzkörperanzüge, die 2010 wieder verboten wurden. Die neue Schwimmbekleidung minimalisierte den Strömungswiderstand, die Rekorde purzelten. Podoprigora hatte jedoch keinen Ausrüster und trat mit Badehose an. "Kurz vorm Rennen habe ich noch mitbekommen, dass zwei Leute neuen Olympiarekord aufgestellt haben. Ich habe sie nicht einmal gekannt." Erst nach dem Großereignis schlüpfte auch er in einen Anzug. Beim Vorlauf-Out bei der WM in Rom im Folgejahr kam er damit in 2:11,17 Minuten nochmals an seine Bestzeit von Fukuoka heran. "Es ist aber eh cooler, die persönliche Bestzeit in stinknormaler Badehose geschwommen zu sein."

Des Rätsels Lösung

Warum er dieser Bestzeit nach 2001 vergeblich nachjagte, wusste er lange nicht. Sie stellt noch immer österreichischen Rekord dar. Podoprigora sieht Olympia 2004 als Knackpunkt. "Ich habe mir danach zu viel Druck auferlegt." Er wollte Familie, Freunde und Sponsoren wie die ans Herz gewachsene Familie Ströck nicht enttäuschen, stattdessen beweisen, dass er keine Eintagsfliege gewesen ist. Aber wer zu viel Druck hat, verkrampft. Und die "Brustlage ist leider so ein Hund." Wer hier im Rennen einen Fehler mache, könne ihn nicht mehr ausbessern. Ein Teufelskreis für Perfektionisten wie ihn.

Diese Einsicht reifte im vergeblichen Kampf um das Olympialimit 2012. Mehrmals scheiterte er daran klar. Als er mit London bereits abgeschlossen hatte, zeigte er plötzlich seine beste Qualileistung. "Ich konnte endlich abschalten. Ich wusste, es ist vorbei." Das Karriereende nach der Olympiasaison hatte er bereits zuvor beschlossen.

Podoprigora holte all seine fünf Medaillen – eine bei der WM (Bild), vier bei der EM – über 200 Meter Brust.
Foto: APA-Foto: Georg Diener

Vielbeschäftigt

Seither ist Podoprigora als Berater und Projektleiter auf nationaler und internationaler Ebene für die Kommunikationsagentur Create Connections tätig. Er ist Mitautor verschiedener Publikationen zur Infrastrukturpolitik und bereitet aktuell den jährlich erscheinenden Österreichischen Infrastrukturreport vor. Außerdem ist er Vorstandsmitglied im burgenländischen Schwimmverband und externer Lehrbeauftragter am Institut für Transportwirtschaft und Logistik an der Wirtschaftsuni Wien.

"Ich musste lernen, wie man normal lebt", sagt Podo, der mit seiner Ehefrau Kati und Hund Lilly zusammenlebt. Im Beruf könne er nicht mehr so perfektionistisch sein wie im Sport. "Wenn Kleinigkeiten nicht so laufen wie geplant, ist das okay", sagt er. Schwimmen geht er noch fünfmal in der Woche. Kein Vergleich zu früher, als er täglich zwölf Kilometer, also 240 Längen im 50-Meter-Becken, abspulte. "Ich war immer ein großer Trainingsfan." Im Nachhinein gesehen hätte er aber manchmal länger regenerieren sollen.

Mittlerweile kann Podoprigora entspannt zurückblicken. Viele Leute fragen ihn immer, was nach 2003 passiert sei. "Denen sage ich dann: Nix, was soll passiert sein?" Er sei in einer Weltsportart regelmäßig in Finalbewerben gewesen, bis zur WM 2005 in Montreal zehn Mal in Folge über die 200 Meter Brust. "Ab und zu denke ich noch an den Weltrekord", sagt er. "Aber ich hatte eine schöne Karriere." (Andreas Gstaltmeyr, 21.10.2019)