Eigentlich galt Premier Benjamin Netanjahu als Verlierer der Neuwahl im September 2019: Nicht nur, dass seine Partei um drei Sitze hinter das Ergebnis vom April zurückfiel; der Likud wurde obendrein nur zweitstärkste Kraft im Parlament, hinter dem Bündnis Blau-Weiß von Herausforderer Benny Gantz.

Möglich schien zunächst noch eine Einheitsregierung. Doch die schlechten Wahlergebnisse – zuerst im April und dann im September – sowie die drohende Anklage in drei Korruptionsfällen ließen den Langzeitregierungschef (1996–1999, seit 2009) nicht davor zurückschrecken, hohe Forderungen zu diktieren. Er pochte darauf, im ersten Jahr einer Einheitsregierung Premier zu bleiben und nur mit seinen politischen Verbündeten aus dem rechtsnationalen religiösen Block in eine Einheitsregierung einzutreten. Dass es zu dieser Koalition nun nicht kommen wird, ist nach Ansicht Netanjahus einzig und allein die Schuld von Gantz, der sich darauf nicht einlassen wollte.

Auch wenn er mit der Regierungsbildung gescheitert ist: Netanjahu ist sich sicher, dass nur er in der Lage ist, das Land zu regieren. Davon hat er zuletzt zwar keine Mehrheit im Lande mehr überzeugt, aber immerhin genug Menschen, damit ein Machtwechsel nun nahezu unmöglich scheint.

Dräut die dritte Neuwahl innerhalb eines Jahres heran?

Das ist gefährlich – gerade in einer Demokratie. Israel steht kurz vor einer dritten Wahl innerhalb weniger Monate, vor politischem Stillstand und vor der großen Frage, ob eine Neuwahl überhaupt irgendetwas an der derzeitigen Pattsituation ändern würde. Selten waren die Israelis so ernüchtert, enttäuscht und ratlos.

Der einzige Hoffnungsschimmer ist derzeit Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit. Er will bis spätestens Dezember verkünden, ob er Netanjahu wegen Bestechlichkeit, Betrugs und Untreue anklagt oder nicht. Seine juristische Entscheidung könnte Klarheit in die verfahrene politische Situation bringen und neue Möglichkeiten für eine Regierungsbildung bieten, die derzeit noch nicht in Reichweite sind.

Mandelblits Entscheidung könnte das Ende von Netanjahus Karriere einläuten – und eine neue Ära in Israels politischer Landschaft. (Lissy Kaufmann aus Tel Aviv, 22.10.2019)