Spiralförmige Sitzreihen, der ganze Saal in tiefes Europablau getaucht: Mit der Kulisse räumte der Designer Demna Gvasalia während der Präsentation der Frühjahrskollektion von Balenciaga in Paris jeden Zweifel aus, worum es geht.

Nichts Geringeres als die politische Zukunft sollte in seinem "Balenciaga-Parlament" verhandelt werden, im Zentrum: überdimensionale Kleider mit Schulterpolstern, wie sie sich nicht einmal die 1980er-Jahre erträumen ließen. "Wahlkampfkleider" nennt Gvasalia sie.

Das Set der Balenciaga-Show zeigt: Die Mode bedient sich wie die zeitgenössische Kunst des Parlament-Motivs.
Foto: Balenciaga

Präsentiert wurden sie nicht nur von Models, sondern auch von Powerplayern der Kunstwelt: der Sammlerin Karen Boros etwa oder den Künstlerinnen Eliza Douglas (Foto unten) und Nora Turato. Letztere macht bei ihren Performances nicht nur die Stimme zum Werkzeug, sondern setzt auch auf hohe Hacken und die für Balenciaga typischen kastigen Kleider.

Indem die Schau den Bogen sowohl zur Kunst als auch zur Politik spannt, steht sie prototypisch für eine aktuelle Tendenz in der Mode. Wie politisch diese per se schon ist, zeigen immer wieder Diskussionen etwa um das Kopftuch. Dass sich Marken jedoch gezielt politisch in Szene setzen wollen, ist neu: eine Reaktion auf das geschärfte gesellschaftliche Bewusstsein um Nachhaltigkeit, Inklusivität und Vielfalt.

Im globalen Kapitalismus ist die "Wokeness" auch für Modemarken zur Währung geworden. Das kann ziemlich schiefgehen, wie zahlreiche oberflächliche Imagekampagnen zeigen – aber auch gelingen, wenn es inhaltlich glaubwürdig ist. Beim Blick auf die aktuellen Kollektionen fällt auf, dass sich Designer vermehrt Strategien und Gesten aus der Kunstwelt bedienen.

Partizipative Formate

Das Parlament, die Versammlung, ist in den letzten Jahren zu einem zentralen Motiv in der Kunst geworden. Im Gegensatz zu gemalter Flachware, die die Wohnzimmerwand schmückt, haben partizipative Formate noch gesellschaftspolitische Schlagkraft.

Bei der Organisation New World Summit des niederländischen Künstlers Jonas Staal lässt sich kaum mehr sagen, ob es sich um künstlerische oder politische Arbeit handelt. Sie entwirft Parlamente mit und für staatenlose Bewegungen wie die nordsyrischen Kurden und organisiert Gipfel, um über die Zukunft der Demokratie nachzudenken. Die aus Holz gebauten Parlamente werden auch in Museen ausgestellt.

Mit ihrer Ästhetik spielt Gvasalia, doch bleibt das "Balenciaga-Parlament" nur Kulisse. Durch einen Verfremdungseffekt drückt der Designer höchstens ein schwammiges Unbehagen im Blick auf die europäische Zukunft aus: Gesichtsprothesen überzeichnen subtil Wangenknochen oder Lippen, die Models wirken unheimlich.

Bei Dior setzte die Designerin Maria Grazia Chiuri auf künstlerische Kollaboration. Das Pariser Kollektiv Coloco schuf für die Dior-Show einen Wald als Kulisse, dessen Bäume später in Paris gepflanzt werden sollen, angelehnt an ihr Projekt Becoming Garden 2018 auf der Kunstbiennale Manifesta.

Der Mischwald sei ein Statement für Diversität und darüber hinaus Symbol für die Inspiration hinter der Kollektion: Catherine Dior, Christians Schwester. Die Aktivistin und Holocaust-Überlebende wurde nach dem Krieg Botanikerin.

