Wandmalereien in Nordirland erinnern an den Bürgerkrieg.

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Nigel Dodds war die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Dass das Unterhaus am Samstag seine Entscheidung über das EU-Austrittspaket noch einmal hinausschob, sagte der Fraktionschef der Unionistenpartei DUP, gebe den Parlamentariern "mehr Zeit für eine detaillierte Prüfung" der Vorschläge. In der Lesart der Nordiren bedeutet dies: mehr Zeit, um immer neue Haare in der aus ihrer Sicht ungenießbaren Suppe zu finden, die Boris Johnson ihnen eingebrockt hat.

Der Minderheitsregierung von Johnsons Vorgängerin Theresa May hatte Dodds' zehnköpfige Fraktion zwei Jahre lang die Treue gehalten. Im Gegenzug ließ May sich im Herbst 2017 zurückpfeifen, als schon einmal ein besonderer Zollstatus Nordirlands im Gespräch war. Stattdessen sollte der sogenannte Backstop für das gesamte Vereinigte Königreich gelten.

DUP als Neinsager

Premier Johnson hingegen hat sich über die Einwände aus Belfast hinweggesetzt, dem Vernehmen nach mit einer einfachen Begründung: "Die stimmen nie irgendetwas zu." Tatsächlich neigen die Unionisten unter Parteichefin Arlene Foster generell zu destruktivem Verhalten. Zudem sprechen sie keineswegs für ganz Nordirland, sondern nur für einen, allerdings beträchtlichen Teil der protestantischen Bevölkerung. Die irisch-katholischen Nationalisten sind im Unterhaus nicht vertreten. Die sieben Abgeordneten der Sinn Féin nehmen ihre Plätze nicht ein, weil sie dafür einen Eid auf die Queen ablegen müssten. Die Bevölkerung hat 2016 mit 56 Prozent für den EU-Verbleib gestimmt, Umfragen deuten darauf hin, dass sie auch mit dem Sonderstatus zufrieden sind, schließlich stellt er den Friedensprozess auf der Grünen Insel sicher.

Diese Begründung überhören die schottischen Nationalisten gern. Stattdessen beklagen sie die Spezialregelung für die Nordiren. Hingegen werde "die Stimme unserer Nation wieder einmal ignoriert", rief Ian Blackford, Fraktionschef der SNP im Unterhaus, am Samstag. Schottland wolle – wie 2016 mit 62 Prozent – in der EU bleiben.

Schottische Neuwahlhoffnungen

Die schottische Ministerpräsidentin und SNP-Chefin Nicola Sturgeon pocht beinahe genauso laut auf Neuwahlen wie Premier Johnson: Die Umfragen verheißen der SNP Positives, ironischerweise im Norden zulasten der Konservativen. Deren populäre Regionalvorsitzende Ruth Davidson hat im Sommer ihren Rücktritt eingeleitet, aus Protest gegen Johnsons Brexit-Politik.

Schon wächst auch zum ersten Mal seit langem die Zahl der Befürworter schottischer Unabhängigkeit, dem zentralen SNP-Anliegen. Beim Referendum 2014 lag ihr Anteil bei 45 Prozent, jüngste Umfragen legen ein Patt nahe. Allerdings beschreibt Professor Michael Keating von der Uni Aberdeen das Dilemma der Nationalisten: Sollte ihr Ziel, der EU-Verbleib des Königreiches, gelingen, verlöre die Unabhängigkeit mit einem Schlag an Attraktivität. (Sebastian Borger aus London, 21.10.2019)