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Reshmaan Hussam ist Assistenzprofessorin in Harvard und forscht zu Entwicklung, Verhalten und Gesundheit.

Foto: MIT /Bryce Vickmark

Lange hat Entwicklungspolitik nicht die gewünschten Ergebnisse geliefert. Wie macht man ein armes Land reich? Weiß bis heute keiner. Weil die großen Fragen kaum beantwortbar schienen, konzentrierten sich Forscher auf die kleinen: Wie kann man Schulen mit wenig Geld besser, wie Menschen ohne Krankenhäuser gesünder machen? Dazu nutzen sie nicht unumstrittene Experimente. Abhijit Banerjee, Esther Duflo und Michael Kremer stehen im Mittelpunkt dieser Forschung. Sie haben zuletzt den Ökonomienobelpreis gewonnen.

Reshmaan Hussam arbeitet mit ihnen zusammen. Sie ist Assistenzprofessorin in Harvard und forscht zu Entwicklung, Verhalten und Gesundheit. Die Ökonomin erklärt ihre Forschung – und warum sie nicht unumstritten ist.

Wenn Kinder ihre Hände waschen, macht sie das nachweislich gesünder. Doch wie wird das zur Gewohnheit? Neue Forschung hat einen Weg gefunden.
Foto: imago / Sunil Sharma

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STANDARD: Sie haben ein Feldexperiment in Indien durchgeführt, in Westbengalen. Wie geht so etwas?

Hussam: Wir wollten herausfinden, warum Menschen oft einfache Dinge nicht tun, die aber gut für ihre Gesundheit wären. In Ländern wie Österreich ist das etwa, dass man zu viel isst oder zu wenig Sport macht, obwohl man weiß, dass man davon krank wird. In ärmeren Ländern geht es zum Beispiel darum, warum sich Menschen nicht impfen lassen oder ihre Hände nicht waschen. Wir haben uns Letzteres angeschaut.

STANDARD: Wie?

Hussam: Es gibt extrem viele Studien zu Hygiene und Händewaschen. Eigentlich müsste man da zu dem Schluss kommen, suchen wir uns ein anderes Thema. Denn nichts hat funktioniert. Menschen wurden aufgeklärt, bekamen Informationen, Seifen und so weiter. Nichts davon hat geholfen. Das Verhalten hat sich nicht verändert. Der Konsens war: Nichts davon hilft. Was ich mir mit meinem Team dachte: Wir wissen aber nicht genau, warum. Ein Grund, warum das wahrscheinlich noch nicht genau erforscht war, ist, dass es nicht die richtige Methode dafür gab.

Die entwickelten Seifenspender.

STANDARD: Sie hatten sie dann?

Hussam: Wir haben extra dafür gemeinsam mit dem MIT Media Lab Seifenspender mit Sensoren bauen lassen. Sie ermöglichten uns, sehr präzise zu messen, ob sie benutzt werden. Wenn mich ein Forscher fragt, ob ich die Hände gewaschen habe, lüge ich vielleicht, weil es mir unangenehm ist. Das fällt mit dieser Methode weg. Auch die exakte Zeit messen zu können, wann die Spender benutzt werden, ist wichtig. Denn man kann den ganzen Tag Hände waschen, wenn man es nicht vor dem Essen tut, bringt es wenig.

STANDARD: Ihr Experiment?

Hussam: Wir haben mit einer Organisation gearbeitet, die wir schon kannten. In einer Gegend in Westbengalen, die wir ebenfalls kannten. Wir hatten das Know-how und Vertrauen der Bevölkerung. Wir arbeiteten in etwa 100 Dörfern, die repräsentativ für die Gegend sind. Die Seifenspender haben wir dann zufällig verteilt. Also ein Computerprogramm wählte zufällig aus, welche Dörfer und Familien Seifenspender bekommen und welche nicht. Manche bekamen finanzielle Anreize, wenn sie sie benutzten, andere nicht. Durch die zufällige Auswahl und die Kontrollgruppe kann man dann gut messen, welche Wirkung die Spender haben.

STANDARD: Bevor wir weiter über das Experiment sprechen, kommen wir zur Kritik daran. Manche meinen, es ist ethisch bedenklich, mit echten Menschen mit echten Problemen Experimente zu machen.

Hussam: Dazu zwei Punkte. Erstens, ja. Wir machen in der Entwicklungsarbeit oft den Fehler, dass wir Menschen zu Objekten machen. Wenn wir das Ganze ein Experiment nennen, befördern wir das. Ich bin in dieser Disziplin, weil mich das fasziniert hat. Wir kommen an einen Ort und wissen zunächst einmal wenig über die Menschen und die Kultur. Bei diesen Feldexperimenten versuchen wir dann aber, so viel wie möglich über sie zu lernen, und das ist eben genau nicht, wie das früher in der Entwicklungsökonomie war. Damit so ein Experiment überhaupt funktioniert, muss man die Menschen kennen und ihre Probleme verstehen. Wir sollten aber aufhören, das "Experiment" zu nennen.

STANDARD: Die Kritik betrifft aber nicht nur die Wortwahl. Man gibt manchen Menschen etwas – zum Beispiel Seifenspender –, anderen nicht, und schaut, was passiert.