Inwiefern sich ihr Schicksal in Chiuris strohbehüteten Gärtnerinnen (Foto unten) widerspiegelt, ist fraglich. Das Motiv des entwurzelten Baums wird in der Kunst durchaus als Metapher für Heimatverlust und Migration verwendet.

Die nigerianische Künstlerin Otobong Nkanga beispielsweise greift das Bild der Wurzel immer wieder auf, um ökonomische und soziale Verflechtungen zwischen Europa und Afrika darzustellen, derzeit sind ihre Arbeiten auf der Biennale von Venedig zu sehen. Von solchem Tiefgang ist Diors Kollektion jedoch weit entfernt.

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V. li.: Rick Owens Scifi-Heldin, die Künstlerin Eliza Douglas als Balenciaga-Model mit Wangenprothese und eine Dior-Gärtnerin.
Foto: Balenciaga, AP Photo / Michel Euler, AFP / Christophe Archambault

Wahrlich starke Frauenfiguren schickte Rick Owens auf den Laufsteg. Sein Markenzeichen sind Lederjacken wie moderne Rüstungen, fürs Frühjahr 2020 scheint er von Science-Fiction inspiriert. Scifi als Vehikel für politische Aussagen zu nutzen ist nicht neu, bisher waren die Stars des Genres männliche Autoren wie zum Beispiel Philip K. Dick, Stanislaw Lem oder Gebrüder Strugazki.

Nun aber ist es die feministische Science-Fiction-Literatur, die junge Kunstschaffende aufgreifen – allen voran die Werke der 2018 verstorbenen Autorin Ursula K. Le Guin. In Wien zeigt die Ausstellung Stone Telling im Kunstraum Niederösterreich, wie klassische Erzählstrategien feministisch und queer untergraben werden.

Da sind Raumkapseln weich und lebendig statt kalt und glatt, Kunstwerke der Land-Art werden zu Portalen in eine feministische Utopie umgedeutet. Owens retrofuturistische Hohepriesterinnen scheinen einer solchen entschlüpft.

Auch Rihanna arbeitet an einer Zukunft, in der Frauen stark und selbstbestimmt sind. Die Sängerin und Designerin hat für die dritte Präsentation ihres Lingerielabels Savage X Fenty zur ultimativen Machtgeste gegriffen: eine spektakuläre Show mit Tänzerinnen, Performerinnen und Models jeder Körperform und Hautfarbe, mit der sie den Konkurrenten Victoria's Secret "zermalmte", wie die New York Times jubelte.

Dem lange kritisierten Label wurde die Fernsehübertragung abgeschaltet – zu wenig inklusiv und divers, nicht mehr relevant. Rihanna hat nun gezeigt, wie es im Jahr 2019 geht. Die Savage X Fenty Show bedient zwar noch viele derselben Klischees wie Victoria's Secret – Stichwort: die Frau als Objekt des männlichen Blicks.

Doch sie zieht diese Register mit Bedacht und spielt genüsslich mit ihnen. In der Kunstwelt läuft diese Strategie unter dem Begriff "Aneignung" und wird seit langem benutzt, um bestehende Machtverhältnisse sichtbar zu machen und zu unterlaufen.

Kara Walker macht sich so gerade in der britischen Tate das Format der Brunnenskulptur zu eigen. Ihr Fons Americanus ist an das Victoria Memorial in London angelehnt. Statt das britische Empire zu feiern, thematisiert sie den Sklavenhandel als historische Verbindung zwischen Europa, Afrika und Amerika.

Rihannas positive Aktualisierung hat nicht nur Vorbildfunktion für junge Frauen. Sie beweist auch, dass politische Statements in der Mode glaubhaft sind, wenn sie ihre eigene Wirkung reflektieren, anstatt sich bloß auf eine bedeutungsschwangere Kulisse zu beschränken. (Kathrin Heinrich, RONDO, 29.11.2019)