Benny Gantz soll eine Regierung auf die Beine stellen.

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Noch nie waren die Aussichten für Israels Langzeitpremier Benjamin Netanjahu so schlecht wie derzeit: Pünktlich zum Ende der jüdischen Feiertage gestand er am Montagabend in einem Facebook-Video ein, dass er mit der Regierungsbildung gescheitert sei: "Ich habe den Präsidenten darüber informiert, dass ich mein Mandat zur Regierungsbildung zurückgeben werde." Netanjahus rechtsnationaler, religiöser Block kam bei der Wahl im September nur auf 55 der nötigen 61 Sitze im Parlament. Von seinen Vorstellungen einer Einheitsregierung konnte Netanjahu Herausforderer Benny Gantz nicht überzeugen.

Nun soll Gantz, Co-Anführer des Bündnisses Blau-Weiß, versuchen, was dem Premier nicht gelang. Präsident Reuven Rivlin hat am Dienstag, Gantz das Mandat zur Regierungsbildung erteilt. Wie Netanjahu würde auch er 28 Tage Zeit bekommen, eine Koalition auf die Beine zu stellen. Gantz zeigte sich bereit: "Blau-Weiß ist entschlossen, eine liberale Einheitsregierung angeführt durch Benny Gantz zu bilden, welche die Menschen in Israel vor einem Monat gewählt haben." Wie diese Einheitsregierung aussehen könnte, ist derzeit allerdings ungewiss.

Gegenseitige Schuldzuweisungen

Denn trotz ähnlicher politischer Ziele und Ansichten ist es Gantz und Netanjahu in den vergangenen Wochen nicht gelungen, sich auf eine gemeinsame Regierung zu einigen. Netanjahu beharrte darauf, in einer großen Koalition im ersten Regierungsjahr Premier zu bleiben. Außerdem vereinbarte er mit seinen rechtsnationalen und ultraorthodoxen Partnern, dass sie nur gemeinsam einer Einheitsregierung beitreten würden. Bedingungen, die Gantz so nicht hinnehmen wollte: mit dem Likud regieren, ja. Aber nicht mit Netanjahu an der Spitze, solange der noch unter Korruptionsverdacht steht.

Gantz und Netanjahu geben sich nun gegenseitig die Schuld am Scheitern: Netanjahu beteuerte in seiner Facebook-Rede, er habe unaufhörlich an einer Einheitsregierung gearbeitet und versucht, Gantz an den Verhandlungstisch zu bringen. "Leider hat er es immer wieder abgelehnt." Gantz wiederum warf dem Premier bereits vor einigen Tagen vor, vielmehr seine Immunität als die politische Einheit im Sinn zu haben und direkte Verhandlungen abzulehnen.

Klage gegen Netanjahu

Bis Dezember will Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit über Netanjahus Anklage wegen Bestechlichkeit, Betrugs und Untreue entscheiden. Sollte es dazu kommen, wäre ein Wechsel an der Spitze des Likud und damit neue Verhandlungen über eine Einheitsregierung aus Likud und Blau-Weiß möglich. Doch bis dahin sieht es auch für Benny Gantz schlecht aus – erneute Wahlen nicht ausgeschlossen. Denn mit seinem linksliberalen Block kommt auch Gantz derzeit auf keine Mehrheit: Nur 54 Abgeordnete haben ihn vor vier Wochen als Premier empfohlen, darunter zehn Abgeordnete der arabischen Vereinigten Liste, die einer Regierung aber gar nicht beitreten würden.

Auch deshalb macht die Idee einer Minderheitsregierung unter Gantz' Führung derzeit die Runde – beispielsweise mit den acht zusätzlichen Abgeordneten von Avigdor Liebermans Partei Unser Haus Israel und unterstützt durch die Vereinigte Liste. Sie könnte zumindest so lange übernehmen, bis sich im Fall einer Anklage gegen Netanjahu ein Wechsel an der Spitze des Likud abzeichnet. Eine Idee, die Premier Netanjahu ablehnt: Er hat bereits angekündigt, eine Minderheitsregierung als Oppositionsführer zu bekämpfen. (Lissy Kaufmann aus Tel Aviv, 22.10.2019)