Papst Franziskus verspürt ordentlichen finanziellen Gegenwind.

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"Das Defizit, unter dem der Heilige Stuhl leidet, hat ein besorgniserregendes Ausmaß angenommen; es besteht die Gefahr, dass es zu einem Default führen könnte", heißt es in einem Dokument, das der italienische Enthüllungsjournalist Gianluigi Nuzzi in seinem neuen Buch "Giudizio Universale" ("Das Jüngste Gericht") vorlegt. Das brisante Dokument war am 18. Mai 2018 vom vatikanischen Wirtschaftsrat verfasst worden, einem von Papst Franziskus geschaffenen Kontrollorgan für die diversen Finanzinstitutionen des Kirchenstaats.

Insgesamt verwertete Nuzzi in seinem Buch dreitausend vertrauliche Dokumente, die ihm im Laufe der letzten Jahre aus dem Innern des Vatikans zugespielt worden waren. Default, Zahlungsunfähigkeit, Bankrott, Pleite: Dieses Szenario sei "zum konkreten Albtraum innerhalb der heiligen Palazzi" geworden, schreibt die Römer Zeitung "La Republica", die über das gestern Abend vorgestellte Enthüllungsbuch ausführlich berichtete.

Lücke in Pensionskasse

Der Zustand der vatikanischen Finanzen sei "dramatisch": Die Einnahmen aus Spenden und Diözesen seien – nicht zuletzt wegen des durch den Missbrauchsskandal verursachten Vertrauensverlusts – eingebrochen, die Kosten insbesondere für das Personal der Vatikanstadt und des Heiligen Stuhls seien parallel dazu "unkontrolliert" gewachsen, der Buchwert vieler Vermögenswerte habe nach unten korrigiert werden müssen, lautet die Diagnose von Nuzzi. Hinzu komme eine vermutlich gravierende Finanzierungslücke in der Pensionskasse der Vatikanangestellten.

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Gianluigi Nuzzi enthüllt die finanzielle Misere des Vatikans.
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Trotz der von Papst Franziskus im Jahr 2014 eingeleiteten Sparmaßnahmen seien allein im Zeitraum zwischen 2015 und 2017 die Vatikan-Ausgaben um 62 Prozent gewachsen, berichtet Nuzzi in seinem Buch. Das Defizit im laufenden Jahr werde um 63 Millionen Euro steigen, was einem Plus von fast 200 Prozent entspräche.

Ob diese Zahlen korrekt sind, ist freilich nicht ganz klar: Der vom deutschen Kardinal Reinhard Marx präsidierte Wirtschaftsrat bemängelte laut Nuzzi schon vor über einem Jahr, dass von einzelnen vatikanischen Behörden "fundamentale Informationen" zurückgehalten würden. Dies Angaben wären erforderlich, "um das Defizit exakt und korrekt bestimmen" zu können, wie es in einem im Buch zitierten Protokoll heißt.

Intransparenz

Die nach wie vor fast vollständige Intransparenz bleibt das zentrale Problem der Vatikanfinanzen: Die letzten offiziellen Angaben zu den Budgets des Heiligen Stuhls und der Vatikanstadt stammen aus dem Jahr 2006. Der Etat des Heiligen Stuhls lag damals bei 228 Millionen Euro; für den Vatikanstaat wurde das Gesamtvolumen im gleichen Jahr auf 150 Millionen Euro geschätzt.

Kardinals George Pell leitete eigentlich die Finanzen des Vatikans, doch er wurde wegen Missbrauchs in Australien verurteilt.
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Es ist bekannt, dass der Vatikan auf einem immensen Vermögen an Wertanlagen und Immobilien sitzt. Aber vor allem bei der Verwaltung des Grundbesitzes regiert Vetternwirtschaft und Ineffizienz: Von den rund 4400 vatikanischen Immobilien stünden deren 800 leer, weitere 3200 seien zu teilweise lächerlich tiefen Vorzugsmieten vergeben worden, schreibt Nuzzi. Trotz der Billig-Mieten verzeichne die vatikanische Güterverwaltung Apsa Mietausstände von 2,6 Millionen Euro.

Grassierende Korruption

Der frivole und zum Teil auch kriminelle Umgang mit den Geldern des Kirchenstaats durch Prälaten und Vatikanangestellte ist seit langem bekannt. Erst Anfang Oktober ist ein neuer Skandal aufgeflogen: Fünf Vatikanangestellte sind wegen Verdachts auf Amtsmissbrauch, Korruption, Unterschlagung und Geldwäsche von ihren Ämter suspendiert worden. Es geht um illegale oder zumindest fragwürdige Immobilien-Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe im Ausland.

Franziskus' Reformkurs ist aus Finanzsicht nicht sichtbar.
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Außerdem sollen 250 Millionen Dollar aus den Vatikan-Kassen in eine Ölplattform vor der Küste Angolas investiert worden sein. Franziskus hat die Affäre als derart gravierend eingestuft, dass er den erfahrenen italienischen Mafia-Jäger Giuseppe Pignatone an seinen Hof geholt und zum Präsidenten des vatikanischen Tribunals ernannt hat.

Franziskus ohne Erfolg

Nuzzis neues Buch führt dem Leser vor Augen, wie wenig Erfolg Papst Franziskus bisher mit seinen Reformbemühungen im Finanzwesen hatte. In der Kurie werde weiterhin gemauert, Behörden verweigere Kontrollen und lehnten die Zusammenarbeit mit den neuen, vom Papst geschaffenen Aufsichtsbehörden ab, schreibt die "Repubblica".

Viele Finanzverantwortliche rückten nur einen Teil der Unterlagen heraus, das vatikanische Staatssekretariat stehe ganz ausserhalb des Einflussbereichs der Kontrolleure. Franziskus bemühe sich nach Kräften, die alten Seilschaften zu zerschlagen und die Strukturen zu erneuern – aber er sei nach wie vor mit erbittertem Widerstand konfrontiert. Der Papst sei "isoliert", schreibt die "Repubblica". (Dominik Straub, 21.10.2019)