Hussam: Das stimmt. Aber Politik hat immer nur ein beschränktes Budget. Meiner Ansicht nach ist es am fairsten, wenn man das dann zufällig verteilt. Wenn wir dann daraus sogar noch schlauer werden und nachher bessere Politik machen und das Geld dann so ausgegeben wird, dass es wirklich hilft, ist es das auf jeden Fall wert.

STANDARD: Weiße Forscher von Elite-Unis wie Harvard kommen in arme Länder und beobachten, wie oft die Menschen dort ihre Hände waschen. Sie sind nicht weiß ...

Hussam: ... aber ich komme aus einem reichen Land. Das ist eine wichtige und faire Kritik. Entwicklungsarbeit kann sehr problematisch, kann neokolonial sein. Das ist bei alten Methoden so und bei den neuen. Warum mache ich das? Ich bin Amerikanerin, in den USA geboren, und habe Zugang zu einer Elite-Uni. Wenn ich in Bangladesch bin, spüre ich meine Bengali-Identität stark und sehe diese Unterschiede, von denen Sie reden. Meine Mutter ist aus Bangladesch, mein Vater aus Westbengalen. Zufälligerweise genau aus der Gegend, in der wir die Studie gemacht haben. Diese Experimente sind aber unsere beste Hoffnung, um gegen die Neigung vieler Ökonomen zu kämpfen.

STANDARD: Wie?

Hussam: Für ein erfolgreiches Experiment – ich hasse dieses Wort –, sagen wir, für die Suche nach effektiven Maßnahmen muss man den lokalen Kontext kennen. Abhijit, Esther und Michael (die drei Nobelpreisträger, Anm.) und viele andere kümmern sich sehr darum, die Situation vor Ort kennenzulernen, bevor man ein Experiment durchführt. Eine Gefahr ist, dass diese Experimente jetzt so populär werden, dass sie mehr und mehr Menschen durchführen, aber dann nicht mehr so sorgfältig. Warum ich meine ersten Studien in Bangladesch und Westbengalen gemacht habe, ist, weil ich die Sprache spreche. Es macht einen extremen Unterschied, ob ich Sprache und Körpersprache verstehe.

In die Spender wurden Sensoren eingebaut.

STANDARD: Zurück zu Ihrem Experiment. Was haben Sie gelernt?

Hussam: Dass wir Gewohnheiten anschieben können. Auch nachdem die Anreize weggefallen sind und wir nicht mehr mitgezählt haben, haben sich die Menschen ihre Hände häufiger gewaschen als vorher. Der Seifenspender, der vier Dollar in der Herstellung kostete, hatte eine große Wirkung auf die Gesundheit der Kinder in den Haushalten. Die Kinder waren nach einer gewissen Zeit größer und schwerer, gute Indikatoren für ihre Gesundheit. Was lernen wir? Die Haushalte hatten schon Seife und Wasser. Das war nicht das Problem. Es geht darum, dass man gutes Verhalten so einfach wie möglich macht.

STANDARD: Warum sind diese Experimente eigentlich so populär geworden? Wie kam das?

Hussam: Es ist auch eine Reaktion auf Entwicklungspolitik. Die Politik des Internationalen Währungsfonds und der Washington Consensus (vor allem: Kürzungen, Deregulierung, Privatisierung, Anm.) verlieren zugleich an Bedeutung, während die Experimente wichtiger werden. Das sind zwei Seiten einer Medaille. Diese Politik war fast überall, wo sie eingeführt wurde, ein Desaster. Wir haben gelernt, dass wir verantwortlich sind für die Politik, die wir machen. Ein Experiment lässt besser zu, dass man genau versteht, wie eine Maßnahme wirkt. Bevor man große Politik macht, muss man viele kleine Dinge verstehen.

STANDARD: Was ist eine wichtige Erkenntnis aus der Forschung?

Hussam: Zum Beispiel die, dass Mikrokredite nicht aus der Armut helfen. Dem ist nicht so. Sie helfen ein bisschen, dass sich Menschen ihr Geld besser einteilen können. Ganz wenigen – jenen, die unternehmerisch sind – hilft es wirklich, sie nutzen das Kapital und bauen eine Firma auf. Aber das ist eine kleine Gruppe. Eine interessante Frage ist: Wie identifiziert man die Leute, damit man ihnen zielgerichtet Kredite gibt?

STANDARD: Österreichs Entwicklungshilfe hat nur ein Budget von 90 Millionen Euro. Sind da so experimentelle Studien eine Option?

Hussam: Wenn es noch keine Evidenz dazu gibt, ist es das auf jeden Fall wert. In einer kleinen Version kriegt man das für 100.000 Euro. Das ist nicht wenig Geld, aber auch nicht viel, wenn man dafür sieht, ob ein Programm hilft. Oder man vielleicht merkt, eine kleine Änderung macht es viel effektiver.

Wenn Ihnen der Beitrag gefallen hat, melden Sie sich für den Newsletter an. Ich schreibe Ihnen, wenn im Rahmen der Serie ein neuer Beitrag erscheint. (Andreas Sator, 12.11.2019)