Erst Diesel-Pkws höherer Abgasklassen erreichen die gesetzlichen Grenzwerte. Im Realbetrieb sind Euro-5- und Euro-6-Diesel teils schmutziger als alte Euro-4-Motoren.

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Wien/Wolfsburg – Vier Jahre nach Ausbruch des Dieselabgasskandals geht der Verbraucherschutzverein VSV gegen die Aufsichtsbehörden der Republik Österreich vor. Der Vorwurf lautet auf Verdacht des Amtsmissbrauchs durch pflichtwidriges Unterlassen der Verantwortlichen (Paragraf 302 Strafgesetzbuch ff).

Heißt auf gut Deutsch: Untätigkeit, weil von den Abgasmanipulationen betroffene Fahrzeuge diverser Hersteller (nicht nur des Volkswagen-Konzerns) noch immer im Straßenverkehr unterwegs sind, führt der Rechtsvertreter des VSV, der Linzer Anwalt Michael Poduschka, aus. Die Anzeige werde am Montag bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) eingebracht.

"Waren nicht untätig"

Im Ministerium weist man den Vorwurf der Untätigkeit zurück. Bereits am Freitag hatte eine Sprecherin betont, das Ministerium habe an die 400.000 Pkw-Rückrufe durchgeführt, damit liege man europaweit an dritter Stelle. "Das lässt sich durchaus nicht als Untätigkeit werten", so Sprecherin Elisabeth Hechenleitner. Nur mehr deutlich weniger als zehn Prozent der betroffenen Fahrzeuge seien noch auf Österreichs Straßen unterwegs.

Auch habe das Verkehrsministerium "mehrere" Fahrzeuge auf Schummelsoftware getestet, aber "bei keinem der überprüften Fahrzeuge eine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt". Deshalb seien auch keine Nichtübereinstimmungen an die EG-Typgenehmigungsbehörden, die die überprüften Fahrzeuge seinerzeit zum Verkehr zugelassen haben, gemeldet worden. Welche Fahrzeugtypen konkret getestet wurden, gab das Ministerium unter Berufung auf Datenschutz nicht bekannt. Es seien aber keine Kfz gewesen, denen vom KBA Schummelsoftware nachgewiesen wurde, sondern andere.

Das erklärt, warum das Ministerium auf parlamentarische Anfrage der Liste Pilz eingeräumt hatte, von Deutschland und dessen Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) keine Daten zur Überprüfung verlangt und bei Tests auch keine Grenzwertüberschreitungen bei der Luftgüte festgestellt zu haben – DER STANDARD berichtete.

Jeder EU-Mitgliedsstaat in der Pflicht

Bei der Marktüberwachung ist laut EU-Richtlinie nicht nur die Typprüfgenehmigungsbehörde des Auslieferungslandes in der Pflicht, sondern jeder Mitgliedsstaat. Gemäß dem österreichischen Kraftfahrtgesetz (Paragraf 28b) hat der Verkehrsminister das Recht, die Vorlage des EU-Betriebserlaubnisbogens zu verlangen und die Vollständigkeit und Richtigkeit der erstellten Musterdatensätze von Genehmigungsdaten zu überprüfen und gegebenenfalls zu untersagen, bis sichergestellt ist, dass die eingegebenen Daten fehlerfrei sind, heißt es in der Sachverhaltsdarstellung an die WKStA. Das Verkehrsministerium verweist auch hier an das KBA als zuständige Behörde. Dieses habe bestätigt und durch Untersuchungen durch technische Dienste nachgewiesen, dass die Fahrzeuge nach dem Update alle technischen Anforderungen der relevanten Einzelrechtsakte der Richtlinie 2007/46/EG erfüllen. Das betreffe insbesondere Schadstoffemissionen und Dauerhaltbarkeit von emissionsmindernden Einrichtungen, die Motorleistung und das maximale Drehmoment sowie Spritverbrauch und CO2-Emissionen.

Umweltthema

Womit sich ein neues Problem auftut. Denn mit dem Softwareupdate wurde lediglich ein Thermofenster eingebaut. Zum Schutz des Motors ist die Abgasreinigung bei den Schummelautos seither nur zwischen 10 und 33 Grad Celsius aktiv, also im wesentlichen nur von Frühsommer bis Herbst. In Sachen Luftgüte verbessert das Update im Winter und Hochsommer nicht viel.

