Ein unterirdisches Schwammsystem kann Bäumen helfen und das urbane Kanalsystem entlasten.

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Das Wiener Büro 3:0 Landschaftsarchitektur setzt sich für das Stockholmer Modell der "Schwammstadt" ein – auch in Österreich

Foto: 3:0 Landschaftsarchitektur.

Morgendliche Praxisstudie in der Badewanne des Artikelverfassers: Ein handelsüblicher Badeschwamm, Spezies Spongia officinalis, erstanden für tausend Rupien auf dem Markt in Colombo, Sri Lanka, fasst rund 300 Milliliter Wasser. So viel wie ein Seidl Bier.

Nicht auszudenken also, wie viele Millionen Liter ein XXL-Schwamm speichern würde, wenn man ihn unter der Stadt, unter den Straßen, unter den zwischen Parkplätzen und in Fußgängerzonen eingefassten Bauminseln platzierte. Genau das ist das denkbar einfache und bislang doch nur selten angewandte Prinzip der Sponge-City, der sogenannten "Schwammstadt für Stadtbäume".

"Die meisten Bäume, die in der Stadt wachsen, werden seit Jahrzehnten in viel zu kleinen Standard-Baumgruben eingefasst und bekommen dadurch zu wenig Luft, zu wenig Wasser und zu wenig Nährstoffe", sagt Daniel Zimmermann, Partner im Wiener Büro 3:0 Landschaftsarchitektur.

"Vor allem aber können sie auf diese Weise nur einen Bruchteil ihrer Talente und Potenziale ausspielen. Und das ist schade." Ein gesunder, ordentlich gepflanzter Baum spendet Schatten, speichert CO2, bindet Feinstaub und ist imstande, aufgrund der Verdunstungskühlung die gefühlte Temperatur im mikroklimatischen Bereich zu reduzieren.

"Ein positiver Nebeneffekt ist zudem, dass im Wurzelwerk und im umliegenden Erdreich mittelfristig immense Wassermengen gespeichert werden können", sagt Zimmermann. "Auf diese Weise kann Regenwasser abgefangen und das städtische Kanalnetz zugleich entlastet werden. So gesehen ist ein speicherfähiger Stadtuntergrund eine technisch und wirtschaftlich sinnvolle infrastrukturelle Maßnahme."

Voraussetzung dafür aber ist eine entsprechend großzügige Dimensionierung der Baumgrube. Genau hier kommt die Schwammstadt ins Spiel.

Luftiges Schotterbett

Die Funktionsweise lautet: Statt in enge Baumgruben gesteckt zu werden, umzingelt von versiegelten und viel zu stark verdichteten Böden, werden die Jungbäume in ein luftiges Schotterbett eingepflanzt, das sich unter dem Straßenbelag fortsetzt und den Wurzelballen ausreichend Platz gibt, um sich auszudehnen und jahrzehntelang weiterzuwachsen.

Um die Effizienz zu erhöhen, sind die einzelnen Schotterkörper im Untergrund wie kommunizierende Gefäße miteinander verbunden. Der grob- und feinteilige Schotter saugt sich wie ein poröser Badeschwamm voll, gleicht die Wasserversorgung zwischen privilegierten und weniger privilegierten Baumstandorten aus und hält das überschüssige Wasser über einen Zeitraum von mehreren Stunden oder gar Tagen zurück, ehe es schließlich nach und nach ins städtische Kanalnetz durchsickert.

In Osnabrück (Niedersachsen) und in der schwedischen Hauptstadt wird das sogenannte "Stockholmer Modell" – so der Fachbegriff im Jargon der Landschaftsarchitekten – schon seit einigen Jahrzehnten angewandt. Kein Mensch kann sich erklären, warum die internationalen Nachahmer so lange auf sich haben warten lassen. In jüngster Zeit wurde das Prinzip schließlich nach Malmö, Kopenhagen und zuletzt nach Österreich exportiert – nach Graz (2017) und Mödling (2019).

Mit Erfolg: Als am 16. April 2018 innerhalb von kürzester Zeit 142 Liter Regen pro Quadratmeter auf Graz niederdonnerten, kam es in großen Teilen der Stadt zu einer Überlastung des Kanalsystems und infolgedessen zu massiven Überschwemmungen.

Mit einer Ausnahme: In der Eggenberger Allee, wo das Grazer Landschaftsarchitekturbüro Freiland Umweltconsulting wenige Monate zuvor unterirdische Stadtschwämme installiert hatte, blieben Straße, Gehweg und Kanalisation ohne jegliche Überlastung intakt.

Das Regenwasser konnte im Schotter zwischengespeichert werden und gelangte erst mit einiger Verzögerung, als die Spitzenwassermassen längst schon abtransportiert waren, ins Kanalsystem.

