Kein Chinese des Schmerzes, sondern ein Dichter wie aus dem Bilderbuch: Peter Handke, aufgenommen 1973.

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In den wundermilden Tagen der Ära Kreisky stellte einem der Erwerb von Kunst und Kultur ungeahnte Genüsse in Aussicht. Jeder angehende Schöngeist wusste auch bei flüchtiger Betrachtung von schöpferischen Menschen umgehend, woran er war.

Staatsopernsängerinnen glichen in ihrer Erscheinung Luxusdampfern, die man unter nicht geringen Mühen vom Stapel gelassen hatte. Die Autoren der damaligen Zeit hingegen schienen ausnahmslos einer Betriebsrätekonferenz entsprungen. Die Schnurrbärte dieser sozial Engagierten hätten hochwertige Kehrmaschinen abgegeben. Ihre Hemden knisterten elektrisch, und praktisch jeder zweite sprach, um seine Abkunft vom Proletariat zu unterstreichen, im Dialekt der Kutscher und Maronibrater.

Man kann der Stockholmer Akademie gar nicht dankbar genug sein, dass sie sich heuer für Peter Handke als Literaturnobelpreisträger entschieden hat. Handke ist, was immer man sonst von ihm hält, ein Dichter vom Scheitel bis zur groben Schuhsohle. An keinem anderen sehen die allerteuersten Wollsakkos so abgewetzt aus wie an seiner durchlauchtigsten Gestalt. Und erst, wenn dem Poeta laureatus eine Laus über die Leber gelaufen ist: In Handkes Handapparat liegt das Götz-Zitat im Fach neben den Frühäpfeln. Mit beiden wirft er um sich. Wehe, jemand wird von einem von beiden getroffen.

Braten und Veltliner

Meine Eltern waren mit einem anno 1970 hochberühmten Dichter der Wiener Moderne weitläufig bekannt. Einmal im Jahr wurde dieser schnurrbärtige Mann mit der ausgeprägten Fistelstimme von uns zum Essen eingeladen. Der Autor verschmähte den Braten meiner Mutter, dafür sprach er umso begeisterter dem Grünen Veltliner zu.

War der Flascheninhalt erst in dem zarten Kerl verschwunden, schien der Augenblick gekommen, in dem er anhob, die chinesische Kulturrevolution über den grünen Klee zu loben. Wie zart, wie wohlartikuliert war deren Terror! Mein Vater, ein rechtschaffener Mann ohne auffällige progressive Neigungen, explodierte. Notdürftig wahrten alle die Fassung. Unser Gast verließ die Wohnung schließlich auf dünnen, leisen Sohlen. (Ronald Pohl, 23.10.2019)