Laut Kraftfahrgesetz hat die Behörde aber auch aktiv zu werden, wenn sie feststellt, dass trotz Übereinstimmung dieser Daten eine Gefährdung der Sicherheit des Straßenverkehrs, der Umwelt oder der öffentlichen Gesundheit durch solche Kfz eintreten kann. Der Verkehrsminister habe den genehmigenden Mitgliedsstaat und die EU-Kommission zu verständigen und gegebenenfalls die Zulassung solcher Fahrzeuge zu untersagen, hält der auf Dieselklagen spezialisierte VSV-Anwalt dagegen. "Obwohl das KBA in den Jahren 2017 und 2018 bei zahlreichen Audi-, VW- und Porsche-Modellen mit 3,0- und 4,2-Liter-Dieselmotoren ebenfalls unzulässige Abschalteinrichtungen aufgespürt hat und vom KBA Rückrufe angeordnet wurden, weil diese SUVs real deutlich mehr Stickoxide (NOx) ausstoßen, ist seitens des Ministeriums aber nichts unternommen worden." Ein Teil der Kfz sei bis dato nicht zum Softwareupdate zurückgerufen wurden.

Update "ohne gewünschten Effekt"

Aufschlussreich ist diesbezüglich übrigens die Stellungnahme der Finanzprokuratur im Strafverfahren gegen Volkswagen, dem sich die Republik Österreich als Privatbeteiligte (für ihre rund 2.000 Leasingfahrzeuge) angeschlossen hat: "Die VW AG hat zwar eine Änderung der Software der Motorsteuerung versprochen und auch bereits durchgeführt, jedoch ergaben unabhängige Tests, dass diese Änderung nicht die gewünschten Effekte gebracht hat." Durch das Softwareupdate würden nicht die – zum Zeitpunkt des Kaufs – beworbenen Werte erreicht. Fahrzeuge, bei denen das Update durchgeführt wurde, überschreiten die gesetzlich zulässigen Grenzwerte im tatsächlichen Betrieb auf der Straße um ein Vielfaches, so die Finanzprokuratur.

Genau das ist der Knackpunkt, denn Volkswagen betont regelmäßig, dass einzig die Messwerte am Prüfstand relevant seien, nicht der Realbetrieb, was sich so allerdings nicht in der EU-Verordnung findet. Die Verordnung unterscheidet nicht zwischen Realbetrieb und Prüfstand. Auch Daimler bekämpft diverse Rückrufbescheide des KBA vor Gericht.

Anzeige gegen unbekannt

"Was hat das österreichische Verkehrsministerium getestet?" fragt VSV-Obmann Peter Kolba und verweist auf vom deutschen Sender rbb24 veröffentlichte amtliche Messungen des KBA, herausgegeben nur nach Klagsdrohung. Ergebnis: Zwei Drittel der Dieselautos fallen bei den NOx Tests glatt durch. 189 Fahrzeuge wurden im Echt-Betrieb auf der Strasse getestet und bei 65 Prozent der Fahrzeuge sind die NOx-Werte zum Teil erheblich höher als die Grenzwerte am Prüfstand.

Die Republik nehme nicht nur in Kauf, dass die Bürger Autos zu teuer kauften und damit einen finanziellen Verlust erleiden, argwöhnt Poduschka, sondern auch Gesundheitsschäden beziehungsweise statistisch gesehen auch Todesfälle durch den zu hohen Stickstoffausstoß der Fahrzeuge.

Im Verkehrsministerium waren seit 2015 mehrere Minister verantwortlich, darunter Alois Stöger, Gerald Klug und Jörg Leichtfried (alle SPÖ) und zuletzt Norbert Hofer (FPÖ), Valerie Hackl (parteilos) und aktuell der frühere Sektionschef Andreas Reichhardt. Nicht gegen sie richtet sich die Anzeige, sie bleibt unbestimmt. Er hoffe aber, dass Übergangsminister Reichhardt tätig wird, sagt Poduschka unter Verweis auf die Möglichkeit einer Amtshaftungsklage. (APA, ung, 21.10.2019)