Alternative zu neuen Kanälen

"Der durchlässige Untergrund ist nicht nur gesund für den Baum, sondern entlastet auch die technische Infrastruktur. Eine Schwammstadt zu bauen ist daher wirtschaftlicher und nachhaltiger, als Kanäle neu zu errichten oder bestehende Kanäle im Querschnitt zu erweitern", meint Zimmermann, der den urbanen Spongebob gemeinsam mit Stefan Schmidt (HBLFA Schönbrunn), Erwin Murer (Bundesamt für Wasserwirtschaft) und dem Landschaftsarchitekten Karl Grimm nach Wien brachte und nun gemeinsam mit seinen Kollegen einen eigenen Arbeitskreis leitet.

In Neubaugebieten sei die Errichtung von Schwämmen nicht aufwendiger als der Bau herkömmlicher Baugruben. Aber auch in der bestehenden Stadt rentiere sich eine nachträgliche, technisch und logistisch aufwendige Verschwammung innerhalb weniger Jahre, wie Zimmermann versichert, und er zählt als Gründe dafür auf: "Weniger Kanalanpassungen, geringere Baumpflege, weniger Ausfälle, und zudem wachsen die Bäume schneller und stärker, was wiederum der Verschattung und dem Mikroklima zugutekommt."

Gesunde Bäume, meint Stephanie Drlik, Geschäftsführerin der Österreichischen Gesellschaft für Landschaftsarchitektur (ÖGLA), seien der billigste und effizienteste Klimaregulator für die Stadt, den man sich vorstellen könne. "Die Starkregenereignisse nehmen auch in Mitteleuropa von Jahr zu Jahr zu. Früher oder später werden wir keine andere Wahl haben, als mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln die Klimakrise in den Griff zu bekommen."

Maria Auböck, Landschaftsarchitektin und Präsidentin der Zentralvereinigung der ArchitektInnen (ZV) in Wien, Niederösterreich und Burgenland, beklagt die fehlende Sensibilität aufseiten der öffentlichen Hand.

"Es ist schön, dass Wien einen Wald mit ein paar Tausend Bäumen pflanzen will, wie kürzlich bekannt wurde, aber sinnvoller wäre es, einen konsistenten grünen Leitplan für das städtische Gebiet zu erstellen, anstatt all unsere städtischen Freiräume mehr und mehr zu versiegeln." Auböcks Fazit: "Mir fehlt der grüne Faden."

Geplante Schwammstädte

Die nächsten Städte sind bereits in der Pipeline. Mit der Stadtverwaltung Tulln, das ebenfalls Schwamm werden will, ist das Büro 3:0 bereits im Gespräch. Und in der Seestadt Aspern, Quartier am Seebogen, entsteht gerade ein ganzes Schwammstädtchen mit insgesamt 51 zusammenhängenden, miteinander kommunizierenden Baumgefäßen.

Neu ist, dass man hier nicht nur unterirdische Schotterkorridore anlegt wie bisher, sondern jede einzelne Baumgrube zu einer kleinen, dezentralen Minikläranlage mit Sickerbecken und halophytischen, also salzverträglichen und streusalzresistenten, Gräsern wie etwa Meerkohl, Backenklee und Steppenaster ausbaut.

Durch ein ausgeklügeltes Überlaufsystem aus Sickerbecken, Filterbecken und Absetzbecken, in dem Sedimente und Feststoffe aussortiert werden, kann das Regen- und Schmelzwasser sogar über mehrere Wochen zurückgehalten werden.

Rein äußerlich sind die aus Betonfertigteilen bestehenden Beckeneinfassungen von einem klassischen Stauden- oder Blumenbeet kaum zu unterscheiden. Doch der Effekt ist enorm: Dank der "dualen Tiefbeete" – so der Fachausdruck – kann die sonst im städtischen Straßenraum benötigte Sickerfläche um bis zu 70 Prozent reduziert werden.

"Gute Gründe für die Schwammstadt gibt es viele", sagt Zimmermann. "Tatsächlich ist aber noch einiges an Forschung und Entwicklung nötig, denn Wien ist nicht Stockholm und auch nicht Osnabrück – und es gibt sogar Unterschiede zwischen dem Donauschotter in der Seestadt und der Flyschzone in Hernals."

Aktuell fördert die Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) ein Pilotprojekt in der dicht verbauten Bestandsstadt – mitsamt wissenschaftlicher Begleitung und Monitoring von Bodenmatrix, Wasserqualität und Baumvitalität. In den nächsten Jahren, so der Plan, will man die Pilotphase abschließen und neue Standards für die Schwammstadt festgesetzt haben. (Wojciech Czaja, 28.10.2019)